Essen. 100 Jahre Museum Folkwang: Bürger haben die Kunst damals nach Essen geholt. Stadt und Museumsverein teilen sich seither den kostbaren Besitz.

Wenn sich an diesem Wochenende wieder die Kameras auf das Essener Museum Folkwang richten, dann werden mit Kandinksy, Kirchner, Kokoschka und Co. nicht nur die Stars des Expressionismus gefeiert. Mit der zweiten großen Sonderschau, die das Museum Folkwang anlässlich seines 100-jährigen Bestehens präsentiert und am Freitagabend mit einem großen 24-Stunden-Sommerfest für alle Bürgerinnen und Bürger eröffnet, rückt auch einmal mehr die besondere Historie des Hauses in den Mittelpunkt.

100 Jahre Museum Folkwang, das sind schließlich auch 100 Jahre Folkwang-Museumsverein. Dem frühen „Aktionsbündnis“ für die Kunst ist zuzuschreiben, dass in den nächsten Monaten wieder zigtausende Besucher kommen werden, um Franz Marcs „Liegenden Stier“ und Paula Modersohn-Beckers „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“ zu sehen.

Die kostbare Osthaus-Sammlung wechselte für 15 Millionen Reichsmark nach Essen

Es ist eben kein gewöhnlicher Verein, der sich da vor 100 Jahren zusammenfindet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen bedeutsame Stifter und namhafte Kohle- und Stahlmagnaten. Und ihr gemeinsames Ansinnen ist spektakulär. Essen soll die bedeutende Sammlung des Hagener Kunstmäzens Karl Ernst Osthaus übernehmen. Nach seinem Tod haben die Erben das kostbare Konvolut zum Verkauf angeboten. Der Zusammenschluss von privaten Mäzenen und großen Konzernen wie dem Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikat und dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG (RWE AG) bringen die 15 Millionen Reichsmark schließlich zusammen und legen das Fundament für eine besondere Trägerschaft.

Auch interessant

Seither gehört die berühmte Sammlung des Museum Folkwang zu gleichen Teilen der Stadt Essen und dem Folkwang-Museumsverein e.V.. Der 1922 geschlossene Kooperationsvertrag besitzt bis heute Gültigkeit. Er gilt als Paradebeispiel für das, was man mittlerweile Public-private-Partnership nennt. Nicht zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat diese beispielhafte Förderung durch Mäzene und Sponsoren und die „aktive, unablässige bürgergesellschaftliche Initiative“ beim Folkwang-Festakt in der Philharmonie Anfang des Jahres beispielhaft genannt.

Es sind aber nicht nur prestigeträchtige Momente wie diese, in denen der Folkwang-Museumsverein auftritt. Gefragt ist das Kuratorium auch in administrativen Bereichen, wenn es um Personalfragen und Anfragen zu Leihgaben geht. Gleichwohl verstehe man sich gewiss nicht „als Aufpasser“, sagt Ulrich Blank, seit 2015 Vorsitzender des Vereins. „Wir mischen uns nicht in künstlerische Entscheidungen ein.“ Dafür schafft man bis heute den gesellschaftlichen Kitt, der Haus und Bürgerschaft so fest verbindet.

Zwei ruhende Frauen“ (1909) von Erich Heckel. Das Geld für den Ankauf konnte der Folkwang-Museumsverein aus dem vererbten Vermögen von Vereinsmitgliedern aufbringen. Foto: Museum Folkwang.
Zwei ruhende Frauen“ (1909) von Erich Heckel. Das Geld für den Ankauf konnte der Folkwang-Museumsverein aus dem vererbten Vermögen von Vereinsmitgliedern aufbringen. Foto: Museum Folkwang. © Museum Folkwang

Welche ansehnlichen Blüten die Verbindung bis heute treibt, lässt sich bei jedem Rundgang durch die Sammlung erfahren, wo man Bilder sieht, deren Ankauf der Museumsverein in den vergangenen Jahrzehnten komplett oder anteilig finanziert hat. 200 Werke waren es in den vergangenen 100 Jahren. Schönstes Beispiel in der aktuellen Expressionisten-Schau ist eine kostbare Druckgrafik von Erich Heckel, die der Folkwang-Museumsverein vor einiger Zeit mit Mitteln aus dem Nachlass des Essener Ehepaares Liselotte und Dr. Walter Griese erwerben konnte. Die leidenschaftlichen Kunstfreunde und langjährigen Mitglieder des Folkwang-Museumsvereins hatten ihr Millionenvermögen 2016 dem Folkwang überlassen. Ihren letzten Wunsch hatten sie damals auch mit einem konkreten Kaufauftrag verbunden, nämlich Kunst „aus der Zeit des Expressionismus und der unmittelbar nachfolgenden Zeit“ ans Folkwang zu holen. Die Druckgrafik „Zwei ruhende Frauen“ von 1909 hätte gewiss ihren Zuspruch gefunden.

Folkwang-Aktionen im Überblick

Der Folkwang-Museumsverein präsentiert sich auch beim 24-Stunden-Sommerfest im Museum Folkwang. Die Rund-um-die-Uhr-Party mit Führungen, Konzerten, Lesungen und Kinderprogramm beginnt am 19. August um 18 Uhr und endet 24 Stunden später. Der Eintritt ist frei.

Die Ausstellung „Expressionisten am Folkwang. Entdeckt – Verfemt – Gefeiert“ wird am 19. August um 18 Uhr zeitgleich mit dem 24-Stunden-Sommerfests eröffnet und läuft bis zum 8. Januar 2023. Tickets unter https://museum-folkwang.ticketfritz.de .

Nicht minder spektakulär war Anfang des Jahres die Nachricht von der Schenkung eines millionenschweren Richter-Gemäldes, das ein Essener Ehepaar dem Museum Folkwang überlassen hat. Richters „Himmel“-Gemälde gilt als eine der bedeutendsten Schenkungen in der Museumsgeschichte. Das Essener Sammlerpaar, das die Kunst direkt im Atelier gekauft und lange mit dem Richter-Werk gelebt hat, blieb anonym. Nicht jede Schenkung macht Schlagzeilen. Aber vielen sei das Museum Folkwang mit seinem internationalen Renommee so wert und wichtig, dass man mittlerweile sogar eine Infobroschüre zum Thema Schenkung und Erbschaftssteuer aufgelegt habe, berichtet Blank.

Das 100-jährige Bestehen mit seinen Feierlichkeiten und bedeutenden Sonderausstellungen hat dem Museumsverein dabei noch einmal neuen Schub gebracht. Gleich 40 Neuzugänge haben die Zahl der Vereinsmitglieder wieder auf 400 anwachsen lassen. Jenseits der aktuellen Jubiläumsfeierlichkeiten pflegt man den Austausch bei gemeinsamen Ausstellungsbesuchen und Kunstreisen. Und bei der Vergabe des seit 2010 ausgelobten Internationalen Folkwang-Preises.

Ulrich Blank führt den Folkwang-Museumsverein seit 2015.
Ulrich Blank führt den Folkwang-Museumsverein seit 2015. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Ulrich Blank und den Museumsverein beschäftigt aber nicht nur der „Exzellenzanspruch“ ans Folkwang als „Leuchtturm“ Essens, sondern vor allem auch die Frage, wie man dessen Strahlkraft ausweiten kann. „Wir können nicht damit zufrieden sein, nur die halbe Stadt zu erreichen.“ Schließlich sei es ja schon das Anliegen von Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus gewesen, der „kunstarmen Rhein-Ruhr-Region“ und seinen Menschen ein Angebot zu machen. Eine Aktion wie „Folkwang und die Stadt“, mit der das Museum in den vergangenen Wochen die Essener City-Nord zum Aktionsort gemacht hat, begrüßt Blank. Nun müsse die vom Essener Kulturdezernent Muchtar Al-Ghusain angekündigte Folkwang-Dekade zeigen, wie man den Austausch verstetigen und das seit 100 Jahren mustergültig verknüpfte Band zwischen Museum und Bürgerschaft auch ausweiten kann. Für Blank ist das positive und gewachsene Verhältnis zur Stadt dabei ein wichtiger Ausgangspunkt. „Wir leben nicht nur von der Vergangenheit“, sagt Blank. Gegründet wurde Folkwang schließlich als Museum der Moderne.