Essen. Corona hat die Probleme der Essener Innenstadt verschärft. Statt rein auf Handel zu setzen, sind neue Ideen gefragt. Erste Ansätze gibt es.

60 Blumenampeln haben sie in Essen zwischen Kopstadtplatz, Viehofer Platz, Viehofer Straße und Weberplatz schon aufgehängt. Und nun planen die Geschäftsleute und Hausbesitzer der Immobilien- und Standortgemeinschaft City.Nord ein weiteres Projekt, um einen Anstoß für eine attraktivere Innenstadt zu geben.

Visionen für die nördliche Innenstadt haben die Mitstreiter um Frank Baumeister, den Vorsitzenden der Interessengemeinschaft, zwar schon lange. Doch nun wollen sie nicht mehr auf den großen Wurf warten, sondern beginnen selbst mit kleinen Projekten, wie Baumeister sagt.

Ihre neuste Idee: Auf einer Parkfläche an der Rottstraße will die Interessengemeinschaft ein sogenanntes Parklet aufbauen. Das sind Sitzgelegenheiten aus Holz gepaart mit Grün. Dafür müssten zwei bis drei Parkflächen wegfallen. Bänke statt Blech. In der Gemarkenstraße in Holsterhausen steht so eine Sitzinsel bereits seit letztem Jahr.

Mehr Aufenthaltsqualität gepaart mit neuen Mobilitätsformen

Baumeister weiß um die Kontroversen, die häufig geführt werden, wenn öffentlicher Parkraum gestutzt wird. Doch er hofft auf ein Umdenken, auch in den politischen Gremien. Der Arbeitskreis Innenstadt habe das Vorhaben bereits wohlwollend aufgenommen. Noch im Juni soll sich die zuständige Bezirksvertretung I eine Meinung dazu bilden.

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Für die Interessengemeinschaft geht es dabei nicht nur um eine Verschönerung des Stadtbildes und um mehr Aufenthaltswert, sondern es soll auch ein Teil der angestoßenen Mobilitätswende werden. Denn ihr Parklet, das von der Jugendberufshilfe gebaut wird, soll eine Ladestation für E-Bikes enthalten.

Wie die 60 Blumenampeln so ist auch das Parklet nur ein kleiner Baustein, um den dringend notwendigen Wandel der Innenstadt voranzubringen. „Natürlich retten sie allein nicht die Innenstadt. Aber irgendwo muss man mal anfangen“, meint Baumeister.

Corona: Gute Zeit für neue Ideen

Die aktuelle Pandemie könnte es neuen Ideen leichter machen. „Der Wandel der Innenstadt wird ja schon länger beklagt. Seit Corona aber kann keiner mehr wegschauen“, glaubt Baumeister. Die Wunden, die der Handel hinterlassen könnte, sei auch eine Chance, die Innenstadt vielschichtiger zu gestalten. „Wir brauchen mehr urbanen Mix.“

Ein sogenanntes Parklet auf der Gemarkenstraße. Eine ähnliche Sitzinsel wollen Geschäftsleute jetzt in der Essener Innenstadt aufbauen.
Ein sogenanntes Parklet auf der Gemarkenstraße. Eine ähnliche Sitzinsel wollen Geschäftsleute jetzt in der Essener Innenstadt aufbauen. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Noch gibt es die befürchtete große Schließungswelle von Geschäften in der Innenstadt nicht. Nur an einigen Stellen sind die Folgen von Corona bislang zu sehen: Kaufhof, Douglas, Hallhuber (auf der Limbecker Straße) gibt es nicht mehr.

Die kommenden Wochen und Monate könnten jedoch deutlicher sichtbar machen, wie schwer der Handel von der Corona-Krise getroffen wurde. Makler Gunnar Marx, Geschäftsführer der Lehmkühler GmbH und selbst Eigentümer von Handelsimmobilien, weiß, dass hinter den Kulissen entscheidende Verhandlungen zwischen Mietern und Vermietern laufen. Es geht um die Frage, wie beide Seiten mit den ausgesetzten Mietzahlungen im Lockdown umgehen. „Besonders im Filialistenbereich gibt es Liquiditätsengpässe. Die Händler sind daher auf die Unterstützung der Eigentümer angewiesen“, weiß Marx.

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Je nachdem, wie die Gespräche ausgehen, könnte das „kriegsentscheidend sein“, ob demnächst Läden schließen müssen. Dann würde es auch zu Leerständen kommen, denn das Vermietungsgeschäft ist nicht leichter geworden.

Vermietung leerstehender Läden: Dienstleister suchen, Textil ist tot

In der derzeitigen Lage neue Mieter zu finden, ist es aber auch nicht unmöglich. Marx hat erst vor kurzem einen leerstehenden Laden auf der Limbecker Straße an die türkische Parfümeriekette David Walker vermittelt, die in Essen ihr deutschlandweit erstes Geschäft eröffnen wird.

Vor allem aber Dienstleister und neue gastronomische Konzepte suchen auch in der Pandemie weiter Ladenflächen, berichtet der Makler. Textil dagegen sei tot. „Alles, was nicht vom Onlinehandel betroffen ist, wird auch in Zukunft funktionieren.“ Deshalb werden gerade Nahversorgungsangebote wie Lebensmittel in Innenstädten eine Renaissance erleben, prophezeit er.

Ein Chance für den Wandel der Innenstadt liegt aber auch in einem anderen Punkt: Die Mieten in der City sind in den vergangenen Jahren regelrecht abgesackt. Marx kennt Fälle, bei denen der Vermieter bei der Neuvermietung mehr als die Hälfte der bisherigen Miete nachlassen musste. Für Eigentümer ist das bitter. Aber damit werden die Ladenmieten auch für regionale Händler erschwinglich, die sich bislang nur Filialisten leisten konnten.

Publikum in der Essener City hat sich verändert

Damit könnte die City stärker weg von der Einförmigkeit kommen, die die Handelsketten vielen Innenstädten in der Vergangenheit übergestülpt haben. Ob die Essener Innenstadt davon in Zukunft profitieren könnte, hängt natürlich davon ab, ob solche neuen Händler dort auch ihre Perspektive sehen.

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Marx spricht dabei offen an, dass sich das Publikum in den vergangenen Jahren in der Innenstadt verändert hat. Die kaufkräftigen Kunden haben ihr vielfach den Rücken gekehrt. „Einen Anzugträger in der Innenstadt müssen Sie schon suchen“, sagt er etwas überspitzt. Die Qualität des Publikums sei aber kein rein Essener Problem sondern ein ruhrgebietsweites.

Die stark nachlassenden Mieten könnten derweil noch einen weiteren Effekt haben: Bislang war es für Eigentümer häufig auskömmlich, nur die unteren Etagen zu vermieten. Die oberen Geschosse standen vielfach leer. Nun wächst der Druck, auch diese zu nutzen, zum Beispiel für Wohnen oder Arbeiten. Experten sagen längst voraus: Innenstädte, die in der Vergangenheit vom Einzelhandel dominiert wurden, müssen in Zukunft heterogener werden, wenn sie eine Zukunft haben wollen.

Wertige Geschäfte, die an die Innenstadt glauben

Generell macht sich Makler Gunnar Marx keine Sorgen mit Blick auf die Zeit nach der Pandemie. „Die Innenstadt wird weiter ihre Daseinsberechtigung haben.“ Marx verweist auf Entwicklungen, die Hoffnung machen: der Herrenausstatter Ansons, der nach Essen zurückgekehrt ist, genauso wie Sinn oder der Haushaltwarenhändler WMF – der zwar umgezogen ist, aber in Essen bleiben wollte. Auch für die leerstehende Douglas-Filiale auf der Kettwiger gebe es bereits wieder Interessenten. „Es ist ja nicht so, dass sich nur Discount und Ramsch ansiedelt“, betont Marx.

Lampions, Wimpelketten und bunte Lichter hat die EMG über den Kennedyplatz gespannt. Ein Farbtupfer auf dem großen, grauen Platz.
Lampions, Wimpelketten und bunte Lichter hat die EMG über den Kennedyplatz gespannt. Ein Farbtupfer auf dem großen, grauen Platz. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Die Essen Marketing Gesellschaft (EMG) weiß, dass es jetzt mehr denn je darauf ankommt, Aufbruchstimmung zu verbreiten. „Wer den Kopf in den Sand steckt, ist weg“, sagt City-Managerin Svenja Krämer. Einfach ist das jedoch nicht, denn Corona verbietet nach wie vor Veranstaltungen mit größeren Menschenansammlungen. So muss unter anderem der längst geplante Feierabendmarkt auf dem Willy-Brandt-Platz weiter auf Eis liegen, auch das große City-Festival Essen.Original wird 2021 wieder ausfallen.

Essen Marketing arbeitet am Freizeitwert der Essener Innenstadt

Dafür soll nun im Juli das Straßenkunst-Festival starten, und Menschen über mehrere Wochen in die Innenstadt locken. Das sollen kurzfristige Antworten sein, um dem Handel und der Gastronomie in der Innenstadt auf die Beine zu helfen.

Auch mittelfristig arbeitet die EMG daran, den Freizeitwert nach Corona in der Innenstadt zu erhöhen und breiter aufzustellen. Dazu gehört das Gastronomiekonzept, das gerade in Arbeit ist, wie auch regelmäßige Veranstaltungen. „Wir setzen dabei auch auf kleinere Formate“, sagt Krämer. Ziel soll sein, dass an jedem Wochenende in der Innenstadt etwas los ist. Denn „Shoppen allein reicht nicht mehr aus“, weiß die City-Managerin. Derzeit gebe es zudem zwei konkrete Anfragen aus dem Bereich Freizeit/Entertainment, die für ihre Konzepte in der Innenstadt Flächen suchen.

Die Innenstadt neu aufzustellen sei kein Sprint, eher schon ein Marathonlauf, sagt Krämer. Die EMG allein kann es ohnehin nicht richten, sieht sich vor allem in der Rolle als Moderator und Netzwerkpartner. Der Schlüssel für die Innenstadtentwicklung seien die Immobilieneigentümer, betont die City-Managerin. „Wir brauchen Pioniere, die etwas bewegen wollen.“