Essen. Einige Essener Gastronomen hatten letztes Jahr gerade neu eröffnet, als kurz darauf der Lockdown begann. Wie ihnen jetzt der Start gelang.

Wer einer früheren Kultkneipe, die diesen Begriff auch wirklich verdient hat, neues Leben einhaucht, geht davon aus, dass nichts schief geht. Das Lokal dürfte ein Selbstläufer sein. Doch Thorsten Kulmann und Sebastian Knepper hat es kalt erwischt, als sie den Bahnhof Süd im vergangenen Jahr übernahmen: Lockdown war angesagt.

Sebastian Knepper und Thorsten Kulmann haben das Holy Craft Süd neu eröffnet, hier gemeinsam mit Dennis Pfahl von der Essener Mücke-Brauerei.
Sebastian Knepper und Thorsten Kulmann haben das Holy Craft Süd neu eröffnet, hier gemeinsam mit Dennis Pfahl von der Essener Mücke-Brauerei. © Till Haarmann

Doch Gastronomen mit Leib und Seele, die sie nun mal sind, lassen sich nicht unterkriegen. Jetzt erst recht, sagten sich die beiden und nutzten wie auch andere Bars und Restaurant die Chancen, die ihnen blieben und bewiesen darüber hinaus Kreativität.

Nach Online-Tasting folgt nun Bier-Probe Vorort im Holy Craft Süd

Das Duo bot Abholservice an, neben diversen Bieren konnten sich Kunden Pizza to go beim Holy Craft Süd bestellen, wie das Lokal nun heißt. Der Name ist Programm und steht doch der Begriff für einen neuen Trend, nämlich handwerklich gebrautes Bier. In diesem Fall steht die Brauerei Mücke dahinter, die damit eine Marktlücke getroffen hat.

Die Biertastings, mit denen die Branche gute Erfahrungen gemacht hat, wollten auch Kulmann und Knepper gern mal ins Programm aufnehmen, aber wie, wenn keine Gäste kommen dürfen? Da wichen sie aufs Internet aus.

Neustart für „Käthe & Kalle“ an der Klarastraße

Wieder an den Start gegangen ist auch das Lokal „Käthe & Kalle“. David Tappeser und Daniel Milicevic haben das frühere Mittendrinn von Grund auf saniert und umgebaut.

Eine uriger Atmosphäre erwartet den Gast. Auf der Speisekarte findet er eine bunte Auswahl an gefüllten Brotlaiben, gebacken von einem heimischen Bäcker. Die kann er sich mit Gulaschsuppe, Currywurst oder Salat servieren lassen. Mit der Vesperplatte für den abendlichen Hunger knüpfen Betreiber an eher süddeutsche Traditionen.

Das Lokal, das Café, Kneipe und Bar miteinander vereint, bietet Platz für rund 80 Gäste, der Außenbereich ist da noch nicht mitgerechnet.

Mit einer Videoschalte konnten Fans des Gerstensaftes an einem Online-Tasting teilnehmen, der Sortenmix wurde ihnen zuvor nach Hause geliefert. Die Nachfrage konnte sich sehen lassen, so Kulmann, der sich nun weitere Tastings vorstellen kann, aber dann eben in der Kneipe.

Seit Kneipen wieder öffnen dürfen, erlebe man auch den erhofften Zuspruch, so Kulmann. Dass die Leute eher lieber draußen als drinnen sitzen, sei absolut verständlich. Viele Menschen bleiben momentan noch vorsichtig, sagt Kulmann.

Gastwirtin Rajka Trebjesanin: „Die Gäste halten zu mir und haben das gerade in Corona-Zeiten unter Beweis gestellt“.
Gastwirtin Rajka Trebjesanin: „Die Gäste halten zu mir und haben das gerade in Corona-Zeiten unter Beweis gestellt“. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Damit zur Eröffnung auch genug Servicekräfte an Bord waren, bedurfte es noch eines Kraftaktes. Zwar stand schon ein Team im vergangenen Jahr bereit, doch da hatte sich bis auf eine Ausnahme jeder einen anderen Job gesucht. Die beiden Gastronomen nahmen’s sportlich und fanden auch recht zügig neue Leute.

Viele Gäste kehrten in die Heisinger Gaststätte zurück

Ähnlich erging es auch Rajka Trebjesanin, die neue Pächterin des Lokals „Zur Alten Schmette“ in Heisingen. Im September vergangenen Jahres hatten sie die frisch renovierte Gaststätte übernommen. Da war natürlich die Nachricht vom Lockdown ein regelrechter Schock.

Doch rückblickend sagt die 56-Jährige, dass die Gäste „sich uns gegenüber sehr solidarisch gezeigt haben“. Das „to go“-Angebot habe eine große Nachfrage erlebt, denn die Leute wollten ihren Teil dazu beitragen, dass das Lokal eine Zukunft hat und nicht an oder wegen Corona scheitert.

Inzwischen sei ein großer Teil der Gäste zurückgekehrt, Personal habe sie auch gewinnen können. Aufgrund der Hygieneregeln müsse man die Zahl der Terrassenplätze zwar auf 40 beschränken, aber dass der Betrieb überhaupt wieder laufen könne, sei schon ein Wohltat. Ihr positives Denken habe unter Corona nicht gelitten, betont die Inhaberin des Restaurants, das mit Balkanspezialitäten und internationalen Gerichten aufwartet.

Rudi Raheema: Familiensinn ist schon die halbe Miete.
Rudi Raheema: Familiensinn ist schon die halbe Miete. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Essener Gastronom will über Stadtteilgrenzen hinweg das Gäste anlocken

Auf die rheinische Küche kapriziert hat sich der neue Betreiber der „Schönebecker Schweiz“. Sein Name: Rudi Raheema. Der 34-Jährige, stammt aus dem Nordirak und einer Familie, die zahlreiche Köche in ihren Reihen weiß. Seine Verwandtschaft floh und ist mittlerweile über viele Kontinente verteilt – Rudi Raheema selbst zog es nach Essen, wo er sich eine neue, eigene Existenz aufbauen möchte.

Auch für ihn war der Lockdown eine böse Überraschung, die ihn fürchten ließ, der ganze Traum könne auf einmal wieder platzen. Doch zunächst einmal zeigte der Hausbesitzer Entgegenkommen, Raheema musste keine Miete zahlen. Und ebenso bleiben auch die Gäste, die meist in unmittelbarer Umgebung leben, ihm treu während der „to go“-Zeit.

Als es nun wieder los ging, brauchte er Hilfe, sein Bruder war sofort zu Stelle. Familiensinn sei schon die halbe Miete, sagt Raheema, der nach und nach mehr Gäste aus den nahe gelegenen Stadtteilen gewinnen möchte.

Banu Osmancelebioglu mit Ehemann Erdal: Gespräche mit den Kunden gaben ihr während des Lockdowns viel Auftrieb.
Banu Osmancelebioglu mit Ehemann Erdal: Gespräche mit den Kunden gaben ihr während des Lockdowns viel Auftrieb. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nach Zeiten in der Flugbranche folgte Eröffnung eines Cafés in Rüttenscheid

Ein Café mit italienischem Flair hatte Banu Osmancelebioglu schon einige Zeit im Sinn, als die Pandemie begann und sie sich fragte, wie wohl ihre berufliche Zukunft in der Flugbranche aussieht. Sie wagte den Schritt in die Selbstständigkeit vor dem zweiten Lockdown im vergangenen Jahr und ließ sich auch nicht von ihrem Kurs abbringen, als die Cafés schließen mussten und nur noch Abholservice möglich war.

Dass ihr Mut nicht nur durch die Nachfrage, sondern auch in persönlichen Gesprächen Anerkennung fand, habe ihr großen Auftrieb gegeben. Inzwischen ist das Café geöffnet, Kaffee, Gebäck und Imbiss dürfen Essenerinnen und Essener hier nun drinnen genießen.