Essen. Bundesweit bieten immer mehr Theater kostenpflichtige Online-Angebote an. Wie die hiesigen Bühnen mit dem Pandemie-Trend umgehen.
Ob in Berlin, München, Hannover oder der Nachbarstadt Bochum - seit dem ersten Lockdown entwickelt sich Theater- und Konzertstreaming zu dem Instrument der Wahl, um Kultur an das geneigte Publikum zu bringen. Streams existieren in den unterschiedlichsten Qualitäten, mit Bezahlung oder ohne. Obwohl in Essen hohes Zuschauerinteresse in Form von Klickzahlen registriert wird, bleiben auch die weiteren Online-Angebote kostenfrei.
„Live-Streaming ersetzt das Live-Erlebnis nicht“, ist Schauspielintendant Christian Tombeil überzeugt und gibt zu bedenken: „Es ist teuer und aufwendig.“ Um eine gute Qualität zu bekommen, muss schon Geld in die Hand genommen werden. Ein versiertes Filmteam ist notwendig, um nicht nur abgefilmtes Theater zu bieten. Daher hat das Schauspiel Essen einzig ein aufbereitetes Video von „Der Zauberer von Oz“ verwendet, das für Zuschauer zu Weihnachten als Geschenk abrufbar war.
Stücke müssen für das Streaming extra bezahlt werden
„Viele Rechtefragen sind einfach nicht geklärt“, meint Christian Tombeil. So müssen Aufführungsrechte für diese Verwendung der Stücke extra bezahlt werden. Bei Shakespeare sei das unproblematisch, so Tombeil, bei lebenden Autoren wie Elfriede Jelinek, von der die Übersetzung für die bereits geprobte Komödie „Bunbury“ stammt, „sind die Kosten knackig“. Und „genau genommen müssen auch die Schauspieler und Musiker zusätzlich honoriert werden“.
Bei einer Bezahlschranke gibt es für den Schauspielchef zu viele Unwägbarkeiten: „Wie viele Zuschauer würden für Online-Theater zahlen? Wenn wir zum Beispiel 5.000 Euro ausgeben, wissen wir nicht, was reinkommt. Wie sollen wir das betriebstechnisch lösen“, fragt Tombeil. Eine andere Technik erscheint ihm da wesentlich angebrachter, „weil sie eine eigene Ästhetik mit sich bringt“.
VR-Brillen zeigen die Bühne in 360-Grad-Perspektive
Eigens produzierte Virtual-Reality-Inszenierungen lassen den Zuschauer zuhause mit ausgeliehenen VR-Brillen die Bühne in 360-Grad-Perspektive erleben. Das Theater Augsburg hat damit bereits Erfahrungen gemacht. Stücke wie „Oleanna“, „Judas“ oder das Ballett „bolero“ sind dort im Angebot. „Wenn ich mich an digitalen Formaten beteilige, dann mit VR-Brillen. Die kann man noch im theaterpädagogischen Bereich nutzen“, so Christian Tombeil. „Wir überlegen, ob wir es mit Falk Richters Drama ,Fünf gelöschte Nachrichten‘ versuchen.“
Während im Schauspiel noch verhandelt wird, hat im Aalto-Theater „Der Bajazzo“ schon seinen letzten Schliff erhalten. „Nun gehen wir in eine Pause“, so Hein Mulders, Intendant des Musiktheaters und Philharmonie. Ab April soll es live weitergehen, wenn es Corona zulässt. Mit Leoncavallos Werk sowie mit der fertig produzierten Oper „Dido and Aeneas“ und dem Ballett „Tütü mit Schuss“.
Online-Angebote halten Kontakt zum Zuschauer
Bis dahin überbrücken weiterhin Konzerte das Warten auf das Bühnenprogramm, die als Live-Stream zu sehen sind. „In der Weihnachtszeit haben wir einen Schwerpunkt gesetzt. Jetzt sind es zwei pro Monat, die gestreamt werden, um mit dem Publikum in Verbindung zu bleiben. Wir sind ja in Kurzarbeit“, sagt Mulders. „Wir haben uns bewusst für Gratis-Konzerte entschieden. Wir wollten die Schwelle für die Zuschauer nicht erhöhen“, sagt er. Konzerte seien auch einfacher umzusetzen oder zu verschieben.
Opern sollen nicht gestreamt werden, „weil wir die live präsentieren wollen und die Kosten intensiver sind“. Üblicherweise werden sie mehrmals gezeigt und mit einem Stream nimmt man sich die Chance, das Publikum bei Öffnung der Theater wieder ins Haus zu holen. Leisten könne man sich die Konzertstreams, da einige Betriebskosten wegfallen. Was die Medienpauschale für die Musiker angeht, habe man sich geeinigt, die Rechtefrage in der Pandemie-Zeit zu parken, „da wir keine Einnahmen haben“.
Kooperation mit der Folkwang Universität senkt die Kosten
Bei den Kosten kommen Aalto-Theater und Philharmonie günstig weg dank einer Kooperation mit der Folkwang Universität. Das dort angesiedelte Institut für Computermusik und elektronische Medien (ICEM) mit dem Bassisten und Dozenten Maximilian Schmitz als Produktionsleiter hat die Aufgabe im vergangenen November übernommen. Mit sieben Kameras und sechs weiteren Mitarbeitern wird ein Stream umgesetzt. „Wir können mit geringerem Aufwand arbeiten und die Zuschauer trotzdem mitnehmen“, erklärt Schmitz den Unterschied zu Firmen auf dem freien Markt.
Die Qualität der Bilder lässt nichts zu wünschen übrig, was 38.000 Aufrufe und begeisterte Zuschauerreaktionen beim Weihnachtskonzert mit Götz Alsmann zeigten. Das liegt an einem Team, das aus diplomierten Musikern, Komponisten und Studenten besteht, und mit Maximilian Schmitz einen Frontmann hat, der eine Partitur lesen kann und jahrelang Produktionsleiter bei einem großen Sender war. „Ich bin der, der die Kameraleute steuert, um die Klangkörper bestmöglich ins Bild zu setzen“, sagt Maximilian Schmitz. „Der Ton kommt vom Haus“ mit bis zu 40 Mikrofonen.
Was ist das ICEM an der Folkwang Universität?
Das Institut für Computermusik und elektronische Medien (ICEM) ist das älteste fachbereichsübergreifende Institut der Folkwang Universität der Künste.
Seit seiner Gründung 1990 berät das ICEM, vormals das Elektronische Studio (ab 1971), Studierende beim Einsatz von elektronischen Medien im Rahmen ihrer Projekte.
Neben den Elektronischen Studios gibt es ein Tonaufnahmestudio, ein Studio für audio-visuelle Medien und ein Projektstudio für popularmusikalische Projekte. Daneben betreut das ICEM eine Vielzahl von Veranstaltungen in- und außerhalb der Hochschule.
Weitere Informationen unter: https://icem.folkwang-uni.de/icem-web/
Er hat mittlerweile selbst eine Produktionsfirma in Mülheim und dort vor 20 Jahren bei einem Drachenbootrennen zum ersten Mal gestreamt. Seither hat sich technisch viel verändert, „die Akzeptanz der Künstler, sich so darzustellen, hat zugenommen und Zuschauer haben die Möglichkeit, überhaupt Kultur zu erleben“. Dennoch sieht er einen Rückgang beim Streamen schon kommen: „Ganz verschwinden wird es nicht mehr. Aber die meisten Zuschauer werden zum Live-Erlebnis zurückkehren.“
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