Essen. Die Emschergenossenschaft will ihre Hauptverwaltung erweitern und dafür Wohnhäuser abreißen. Für die Nachbarn ein Unding: Warum noch mehr Büros?

Besonders mit ihrem milliardenschweren Emscher-Umbau steht die Emschergenossenschaft im Fokus der Öffentlichkeit. Ein anderes – zugegebenermaßen deutlich kleineres Bauvorhaben – dagegen hat sie bislang eher im Verborgenen vorangetrieben: Die Emschergenossenschaft und der mit ihr verbundene Lippeverband wollen ihre Hauptverwaltung an der Kronprinzenstraße 24 vergrößern.

Ziel ist es, dass künftig alle 750 Beschäftigten, die zum Teil noch in benachbarten Bürogebäuden sitzen, an einem Standort zusammenarbeiten. Für sie sollen „attraktive und zukunftsfähige Arbeitsplätze“ entstehen, betont der Verband. Auch ein „repräsentativer“ Besprechungsraum und eine „zeitgemäße“ Kantine gehören zum Neubau.

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Für die Erweiterung sollen die vorhandenen Gebäude mit einem Lückenschluss zu einem „urbanen Campus“ verbunden werden. Damit dieser auch nach außen diesen Charakter bekommt, soll die Fassade der bestehenden Gebäudeteile – mit Ausnahme der denkmalgeschützten – modern und einheitlich gestaltet werden. Geschätzt 15 Millionen Euro, wohl eher mehr, will der öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaftsverband in sein Bauprojekt investieren.

Die Hauptverwaltung von Emschergenossenschaft und Lippeverband an der Kronprinzenstraße in Essen.
Die Hauptverwaltung von Emschergenossenschaft und Lippeverband an der Kronprinzenstraße in Essen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Was unternehmerisch und städtebaulich sinnvoll klingen mag, stößt in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht nur auf wenig Gegenliebe, sondern gar auf Widerstand. Denn für den Neubau sollen zwei Mehrfamilienhäuser an der Mozartstraße und am Bernewäldchen weichen. Eines davon wurde 1912 gebaut und ist eines der letzten Relikte des alten Bernewäldchenviertels. Unter Denkmalschutz steht es allerdings nicht.

Peter und Regina Borth, die in einem der Häuser gegenüber wohnen, haben bereits Protestbriefe an Ministerpräsident Hendrik Wüst und an Oberbürgermeister Thomas Kufen geschrieben. Ihre Kritik: Warum soll bezahlbarer Wohnraum, der in Essen dringend benötigt wird und noch dazu im beliebten Südviertel liegt, für „toten Büroraum“ geopfert werden? Zumal es in Essen genügend leerstehende Büros gebe und die ausgelagerten Arbeitsplätze des Wasserverbandes doch in unmittelbarer Nähe zum Emscherhaus liegen. Wo ist die Notwendigkeit für noch mehr Büroraum, fragen sie.

Letzter Mieter wehrt sich gegen Kündigung

Zusammen mit ihrer Nachbarin Elke Klockow, die in der Mozartstraße schon 38 Jahre lebt, stehen die Borths vor den Abrisshäusern. Bis auf einen Mieter sind die anderen sieben Parteien ausgezogen. Einige sind schon vor der offiziellen Kündigung gegangen. Den anderen hat die Emschergenossenschaft-Lippeverband als Eigentümer die Mietverträge gekündigt. Nur ein Vater mit zwei Kindern wohne noch dort, berichtet Regina Borth. Er wehre sich juristisch gegen den Rauswurf aus der großen und vor allem bezahlbaren Wohnung. „Das ist unser gallisches Dorf“, lächelt Regina Borth verschmitzt.

Auch Parkprobleme befürchtet

Anwohner der Mozartstraße befürchten auch, dass mit dem Umzug der Mitarbeiter in das neue Gebäude, der Parkdruck in ihrer Straße und in der Umgebung wächst.

Zwar entstehen mit dem Neubau 28 Parkplätze im Tiefgeschoss. Allerdings geben Emschergenossenschaft und Lippeverband mit den Büros in der Nachbarstadt deutlich mehr Parkplätze ab.

Wie ein Sprecher auf Nachfrage erklärt, können die Mitarbeiter aktuell 215 Stellplätze an den Standorten nutzen. Künftig werden es nur noch 139 sein. Er betonte jedoch: „Mit den 139 erfüllen wir die baurechtlich geforderte Mindestanzahl an Stellplätzen, die wir unseren Beschäftigten zur Verfügung stellen müssen.“

Der Spielplatz am Bernewäldchen inmitten von Bäumen liegt direkt gegenüber, die Häuser entlang der Mozartstraße wirken gepflegt. Bäume säumen die kleine Anliegerstraße. Die verkehrsgeplagte Kronprinzenstraße und die ebenso viel befahrene Richard-Wagner-Straße sind kaum zu hören. „Das ist hier die letzte Idylle“, sagt Regina Borth. Doch sie befürchtet, dass es mit dieser bald vorbei sein wird – wenn für mehr als zwei Jahre die Baukolonnen hier das Sagen haben und Lärm und Schmutz zum Alltag der Bewohner gehören dürften.

Emschergenossenschaft braucht trotz mehr Homeoffice den Neubau

Schon im Dezember 2019 war bei Emschergenossenschaft und Lippeverband die Entscheidung für die Erweiterung der Hauptverwaltung gefallen. Aus ihrer Sicht ist dies eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung. Dem Verband spart dies einerseits 1,28 Millionen Euro jährlich, die die angemieteten Büros im Umfeld kosten. Andererseits bringen die beiden Wohnhäuser deutlich weniger Mieteinnahmen, wie aus dem Kündigungsschreiben an die Mieter hervorgeht.

Was jedoch die Kritiker ins Feld führen: Über die Planungen und Berechnungen der Emschergenossenschaft ist die Corona-Pandemie hereingebrochen. Und der Wasserverband wäre nicht das einzige Unternehmen, das seine früheren Annahmen und Platzbedürfnisse nach der Ausweitung von mobilem Arbeiten noch einmal überdenken würde. Genau das, fordern die Borths: Wird dieser Neubau unter den neuen Voraussetzungen tatsächlich noch gebraucht?

In einer Infoveranstaltung, zu der die Emschergenossenschaft die Nachbarn im Juni dieses Jahres geladen hatte, habe sie jedoch deutlich gemacht, dass sie von den Plänen nicht abrücken werde. Auch gegenüber dieser Redaktion bekräftigte dies ein Sprecher. Die Erfahrungen aus der Corona-Zeit seien mit eingeflossen. „Durch innovative Raumkonzepte werden wir im neuen Emscher-Haus die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten anbieten“, teilte er mit. Dabei sei berücksichtigt, dass infolge von Homeoffice nicht immer 100 Prozent der Beschäftigten im Büro anwesend sein werden.

Emschergenossenschaft gibt mehr Bürofläche ab, als dazukommt

Gleichzeitig betonte er, dass mit dem Neubau weniger Fläche hinzukomme als in den angemieteten Büros aufgegeben werde. Unterm Strich haben Emschergenossenschaft und Lippeverband dann rund 2000 Quadratmeter weniger Platz. Aus deren Sicht mag der Flächenverbrauch zwar sinken, global gesehen tut er es jedoch nicht. Denn die 5700 Quadratmeter, die leergezogen werden, dürften auch künftig als Büroraum genutzt werden.

Das Luftbild zeigt die Gebäude der Emschergenossenschaft im Essener Südviertel. Links das historische und denkmalgeschützte Emscherhaus, das 1910 gebaut wurde. Die Gebäude die sich rechts dahinter gruppieren, entstanden nach und nach. Am rechten mittleren Bildrand sind die beiden Wohnhäuser zu sehen, die abgerissen werden sollen.
Das Luftbild zeigt die Gebäude der Emschergenossenschaft im Essener Südviertel. Links das historische und denkmalgeschützte Emscherhaus, das 1910 gebaut wurde. Die Gebäude die sich rechts dahinter gruppieren, entstanden nach und nach. Am rechten mittleren Bildrand sind die beiden Wohnhäuser zu sehen, die abgerissen werden sollen. © www.blossey.eu | Hans Blossey

In ihren Briefen haben die Borths an Wüst und Kufen eine eindringliche Bitte gerichtet: „Wir als unmittelbar betroffene Anwohner bitten Sie, mit Blick auf die fehlende zwingende Notwendigkeit für zusätzliche Büroflächen, die gesundheitsschädlichen Ausflüsse durch die Bauarbeiten sowie das völlige Fehlen von Lebensqualität für uns Anwohner über einen sehr langen Zeitraum durch das Bauprojekt, Ihren Einfluss geltend zu machen und auf die Einstellung der Planungen der Emschergenossenschaft unter Hinweis auf geeignete Lösungsalternativen hinzuwirken.“

Stadt: Bauvorhaben entspricht dem geltenden Baurecht

Dazu wird es wohl nicht kommen: In ihrer Antwort verweist die Landesregierung auf die Planungshoheit der Stadt. Und die Stadt wiederum stützt sich auf das geltende Baurecht. So gibt es für das Gebiet keinen Bebauungsplan, der eine Nutzung von Grundstücken vorschreiben würde. Zwar könnte die Stadt einen solchen aufstellen und darin Wohnraum Vorrang geben. Allerdings gibt es im Rathaus kein Bestreben, dem Bauvorhaben Steine in den Weg zu legen. Überdies würde ein solches Planungsziel stark in die Grundrechte der Emschergenossenschaft eingreifen und wäre daher rechtlich durchaus wackelig.

Immobilienunternehmer- „In Essen wird zu viel abgerissen“Ohne Bebauungsplan greifen daher die Vorgaben des Baugesetzbuches im innerstädtischen Bereich. Diesen „entspricht der Neubau der Emschergenossenschaft“, stellt Stadtdirektor Peter Renzel fest, der den Borths in Vertretung von OB Kufen antwortete. Eine Bauvoranfrage des Wasserverbandes hatte die Bauverwaltung bereits im Mai 2020 positiv beschieden.

Fassadengestaltung muss noch überarbeitet werden

Anfang 2023 wollen Emschergenossenschaft und Lippeverband mit dem Abbruch der beiden Wohnhäuser beginnen. Das neue Emscherhaus soll in der zweiten Jahreshälfte 2025 fertig sein. Einen finalen Entwurf gibt es allerdings bislang noch nicht. Der Verband hat zwar seinen Favoriten in einem Architektenwettbewerb gekürt. Allerdings fand die Gestaltung der Fassade bei der Jury keinen Applaus und muss daher überarbeitet werden.

Regina und Peter Borth hoffen unterdessen, dass es noch nicht zu spät ist, eine Debatte anzustoßen: Wie und für was wollen wir künftig unseren begrenzten Stadtraum nutzen?