Essen. Thomas Schiemann aus Essen bittet um Spenden für ukrainische Krankenhäuser: Viele kleine Patienten sind verstümmelt oder kämpfen um ihr Leben.
Erschüttert ist der Essener Geschäftsmann Thomas Schiemann aus der Ukraine zurückgekehrt: Er hat dort das Kinderkrankenhaus in Lwiw (Lemberg) besucht, für das er gemeinsam mit der Essener und der Bottroper Caritas Spenden gesammelt hat. „Fast ein Drittel der kleinen Patienten haben Kriegsverletzungen, wie sie auch die Ärzte vor dem blutigen Konflikt im Land nicht kannten“, erzählt Schiemann. „Am schlimmsten sind die Verstümmelungen: Die Kinder haben Hände, Arme, Füße oder Beine verloren.“ Schon die Kleinsten starten versehrt ins Leben.
Noch müsse das Krankenhaus keine Patienten abweisen, aber die 308 Betten seien immer voll belegt. Viele Kinder kommen aus den Kriegsgebieten im Osten des Landes, sie werden zum Teil mit schweren Verbrennungen eingeliefert – und nicht alle überleben. „Es konnten nicht alle gerettet werden“, hat Schiemann im Gespräch mit den Klinikärzten erfahren. „Auch weil es an medizinischem Material fehlte.“ Der ukrainische Staat könne nicht mehr alle Krankenhäuser so ausstatten, wie es erforderlich wäre, so fehle es an Medikamenten und OP-Ausrüstung.
Essener erschüttert von den Begegnungen in der Ukraine
Die überlebenden Kinder leiden nicht nur unter körperlichen Schmerzen: Viele seien traumatisiert, erzählt der Essener. Glücklicherweise sind meist die Mütter (oder Väter) an ihrer Seite: In den Fünf-Bett-Zimmern stünden Schlafsessel, auf denen die Eltern von bis zu 15 Jahre alten Kindern übernachten dürften. Kinder wie die zwölfjährige Svenja, der ein Granatsplitter aus dem Arm operiert werden musste. Das Mädchen ist auf dem Weg der Besserung und sorgt sich nun um seinen Vater: „Sie hat ihn schon drei Monate nicht gesehen, kann nicht oft mit ihm telefonieren und wünscht sich, dass er heil aus dem Krieg zurückkommt.“
Schiemann, dessen Frau aus der Ukraine stammt, hat enge Verbindungen ins Land und die Entwicklung seit Kriegsausbruch noch intensiver verfolgt. Doch alle Berichte – ob aus den Medien oder von Angehörigen – konnten ihn nur unzureichend auf die Bilder vor Ort vorbereiten. Das galt nicht nur für den Besuch im Kinderkrankenhaus, sondern auch für die Fahrt durch ein Land, in dem man alle zehn Minuten an eine Straßensperre gerate, „gesichert mit den Betonblöcken, wie wir sie hier als Anti-Attentats-Schutz vom Weihnachtsmarkt kennen“.
In die Trauer mischt sich Trotz
Ans Herz ging ihm ein Konvoi von Militärfahrzeugen und zwei Leichenwagen: „Alte, Junge, Schulklassen und Feldarbeiter – die ganze Bevölkerung nahm Abschied.“ Kilometerweit hätten sie die Straßen gesäumt, Blumen und Kerzen in der Hand. In die Trauer vieler Menschen mische sich Trotz: „Wir werden eher sterben als aufgeben“, hat Schiemann gehört. Die junge Mutter eines verletzten Kleinkindes habe ihm gesagt: „Wir kämpfen, bis wir ein freies Land sind.“
Krankenhäuser benötigen Medikamente und Medizinmaterial
Spenden für die beiden Krankenhäuser im ukrainischen Lemberg (Lwiw) können auf das Konto des Caritasverbandes für die Stadt Essen überwiesen werden: IBAN DE17 3606 0295 0000 0055 50. Stichwort: „Krankenhäuser Ukraine“.
Die Kinderklinik Ohmadyt und das „Multidisciplinary Clinical Hospital of Emergency and Intensive Care“ benötigen Medikamente und medizinisches Material von der Einwegspritze über Verbandsmaterial bis zum Thorax-Drainage-Set. Dem „Multidisciplinary Clinical Hospital of Emergency and Intensive Care“ angeschlossen ist ein Zentrum für knapp 250 geistig und körperlich behinderte Kinder. Im März kamen 35 Kinder aus einer umkämpften Region dazu. Auch die Versorgung dieser Jungen und Mädchen ist gefährdet.
Nach seiner fünftägigen Reise kann Schiemann erahnen, wie hoch der Preis für die Zivilbevölkerung ist: „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Angst gehabt.“ Beim Bombenalarm in einem Hotel in Kiew und unterwegs: Fensterlose Gebäude, gesprengte Brücken, die Infrastruktur zerstört, die Vororte von Kiew in Ruinenlandschaften verwandelt. „Apotheken, Kitas, Schulen, Restaurants – alles rein zivile Ziele.“
Die zivilen Opfer hat er auch in einem zweiten Krankenhaus in Lemberg erlebt, das ihn während seines Besuchs um Hilfe bat. Das „Multidisciplinary Clinical Hospital of Emergency and Intensive Care“ ist mit 2330 Betten und 4100 Beschäftigten das größte Krankenhaus in der West-Ukraine und umfasst ebenfalls eine Kinderklinik mit vielen jungen Kriegsverletzten. Täglich werden zahllose Patienten in der Notaufnahme versorgt. „In diesem Jahr waren es schon 100.000 Patienten.“
Die Ärzteschaft sei jung und voller Einsatzbereitschaft, die OP-Säle neu, die Ausstattung modern. Bei Bombenalarm werden die Patienten in einen unterirdischen Bunker gebracht, der sogar mit OP-Sälen ausgestattet ist. „Aber auch in diesem Krankenhaus fehlt es an Medikamenten, Infusionen, OP- und Verbandsmaterial. Wir haben eine ganze Liste mit den dringendst benötigten Dingen erhalten.“ Die Verzweiflung sei groß, die unausgesprochene Hoffnung auf Hilfe aus Essen auch.
Ukrainische Ärzte sind zu Entscheidungen über Leben und Tod gezwungen
Thomas Schiemann möchte diese Hoffnung nicht enttäuschen: Lemberg sei näher an Essen als Barcelona, der russische Angriff auf die Ukraine betreffe uns alle: „Ich habe so viele Tränen vergossen. Jetzt möchte ich helfen.“ Die Caritas und die Uniklinik Essen haben ihm schon ihre Unterstützung zugesagt.
Ein junger Arzt namens Roman habe ihn durch das Krankenhaus geführt und berichtet, wie an einem Tag 70 Soldaten und Zivilisten eingeliefert wurden „und drei Ärzte entscheiden mussten, wer operiert werden soll“. Mit besserer Ausstattung hätten sie mehr Patienten retten können. Triage – in ukrainischen Krankenhäusern ist sie real. Es gebe schlimme Tage, sagt Roman, und Dinge, an die sich auch die Ärzte nie gewöhnen könnten. So wenn sie Gliedmaßen amputieren müssen: „Wir weinen, wenn wir sehen, was wir tun müssen.“