Essen. Ansturm auf Hausärzte: Auch viele Jüngere fordern die Booster-Impfung. Die Politik habe sie in Panik-Modus versetzt, kritisiert ein Essener Arzt.

Die Essener Hausärzte erleben im November eine wachsende Nachfrage nach Auffrischungsimpfungen, auch jüngere Patienten forderten diese teils regelrecht ein. Einige Praxen haben Schwierigkeiten, den Andrang zu bewältigen. „Viele Leute sind im Panik-Modus, wollen sofort einen Impftermin“, sagt Dr. Michael Hill, der eine Hausarztpraxis in Borbeck hat. In einem Gespräch am 9. November warf Hill der Politik vor, die Menschen schlecht über die Booster-Impfungen zu informieren. So sei bei dem Thema eine unnötige Alarmstimmung aufgekommen.

„Die Menschen glauben, dass sie sich sechs Monate nach der Zweitimpfung erneut impfen lassen müssen, weil die Impfung dann ,abgelaufen’ sei“, sagte Hill. Dabei habe die Ständige Impfkommission (Stiko) erklärt, dass eine Auffrischungsimpfung „frühestens sechs Monate“ nach der Zweitimpfung erfolgen solle. Zuerst sollten über 70-Jährige, Pflegekräfte sowie Patienten mit einem Risiko für einen schweren Covid-Verlauf geimpft werden. Nun erlebe er, dass 40- bis 60-Jährige eiligst einen Impftermin einfordern: „Das Telefon steht nicht still, meine Mitarbeiterinnen drehen am Rad.“

Mediziner fordert Wiedereröffnung des Impfzentrums

Hill ist stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) Essen ist, spricht aber aus seiner persönlichen Erfahrung als Allgemeinmediziner: „Das hat die Politik ganz schlecht erklärt, und wir müssen die Leute jetzt beruhigen, dass es reicht, wenn sie im Januar kommen.“

Tatsächlich läuft aktuell eine Debatte über die Ausweitung der Booster-Impfung: Wer mit einem Vektor-Impfstoff wie Astrazeneca immunisiert sei, solle die sechs Monate nicht abwarten, riet etwa der Chefvirologe des Uniklinikums, Prof. Dr. Ulf Dittmer am Montag (15. November). Wer eine Biontech- oder Kreuzimpfung habe, sollte sich jedoch an die Stiko-Fristen halten. Unterdessen wird erwartet, dass die Stiko die Empfehlung für die Auffrischung auf alle über 18 Jahren ausweiten wird. Gleichzeitig wies Stiko-Chef Thomas Mertens am Dienstag (16. November) darauf hin, dass zunächst die älteren und geschwächten an der Reihe seien. Es sei kontraproduktiv, „jetzt noch zu sagen, alle sollen zum Hausarzt laufen“.

Wie kontraproduktiv das ist, erlebt Michael Hill, der in seiner Praxis täglich impft und trotzdem nicht jeden Terminwunsch erfüllen kann. Zumal aktuell auch die Grippe-Impfung laufe. „Es wäre sinnvoll, das Impfzentrum wieder zu öffnen“, erklärte Hill schon am 9. November. Sonst müsse es eine andere Unterstützung durch die Stadt geben. Die Stadt hat inzwischen darauf hingewiesen, dass es im November 43 mobile Impfangebote in Essen gebe und man diese weiter ausweiten werde.

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Nun, da die Politik das Impfgeschehen weitgehend in die Praxen verlagert habe, bringe das Ärzte und Teams „besondere Anstrengungen“ mit sich, heißt es auch bei der KVNO in Düsseldorf, die am Donnerstag (18. November) über die Situation und das weitere Vorgehen informieren will. Die Hausärztinnen und Hausärzte hätten seit anderthalb Jahren bewiesen, dass sie mit dieser Zusatzbelastung klar kämen, und auch aktuell schritten die Auffrischimpfungen flächendeckend voran: Insgesamt wurden in Essen bereits gut 16.500 Booster-Impfungen (Stand 8.11.) bei über 60-Jährigen durchgeführt.

Mobile Impfteams sollen die Hausärzte unterstützen

Ein Wiederhochfahren der Impfzentren sei daher nicht notwendig, hatte die KV noch am 9. November erklärt. „Umso wichtiger wird es in den kommenden Wochen und Monaten sein, den Praxen ausreichende Beinfreiheit bei der Durchführung der Auffrischungsimpfungen zu lassen“, sagte ein KV-Sprecher. Sprich: Dass sie „bevorzugt die vulnerablen Gruppen“ impfen können. Bei steigender Nachfrage nach Booster-Terminen, müsse man die Hausärzte mit mobilen Impfteams unterstützen. Das Land hatte bereits auf die Hilferufe der Ärzte reagiert: Mit einem Erlass vom Dienstag (9.11.) verpflichtet der NRW-Gesundheitsminister die Städte und Kreise, wohnortnahe Impfstellen einzurichten, um das Boostern zu beschleunigen.

Viele Pflegeheim-Bewohner sind schon „geboostert“

Laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) Nordrhein wurden in ihrem Zuständigkeitsbereich bislang (Stand 8.11.) rund 238.000 Booster-Impfungen bei über 60-Jährigen durchgeführt. Die Zahl der Impfpraxen im KV-Gebiet sei auf 3673 angestiegen. In Alten- und Pflegeheimen des Landes sind laut KV in den letzten neun Wochen mehr als 90 Prozent der Bewohner „geboostert“ worden.

Der neue Impfbus macht am Donnerstag, 18. November, auf dem Weihnachtsmarkt Halt. Wie die Stadt mitteilt, wird er zwischen 14 und 19 Uhr auf der Kettwiger Straße in Höhe der Hausnummer 39 stehen. Beim ersten Halt des neuen dezentralen Impfangebots am vergangenen Freitag am Cronenberg Center haben sich 312 Menschen immunisieren lassen.

Das dürfte auch Dr. Kim Bumbullies begrüßen, die als Hausärztin im Südviertel arbeitet: „Ich setze auf die Unterstützung durch die Stadt, vor allem für Patienten, die spontan eine Booster-Impfung wünschen, weil sie zum Beispiel bald in Urlaub fahren.“ Sie selbst könne so kurzfristig keine Impftermine vergeben, brauche etwas Vorlauf. Daher habe sie jüngere Patienten schon mal zum Impfbus geschickt und festgestellt, dass das Angebot noch besser beworben werden müsste: „Viele kannten das nicht.“

Bumbullies vergibt die Impftermine zuerst an ihre alten Patienten und die mit geschwächtem Immunsystem. Bisher hat sie täglich in der Mittagszeit ein Dutzend Impfungen gemacht: „Das reicht nicht mehr. Ab 23. November impfe ich jeden Dienstag von 12 bis 16 Uhr, in der Zeit kann ich gut 100 Impfungen schaffen.“ Schon die Terminvergabe sei für die Mitarbeiterinnen eine große logistische Herausforderung, zumal der normale Praxisbetrieb ja weiterlaufe.

Druck auf Ungeimpfte macht sich bemerkbar

Das Praxiszentrum Katernberg vergibt daher inzwischen auch Online-Impftermine. Außerdem betreiben die Ärzte hier schon seit April ein Mini-Impfzentrum im Gemeindezentrum: „Im Frühjahr haben wir täglich 180 Impfungen gemacht, jetzt sind es 70, 80, Tendenz steigend“, sagte Dr. Lutz Rothlübbers am 8. November. Angesichts des steigenden Interesses sei aber geplant, die aktuell zwei Impftage hochzufahren.

Anders als Hill und Bumbullies will Rothlübbers bereits jetzt „jedem Patienten, der eine Auffrischungsimpfung wünscht, einen Termin geben“, auch den Jüngeren. Noch können sie das leisten, obwohl sich in der Katernberger Praxis derzeit auch noch viele Patienten für die Erst- und Zweitimpfung melden. „Der wachsende Druck auf Ungeimpfte macht sich bemerkbar.“ Im Gespräch den Spät-Meldern erlebe er „schwer erklärliche Wissenslücken“. Rothlübbers wirbt daher für mehr noch mehr Aufklärung und mobile Aktionen, um Unwissende zu erreichen.