Essen. Die Mobilitätswende in Essen soll Fahrt aufnehmen: Erstmals fand dazu ein Bürgerforum digital statt. Diese Themen wurden konkret diskutiert.

Wie kann die Mobilitätswende gelingen? Das diskutierten am Samstag (19. Juni) mehr als 300 ausgewählte Essener mit Experten in einem Bürgerforum. Angesprochen wurden die Themenfelder „Kurze Wege“, „Sicher unterwegs“, „Parken“, „Umgestaltung des Straßenraumes“, „Pendeln“ und „Vernetzte Mobilität“. Das Neue: Zum ersten Mal fand eine solche Art der Bürgerbeteiligung digital statt. Die Resonanz war bei allen Beteiligten durchweg positiv. Es wurden konkrete Wünsche an die Stadt geäußert. Die Ergebnisse sollen in den Essener Mobilitätsplan einfließen, der bis 2023 fertiggestellt sein soll.

„Wir haben in den Gruppen sehr sachlich und konstruktiv argumentiert. Das fand ich sehr gut und angenehm, weil gerade Verkehrsthemen oft emotional besetzt sind“, resümierte Carsten Schoch am Ende des sechsstündigen Forums. Der 37-Jährige nahm das erste Mal an einem Bürgerforum teil. Er selbst ist passionierter Radfahrer, findet es aber wichtig, dass auch die Positionen der anderen Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt behandelt werden. „Wer von A nach B kommen will, soll dies sicher und ohne Einschränkungen tun können.“

Angebotsstruktur muss für jeden Bürger abrufbar sein

Verbesserungswürdig sei die Infrastruktur bei den Fuß- und Radwegen, so der einhellige Tenor, den die Experten aus den städtischen Ämtern für Bauen und Verkehr sowie der Ruhrbahn AG aus den Workshops mit auf den Weg bekamen. Der Nahverkehr müsse gut erreichbar sein – und vor allen Dingen sollten Busse und Bahnen häufiger fahren. Denn: Nicht alle Menschen sind körperlich in der Lage oder wollen das Fahrrad nutzen. Angeregt wurden Bonussysteme für Strecken, die ohne Auto zurückgelegt werden.

„Die Vernetzung der verschiedenen Verkehrswege ist auf jeden Fall eine Notwendigkeit. Aber wie das Angebot ausschaut, das muss auch jeder mitkriegen“, erklärt Teilnehmer Carsten Schoch. Eine leicht abrufbare Angebotsstruktur und trotzdem leicht zugänglich – das wurde als klarer Wunsch an die Stadt herangetragen, weil eben nicht alle Bürger technikaffin sind.

Im Bürgerforum Mobilitätswende wurden die Beteiligten auch gefragt, bei welchen Themen in den Diskussionsrunden Konflikte aufkamen. Die Begriffe wurden in einer „Themenwolke“ auf dem Bildschirm sichtbar gemacht.
Im Bürgerforum Mobilitätswende wurden die Beteiligten auch gefragt, bei welchen Themen in den Diskussionsrunden Konflikte aufkamen. Die Begriffe wurden in einer „Themenwolke“ auf dem Bildschirm sichtbar gemacht. © Stadt Essen

Trotz großer Einigkeit gibt es auch Konfliktpotenzial

Eine strikte Verbannung des Autos, das möchte keiner. Als Lösung für fehlenden Parkraum in den Wohngebieten und in der Innenstadt können sich die Bürger Parkhäuser oder Garagenhöfe, wie sie bis in die 70er Jahre hinein üblich waren, als Lösung vorstellen. Dass diese Anlagen natürlich auch Sicherheitsstandards entsprechen müssen, damit keine Angsträume entstehen, sei dabei zu berücksichtigen. Bei Falschparkern auf Gehwegen solle die Stadt schneller durchgreifen, so die einhellige Meinung.

Drei Bürgerinnen und Bürgern bot die Stadt Essen die Möglichkeit, im Rathaus an der Veranstaltung teilzunehmen und technische Unterstützung zu erhalten.
Drei Bürgerinnen und Bürgern bot die Stadt Essen die Möglichkeit, im Rathaus an der Veranstaltung teilzunehmen und technische Unterstützung zu erhalten. © Stadt Essen | Moritz Leick

Konfliktpotenzial sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Diskussionsrunden unter anderem bei den Themen Tempo 30, E-Scooter, Ampeltaktung, Parkplätze und Fahrradstraße, wenn es darum geht, bis 2035 den sogenannten Modal-Split (je 25 Prozent ÖPNV, Fußverkehr, Radverkehr und Autoverkehr) im Stadtverkehr hinzubekommen. 41,7 Prozent der Teilnehmer finden, dass die Stadt das Tempo zur Umsetzung der Mobilitätswende anziehen muss. Wobei als hemmend die Bürokratie, die Kosten und städteübergreifende Kooperationen (und damit verbundene Abstimmungsprozesse) gesehen werden.

„Rückenwind für die Verwaltung, jetzt konkret zu handeln“

Simone Raskob, Beigeordnete des Geschäftsbereichs Umwelt, Verkehr und Sport der Stadt Essen, versteht die Veranstaltung als „Rückenwind für die Verwaltung, jetzt konkret zu handeln“. Die Ergebnisse machten Mut. Begeistert zeigte sie sich überdies von dem digitalen Format, das ihr Spaß gemacht habe.

Losverfahren entschied über Teilnahme

Die Auswahl der Teilnehmenden am Bürgerforum erfolgte durch ein Losverfahren und wurde repräsentativ nach den Kriterien Geschlecht, Alter, Stadtteil und Staatsangehörigkeit vorgenommen. Alle Bürgerinnen und Bürger hatten somit identische Chancen, gezogen zu werden. Sie benötigten keinerlei Vorwissen.

Älteste Teilnehmerin war eine 87-Jährige. Sie und zwei weitere Bürger bekamen Laptop-Plätze im Rathaus gestellt, um beim Digitalforum dabeisein zu können.

Die inhaltliche Vorbereitung und Organisation des Bürgerforums hat rund ein Jahr in Anspruch genommen. Gemeinsam mit den Kommunalberatern des Büros „IKU_Die Dialoggestalter“ hat die Essener Stadtverwaltung unter Federführung der Grünen Hauptstadt Agentur in Workshops die Grundlage erarbeitet.

Die Durchführung des Bürgerforums kostete nach Angaben der Stadt rund 147.000 Euro.

Oberbürgermeister Thomas Kufen freute sich, „dass so viele Bürgerinnen und Bürger Interesse hatten, miteinander zu diskutieren, ihre Ideen und Meinungen aktiv einzubringen“. Für ihn habe es sich wieder einmal bestätigt, dass die Menschen ihre Heimatstadt gestalten wollten „und kompetente Alltagsexperten sind“. Die Anregungen aus dem Forum würden der Stadtverwaltung helfen, eine nachhaltige, emissionsärmere Mobilität für alle zu gestalten und den Umstieg zu erleichtern.

Ergebnisse werden von den Bürgerreportern zusammengefasst

Das Bürgerforum ist ein Baustein im Beteiligungsprozess. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse ausgewertet und zusammengefasst. Daran arbeiten die zwölf Bürgerreporter mit, die sich aus dem Plenum heraus gemeldet haben. Im Anschluss werden die Ergebnisse in die politischen Gremien eingebracht und der Öffentlichkeit vorgestellt. 14 Bürgerbotschafter werden dann weiter gemeinsam mit der Stadtverwaltung an dem Thema arbeiten. Weitere Workshops sollen folgen.

Und: Die positiven Erfahrungen aus dieser ersten digitalen Bürgerbeteiligung nehme er mit, so OB Thomas Kufen, um im kommenden Jahr ein weiteres wichtiges Thema aufzugreifen, nämlich die Digitalisierung der Stadt Essen.