Essen. Das Essener Museum Folkwang geht zwischen zwei großen Publikumsausstellungen mit 18 Kunst-Projekten in die Stadt.
Menschen in Liegestühlen, umtost von der überraschend fernen Brandung der unaufhörlich strömenden Autos rund um Essens größten Verkehrskreisel. Fünf Schafe, die auf dem Rasen zwischen Wohnhäusern und Mediaturm in Essens „Grüner Mitte“ weiden. Plakate aus dem Folkwang in den Wohn-Schauräumen von Ikea, und Nelson Müller kocht vor der St. Gertrud-Kirche am Viehofer Platz für die Essener Tafel: Man wird nicht auf den ersten Blick sehen, dass es Kunst ist, was „Folkwang und die Stadt“ da in den Norden der Essener City hineinträgt.
Aber die 18 insgesamt Projekte, die ab Samstag für zehn Wochen dort zu besichtigen sind, sollen auch in erster Linie in die Gesellschaft hineinwirken, sollen Menschen miteinander in Verbindung bringen, den 120 Jahre alten Folkwang-Gedanken für die Gegenwart erneuern, aktualisieren. So werden die Schafe von den Anwohnern ringsum abends in den Stall gesperrt und morgens wieder rausgelassen; und auf dem Weberplatz ein paar Hundert Meter weiter Richtung Innenstadt haben die Menschen ringsum bereits Patenschaften für die vielen Beete übernommen, die dort seit der „Grünen Hauptstadt“ 2017 zusehends verwahrlosten. Außerdem hat die „Neue Arbeit“ für Sitzgelegenheiten rund um die Beete gesorgt und ein paar Kindermöbel der „Grünen Hauptstadt“ wieder instandgesetzt.
Schafwolle als Sondermüll – oder als Dämmstoff, als Baustoff, als Dünger?
Aber wussten Sie, dass man als Schaf-Besitzer für ein Kilo Schafwolle höchstens 12 Cent bekommt? Weil sie viel billiger aus Neuseeland oder China zu haben ist? Dass sie hierzulande meistens als „Sondermüll“ - ja! - „entsorgt“ werden muss? Die Künstlerin Folke Köbberling ist schon zur forschenden Expertin auf diesem Gebiet geworden und sucht mit Wissenschaftlern nach Verwendungsmöglichkeiten für Schafwolle als Baustoff, als Dämmstoff oder als Düngemittel. Der Parcours „Folkwang und die Stadt“ bedeutet eben auch eine ziemliche Lernkurve jenseits der runden Lärmkurve am Berliner Platz.
Ein paar Meter weiter steht ein weißer Abguss von Rodins „Ehernem Zeitalter“ voller Digital-Skepsis (angetan mit einer VR-Brille) in einem Wasserbecken der „Grünen Mitte“. Aber Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter sagt: „Wir wollten nicht einfach irgendwo Skulpturen in die Stadt stellen“ – sondern vielmehr an den Gedanken von Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus anknüpfen, dass „ohne die Mitwirkung der Kunst die Probleme des sozialen Lebens nicht lösbar“ seien. Man habe mit den Initiativen und Menschen gearbeitet, die hier leben und wirken, betont der Folkwang-Chef. Das gesamte Projekt nahm drei Jahre Vorbereitungszeit in Anspruch.
Acht Tonnen Kartoffeln statt einer Viertel-Kuh
Nun, ohne die Kunst wäre ab Samstag zumindest die Verkehrsinsel auf dem Berliner Platz nicht erreichbar, wo nach der Tulpenblüte im Frühjahr die (sich selbst angesiedelt habenden) Margeriten das Kommando zu übernehmen pflegen. Nun kann man hier das „Eco-Village“ besichtigen, ein Tiny-House etwa, das, falls nötig, auch stapelbar ist. Oder eine Regenwasser-Auffanganlage. Musterbeete sind angelegt, Versuchsbeete für Freiwillige auch. Eine Kuh-Skulptur ist zu 23 Prozent angemalt – das ist jener Teil von ihr, den man mit der Verkehrsinsel ernähren könnte, während man auf der Fläche alternativ auch acht Tonnen (!) Kartoffeln ernten könnte.
Fridays for Future hat einen eigenen Stand hier – und auf dem Mediaturm gegenüber wird der britische Turner-Preisträger Jeremy Deller überraschend aktuelle Nachrichten aus dem Jahr 1922 präsentieren – dem Jahr, in dem das Museum Folkwang von Hagen nach Essen wanderte. Dellers Kollege Simon Starling wird mit einem hochkomplexen Projekt rund um Holz und eine Dampflok die beiden Städte zu verbinden versuchen. Kaum weniger verrückt: beim Tattoo-Studio von Myriam Black kann man sich vier Motive nach Vorlagen von Erich Heckel aus dem Folkwang-Bestand stechen lassen.
Markus Ambach organisiert mit – und wird auch auf der Documenta vertreten sein
Folkwangs Aufbruch in die Stadt, der rund 60 Initiativen und auch Geschäfte vor Ort mit einbindet, findet gewiss nicht von ungefähr zwischen zwei großen Publikums-Ausstellungen statt, mit denen man noch einmal die Massen ins Museum zu locken versucht. Er wird mitorganisiert von dem Düsseldorfer Projekterfinder Markus Ambach, dem die Kulturhauptstadt 2010 die Ausstellung „ Die Schönheit der großen Straße“ entlang der alten B1 zu verdanken hatte. Und der in diesem Jahr auch als einer der wenigen deutschen Künstler auf der Documenta in Kassel vertreten sein wird.
13 der 18 Projekte sind auf einem Rundkurs zu besichtigen, für den man gut und gern zwei Stunden Zeit mitbringen könnte; mittwochs (18 Uhr) und sonntags (16 Uhr) gibt es Führungen; Start ist am Eco-Village auf dem Berliner Platz, Anmeldungen unter info@museum-folkwang.essen.de