Essen. Mit dem vielschichtigen Abend „Keep Moving“ zeigt das Aalto-Ballett den unbedingten Willen, trotz aller Hindernisse weiter zu tanzen.

Ben Van Cauwenbergh schätzt die Leichtigkeit. Doch einen Ballettabend unter Corona-Schutzmaßnahmen zu gestalten, erweist sich selbst für ihn als Kraftakt. Es mussten Stücke gefunden werden, bei denen der Abstand gewahrt bleibt, und passende Tänzer, die privat als Paar zusammenleben. Abwechslungsreich und düsterer als gewohnt ist „Keep Moving“ geraten. Da offenbart sich, wie der Mensch Resultat seiner Lebensumstände wird. Dabei geht es auch um die Verfassung der Tänzer zur Zeit der Pandemie. Mit gemischten Gefühlen arbeiten sie auf die Premiere hin.

„Aporie“ ist ein Glücksfall und „ein toller Anfang“ für den fünfteiligen Abend. „Es hat so viel Kraft und Ausdauer. Das Stück hat viel mit unserer jetzigen Situation zu tun“, so Ben Van Cauwenbergh. „Wir wissen nicht, ob und unter welchen Bedingungen wir tanzen können. Das geht auf die Psyche. Wir schreien mit unserem Körper.“

Für eine ausweglose Situation eine Lösung finden

Ballettschuhe und Mund-Nasen-Schutz gehören für die Tänzer des Aalto-Balletts bei der Probe zusammen.
Ballettschuhe und Mund-Nasen-Schutz gehören für die Tänzer des Aalto-Balletts bei der Probe zusammen. © FUNKE Foto Services | Foto: Kerstin Kokoska

„Aporie“, was „Ausweglosigkeit“ bedeutet, entdeckte Van Cauwenbergh bei seiner ehemaligen Bühnenpartnerin und inzwischen freien Choreographin Iris Bouche. Bestimmt wird es von dem Eindruck, dass jeder für sich eine Insel ist, alle zusammen jedoch viel gemeinsam haben. 2010 war es für die Studenten des Königlichen Konservatoriums Antwerpen gedacht, wo sie unterrichtete und später Direktorin der Abteilung Tanz war.

Vor dem Hintergrund der Pandemie bekommt es für 20 Essener Tänzer eine neue Bedeutung. Denn es gilt, „für eine ausweglose Situation eine Lösung zu finden“, erklärt Iris Bouche. Im Gespräch fand sie heraus, wie „frustriert“, „wütend“, „zurückgestoßen“ und „unterdrückt“ sie sich fühlen. „Sie sind gut. Sie können die Schritte einsetzen. Trotzdem ist es für alle schwierig. Sie setzen so viel Energie ein und wissen nicht, ob der Abend stattfindet. Das gibt dem Tanz etwas Zerbrechliches.“

Liebe lässt Zeit vergehen ohne Angst vor dem Alter

Steuern Choreographien zu „Keep Moving!“ bei: Der ehemalige Tänzer und heutige Ballettmeister Armen Hakobyan hat „Many a moon“ kreiert, der Tänzer Denis Untila ist an dem „Othello“-Pas de-deux „On the nature of daylight“ beteiligt.
Steuern Choreographien zu „Keep Moving!“ bei: Der ehemalige Tänzer und heutige Ballettmeister Armen Hakobyan hat „Many a moon“ kreiert, der Tänzer Denis Untila ist an dem „Othello“-Pas de-deux „On the nature of daylight“ beteiligt. © Foto: Bettina Stoess

Sie proben weiter und oft geht es um Spielarten der Liebe. „On the nature of daylight“ ist ein Pas de deux von 2013 aus eigenem Hause. Denis Untila und seine Frau Michelle Yamamoto schufen es als Ende von „Othello“. „Beeinflusst von Jagos Intrigen vertraut er nicht mehr seinem Verstand. Sein innerer Konflikt, seine Eifersucht und sein Stolz sind es, die Desdemona töten“, berichtet Armen Hakobyan, der damals Jago verkörperte. Inzwischen arbeitet er als Ballettmeister des Aalto-Balletts und als Choreograph.

Er steuert „Many a moon“ bei, das er mit „Vor langer Zeit“ übersetzt. Die Choreographie entstand im vergangenen Jahr mit sechs Tänzern des Stuttgarter Balletts und wurde nun für die 30-köpfige Essener Compagnie erweitert. Armen Hakobyan setzt sich mit dem Vergehen von Zeit auseinander. Im ersten Teil findet er emotionale Bilder für das Rennen in der Gesellschaft, bei dem man das eigene Leben verpasst. Der zweite Teil ist ein Pas de deux über die Liebe, die selbst bei schnell vergehender Zeit keine Angst vor dem Altern auslöst.

Die Treulosigkeit treibt einen jungen Mann in den Tod

Ballettintendant und Choreograph Ben van Cauwenbergh stellte den Abend „Keep Moving!“ für das Aalto-Ballett zusammen.
Ballettintendant und Choreograph Ben van Cauwenbergh stellte den Abend „Keep Moving!“ für das Aalto-Ballett zusammen. © FUNKE Foto Services | Foto: Christof Köpsel

So gnädig lässt Ben Van Cauwenbergh das Paar in „Heimspiel!“, das 1996 in Wiesbaden herauskam, nicht davon kommen. Trotz grotesker Momente ist es hart. Er zeigt eine Beziehung zwischen Liebe und Streit: Sie ringt um Aufmerksamkeit. Er ist genervt. Ein Kind soll die Lösung sein, ist es nicht. Er geht weg, kommt zurück. Es ändert sich nichts. „Die Routine ist gefährlich“, sagt Van Cauwenbergh. Eine eigene Erfahrung? „Nein“, sagt der Ballettchef. „Vorbild war ein Tänzerpaar, das sich wie verrückt geliebt und gestritten hat.“

Der Abend gipfelt in Roland Petits Klassiker „Le jeune homme et la mort“ („Der junge Mann und der Tod“ nach einem Libretto von Jean Cocteau aus dem Jahr 1946. Ein Mann wird von der Treulosigkeit seiner Liebe in den Tod getrieben. Der Ausdruck der Gefühle steht dabei im Mittelpunkt der Proben. Luigi Bonino, bis zum Tod Petits 2011 sein Assistent und nun weltweit für die Einstudierung seiner Werke verantwortlich, wacht auch in Essen darüber. Armen Hakobyan begleitet sie als Ballettmeister: „Seine Aussage muss tief und perfekt sein, die Emotion gelebt werden.“

Premiere und Musik von „Keep moving“

Die Premiere des fünfteiligen Ballettabends „Keep Moving“ ist am Samstag, 24. Oktober, 19 Uhr, geplant. Karten unter: 0201/ 8122 200 oder www.theater-essen.de

Der Gospelsong „Sinnerman“ - live in New York/1965, gesungen von Nina Simone, untermalt Iris Bouches „Aporie“.

„On the nature of daylight“ aus „Othello“ von Denis Untila und Michelle Yamamoto entstand zum Musikstück von Max Richter mit demselben Titel, Armen Hakobyans „Many a moon“ zur Musik von Ezio Bosso.

„Heimspiel“ wurde choreographiert zu Bruckners Sinfonie Nr. 9 in d-Moll, Scherzo, „Le jeune homme et la mort“ zu Bachs Passacaglia und Fuge c-Moll, BWV 58.

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