Essen. Kein Silvesterkonzert, kein Weihnachtsstück: Weil die Bühnen dicht sind, erleben Essens Künstler ungewohnt stille Festtage. Doch der Trubel fehlt

Normalerweise ist Christina Clark für das weihnachtliche Kontrastprogramm im Aalto-Theater zuständig. Jingle Bells statt Klingglöckchenkling. Das „Swinging Christmas“-Programm ist seit über 20 Jahren Kult und sonst regelmäßig ausverkauft. „An dem Abend kommt bei mir immer erst richtige Weihnachtsstimmung auf“, erzählt die Sopranistin. Doch Corona und Christmas-Jazz wollen in diesem Jahr nicht zusammengehen. Das Programm fällt aus wie so viele Vorstellungen in diesem Jahr. Bis mindestens Mitte Januar bleiben alle Häuser der Essener Theater und Philharmonie geschlossen. Für Künstler und Publikum ist das eine Situation, wie es sie noch niemals gab.

Aalto-Sängerin Christina Clark.  
Aalto-Sängerin Christina Clark.  

Es ist ein tiefer Einschnitt, obwohl sich Christina Clark und ihre Kollegen als Künstler mit Festengagement noch zu den privilegierten Kulturschaffenden zählen können. An diesem Samstag, 12. Dezember, 20.15 Uhr, immerhin steht sie wieder einmal auf der Bühne. Zusammen mit Entertainer Götz Alsmann und den Kollegen der Essener Philharmoniker wird sie doch noch weihnachtliche Stimmung verbreiten - in einem menschenleeren Konzertsaal, aber vor laufender Kamera.

„Ich denke, dass das Publikum schon auf uns wartet“

Livestreams sind derzeit die einzige Verbindung zum Publikum, doch die Sängerin vermisst wie viele Kollegen die echte Begegnung. Die letzte „Orfeo ed Euridice“-Vorstellung vor dem zweiten Lockdown bleibt ihr unvergesslich. „Die Menschen sind aufgestanden und haben uns signalisiert: Wir vermissen euch. Das war ein bewegender Abend.“ Christina Clark hofft, dass bald auch die Premiere von „Dido und Aeneas“ nachgeholt werden kann. „Ob da nun 250 oder 1100 Leute im Publikum sitzen, ist für mich nicht schlimm. Hauptsache spielen.“ Und so vermittelt jede Probe auch ein bisschen Hoffnung auf einen Neustart: „Ich denke, dass das Publikum schon auf uns wartet.“

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Schauspielerin Beatrix Strobel
Schauspielerin Beatrix Strobel © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Warten, das hat Beatrix Strobel in diesem Jahr schon ausreichend praktiziert. Nur mit dem Spielen will es für den Neuzugang im Grillo-Ensemble einfach nicht klappen. Als sie im Frühjahr nach dem Studium an der Berliner Ernst-Busch-Schule nach Essen gewechselt ist, da sollte sie eigentlich in Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung von Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ dabei sein. Das Corona-Virus hatte bekanntlich andere Pläne und legte die Proben nach wenigen Tagen lahm. Vor dem zweiten Lockdown hat die Jungschauspielerin mit den Proben zu „Bunbury – Ernst ist das Leben“ begonnen. Und mancher Kollege hat schon geulkt: „Wenn du anfängst, kommt bestimmt die zweite Welle.“ Sie kam und hat auch Strobels zweiten Debüt-Anlauf erst einmal ausgebremst.

Dabei, findet die gebürtige Münchnerin, wäre die turbulente Wilde-Komödie momentan doch ein guter Stimmungsaufheller. „Es wäre einfach toll, den Leuten mal wieder einen schönen Abend zu bereiten. Man fühlt sich ein bisschen nutzlos.“ Ob der nächste Premieren-Termin Mitte Januar gehalten werden kann, ist mehr als fraglich. Aber wenn der Vorhang dann irgendwann wirklich hochgeht, „dann wird das bestimmt die unvergesslichste Premiere“, zeigt sich die 23-Jährige optimistisch.

Andreas Hebeler ist Posaunist der Essener Philharmoniker  
Andreas Hebeler ist Posaunist der Essener Philharmoniker   © Saad Hamza

Kein Neujahrskonzert, kein Dienst am Silvesterabend. Andreas Hebeler wird in diesem Jahr ungewohnt beschauliche Feiertage verbringen. Dabei ist der Posaunist der Essener Philharmoniker an den Festtagen sonst gerne im Einsatz. „Die Feiertags-Dienste haben mir noch nie etwas ausgemacht. Dann ist die Atmosphäre besonders schön.“ Doch nicht nur der Frack bleibt Weihnachten im Schrank, auch das Instrument wird Hebeler vermutlich gar nicht auspacken. Die letzte Auftrittsmöglichkeit, ein Open-Air-Gottesdienst in einer Bredeneyer Kirchen-Gemeinde, steht auf der Kippe wie so vieles. Doch der Posaunist will nicht klagen. „Uns geht es ja gut. Wir haben eine feste Struktur.“ Sorgen macht sich der Essener Musiker allerdings um die vielen freischaffenden, professionellen Musiker und Sänger, „die sonst von der Vorweihnachtszeit leben“. Von den zahllosen Auftritten in Kirchen, den Requiems und großen Oratorien, die 2020 allesamt flach fallen. „Wir müssen sehen, dass das 2021 wieder angekurbelt wird.“

Zur Arbeit nur mit Maske: Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh
Zur Arbeit nur mit Maske: Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Keep Moving“ heißt der neue Abend des Aalto Balletts. Doch beweglich und austrainiert zu bleiben, will auch hochdisziplinierten Künstlern wie den Essener Ballett-Tänzern nach fast zehnmonatiger Zwangspause nicht ganz leicht fallen. „Wir trainieren weiter in Gruppen“, erzählt Ballettchef Ben Van Cauwenbergh. Doch das Training allein sei auf Dauer nicht ausreichend, „wir brauchen die Bühne“, sagt der Intendant, der sich dieser Tage mehr denn je als Motivator versteht und weniger als Ballettchef.

„Es ist so, als trainiere man für Tokio. Und dann findet Tokio nicht statt“

Mitreißen, antreiben und buchstäblich bei der Stange halten, obwohl ein konkreter Auftrittstermin immer wieder aufs neue in weite Ferne rückt, ist nicht leicht. „Keep Moving“ hat bislang nur zwei Vorstellungen gehabt. Der Ballettabend „Tütü mit Schuss“ wäre ein Schmankerl für die Feiertage gewesen – Spitzentanz mit einer guten Portion Humor. Bis zur Generalprobe haben sie es geschafft, dann kam der zweite Lockdown. Ben Van Cauwenbergh weiß, was das mit den Tänzern macht: „Es ist so, als trainiere man für Tokio. Und dann findet Tokio nicht statt.“

Alle Konzertvideos sind auf dem YouTube-Kanal der Philharmonie Essen unter www.youtube.com/PhilharmonieEssen_TUP sowie über die Websites der Philharmonie und der Essener Philharmoniker erreichbar