Essen. Abriss und Neubau: Für die Chefs der Firma Greyfield hat das mit Nachhaltigkeit nichts zu tun. Sie fordern ein Umdenken auch bei der Stadt Essen.

Timm Sassen beobachtet das Baugeschehen in der Stadt mit kritischem Blick: „Hier wird viel zu viel abgerissen und neu gebaut“, sagt er. Gerade im Bürosegment gebe es eine Menge leerstehender Flächen in älteren Gebäuden.

Für einen Immobilienunternehmer klingen Sassens Worte eher ungewöhnlich. Doch schon vor zehn Jahren ist er mit seinem Unternehmen Greyfield angetreten, die in der Immobilienwirtschaft vorherrschende Denke – Abriss und Neubau – zu verändern. Sassen hat es sich zur Aufgabe gemacht, scheinbar abgewirtschaftete Häuser zu erhalten und neu zu entwickeln. Neudeutsch heißt das „Redevelopment“. „Wir beweisen jeden Tag, dass das geht“, sagt Sassens Geschäftsführerkollegin Sarah Dungs.

Sassen (45) und Dungs (28) gehören zu einer neuen Generation in der Immobilienwirtschaft, die Nachhaltigkeit anders denkt. Wie klimafreundlich Gebäude sind, dürfte ihrer Auffassung nach nicht erst gemessen werden, wenn diese in Betrieb gehen. Sondern schon das Bauen selbst müsse in die Klimarechnung mit einbezogen werden.

Greyfield hilft aktuelle Klimadebatte

Vor zehn Jahren, so sagen beide, galten sie mit ihrem Ansatz – Erhalt statt Neubau – als absolute Geisterfahrer. Es sei auch schwierig gewesen, eine Finanzierung von den Banken zu bekommen. Mit der aufkommenden Klimadebatte in den vergangenen Jahren hat sich das verändert. „Die Nachhaltigkeitsdiskussion spielt uns heute in die Karten“, sagt der gelernte Architekt Sassen, der Greyfield 2012 gegründet hat. Bauen im Bestand müsse mittlerweile nicht mehr erklärt und diskutiert werden.

Timm Sassen (l.) mit seinem Mitarbeiter Michel Konkol im ehemaligen FUNKE-Druckhaus in Essen.
Timm Sassen (l.) mit seinem Mitarbeiter Michel Konkol im ehemaligen FUNKE-Druckhaus in Essen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Dennoch sieht Sassen Städte wie Essen in der Pflicht, die Rolle der Bauwirtschaft für den Klimaschutz künftig viel stärker in den Blick zu nehmen als bislang. Wenn es die Stadt Essen mit der Klimaneutralität ernst meine, „dann wird sie überlegen müssen, wo sie CO2 sparen kann und für was sie in Zukunft CO2 ausgibt“, betont der Unternehmer. In dieser Abwägung macht es aus seiner Sicht keinen Sinn, für einen Neubau viel CO2-Ausstoß zuzulassen, wenn der Umbau und die Weiternutzung einer Immobilie deutlich weniger Kohlendioxid emittieren.

Dass das sogenannte „Redevelopment“ funktioniert, haben Sassen und Dungs unter anderem am eigenen Firmensitz gezeigt. 2018 kauften sie ein altes Versicherungsgebäude aus den 1950er Jahren an der Hindenburgstraße und bauten es für ihre Bedürfnisse um. Entstanden sind großzügige Büroflächen, die Altes geschickt mit Neuem kombinieren. Hier wird schnell klar: Wer sich im Bestand bewegt, braucht nicht nur Mut, sondern vor allem Kreativität.

Greyfield nutzt alte FUNKE-Druckerei neu

24 Gebäude hat Greyfield bislang vor einem möglichen Abriss bewahrt und neu entwickelt. Ihr aktuell größtes Projekt ist die ehemalige FUNKE-Druckerei in der Schederhofstraße in Holsterhausen. Das ehemalige Produktionsgebäude wird gerade zu einer verschieden genutzten Immobilie umgebaut. Unter anderem hat sich dort der Online-Lebensmittellieferdienst Knuspr eingemietet und wird ein Versandlager einrichten. Weitere Mieter sind FUNKE Dialog, das Internetportal Wir-kaufen-dein-Auto.de und der Datendienstleister Synology. Mit einem potenziellen Interessenten, der im Gebäude ein Freizeitangebot unterbringen will, ist Sassen gerade im Gespräch.

Mit der Umnutzung des Druckereigebäudes seien 28.000 Tonnen CO2 gespart worden, rechnet Sassen vor. Dahinter liegt die Annahme, dass bei einem Abriss und anschließendem Neubau jeder Quadratmeter 1000 Kilogramm CO2 emittiert. Für Laien ist das eine abstrakte Zahl, für Sassen dagegen ist es die Transparenz, die er sich für jedes Gebäude wünscht. „Es muss deutlich gemacht werden, was in einer Immobilie drinsteckt“, sagt er und fordert einen CO2-Ausweis für Immobilien.

„Das nachhaltigste Gebäude ist das, was schon gebaut ist“, hat Sassen kürzlich in einem anderen Zeitungsinterview gesagt. Doch er und Sarah Dungs geben sich auch keinen Illusionen hin: Um in der Immobilienwirtschaft möglichst viele Akteure von ihrem Ansatz zu überzeugen, „liegt noch eine Menge Arbeit vor uns, das ist ein ganz dickes Brett, das wir bohren“.