Essen. Die Gewerkschaft NGG spricht von einer „dramatischen Abwanderung“ und legt Zahlen vor. Die Entwicklung spielt ihr dabei aber auch in die Karten.
Das Hotel- und Gaststättengewerbe in Essen hat während der Corona-Pandemie viele Arbeitskräfte verloren. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht von „einer dramatischen Abwanderung“ und beruft sich auf Zahlen der Arbeitsagentur.
Demnach beschäftigte das Hotel- und Gaststättengewerbe in Essen zum Jahreswechsel 9209 Menschen. Genau ein Jahr zuvor – vor Ausbruch der Corona-Pandemie – seien es noch 11.576 Mitarbeiter gewesen. Damit hätten innerhalb von zwölf Monaten 20 Prozent der Beschäftigten die Branche verlassen und somit jeder Fünfte.
Vor allem die langen Phasen der Kurzarbeit sind aus Sicht der NGG der Grund für die Abwanderung gewesen: „Gastro- und Hotel-Beschäftigte arbeiten sowieso meist zu geringen Löhnen. Wenn es dann nur noch das deutlich niedrigere Kurzarbeitergeld gibt, wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen“, betonte Martin Mura, Geschäftsführer der NGG-Region Ruhrgebiet.
Vor allem Ungelernte suchten sich neue Jobs
Nach Erfahrungen der Arbeitsagentur in Essen kehrten vor allem Servicekräfte, Küchenhelfer, Spüler und Reinigungskräfte der Gastronomie den Rücken. Vielfach sind das Jobs, die keine Ausbildung voraussetzen. Sie fanden in anderen Branchen wieder Arbeit, in denen ebenfalls keine Fachkenntnisse notwendig sind - beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel, als Auslieferungsfahrer oder bei Postdienstleistern. Und das meist ohne Gehaltseinbußen. Viele wollten nun auch nicht mehr in die Gastronomie zurückkehren, so die Erfahrungen der Arbeitsagentur. Dabei spiele wohl auch die Unsicherheit eine Rolle, ob es wieder zu Schließungen kommt.
Die Gewerkschaft geht unterdessen davon aus, dass sich der Mitarbeiterschwund in den ersten Monaten dieses Jahres mit dem anhaltenden Lockdown weiter verschärft hat. Die Folgen für die Betriebe sind nach Ansicht der Gewerkschaft fatal: „Ausgerechnet in der Sommersaison fehlt einem Großteil nun schlicht das Personal, um die Gäste bewirten zu können“, sagte Mura. Für betroffene Gastronomen könne dies durchaus geschäftsgefährdend sein, räumte Moritz Mintrop ein, Vorsitzender des Branchenverbandes Dehoga in Essen.
Gewerkschaft dringt auf bessere Arbeitsbedingungen
Dass Arbeitgeber viel Personal verloren hätten und nun händeringend neue Kräfte suchten, hält die Gewerkschaft allerdings für hausgemacht. „Schon vor Corona stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen“, kritisierte Gewerkschafter Mura. Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote unter Azubis seien „strukturelle Probleme“. Die Unternehmen hätten es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. „Das rächt sich jetzt“, meinte Mura.
Die Gewerkschaft kämpft schon länger für einen Tarifvertrag in der Branche und sieht sich nun im Aufwind: Laut NGG hätten Wirte und Hoteliers jetzt die Chance, die Branche neu aufzustellen. Zwar seien viele Firmen schwer durch die Pandemie getroffen. „Doch wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen will, muss jetzt umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bekennen“, forderte der Gewerkschafter.
Auch Arbeitgeber-Vertreter für höhere Löhne
Unternehmer Moritz Mintrop vom Essener Dehoga-Verband kann der Forderung der Gewerkschaft nach besserer Entlohnung durchaus folgen. „Die Bezahlung in der Branche muss nach oben gehen“. Allerdings gehe das nur im Rahmen der Möglichkeiten. „Umsatz und Ergebnis müssen dafür stimmen. Doch davon sind wir noch weit entfernt“, betonte er. Er forderte die Politik auf, die Gastronomie dabei zu unterstützen, bessere Löhne zu zahlen. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Getränke und Speisen müsse dauerhaft bestehen bleiben.
Aus seiner Sicht ist allerdings eine höhere Bezahlung nicht alleiniges Mittel, gute Kräfte an einen Betrieb zu binden. „Sie muss fair sein, ist aber nicht alles.“ Genau so wichtig sei eine „angenehme Kultur im Unternehmen.“ Sein Hotel- und Gastronomieunternehmen habe während der Pandemie lediglich zwei Mitarbeiter verloren. Mintrop spürte einen Teamgeist nach dem Motto: „ Wir gehen zusammen durch die Krise.“
Er und das Management hätten vor allem darum gekümmert, mit den Beschäftigten Kontakt zu halten - sei es über regelmäßige Zoom-Treffen oder Whatsapp-Gruppen. „Wir haben unseren Angestellten darüber hinaus aktiv Arbeitsangebote während der Kurzarbeit gemacht oder sogar Jobs vermittelt.“
Einen Tarifvertrag für die Branche lehnt Mintrop dagegen ab. „Ich glaube, dass das der Markt regelt. Wer als Gastronom schlecht bezahlt und eine schlechte Firmenkultur hat, wird das zu spüren bekommen.“