Essen. . Hermann Schmidt-Rahmer bringt den Roman „Die Hauptstadt“ auf die Bühne. Mit der deutschen Erstaufführung startet das Grillo-Theater die Spielzeit

Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Demokratiekrise. Da löste die Europakrise offenbar nur gähnende Langeweile aus. Mitten hinein brach der Roman „Die Hauptstadt“ des österreichischen Autors Robert Menasse, der im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Buchpreis gekrönt wurde. Die Theaterfassung von Hermann Schmidt-Rahmer ist in deutscher Erstaufführung am Grillo-Theater zu sehen und als Weckruf für die Werte Europas gedacht.

Dem Theatermann fürs politisch Brisante erging es mit Europa „wie der Mehrheit“ der Bevölkerung: „Ich genieße Währungsunion und Reisefreiheit. Ansonsten war Europa für mich ein Rauschen im Hintergrund“, gesteht der 58-Jährige. Vergessen ist die Tatsache, dass europäische Staaten sich einst einten, um „nie wieder Krieg und nie wieder Völkermord“ zuzulassen. „Die Zeitzeugen dieses Gedankens sterben weg und die heutige Generation weiß nicht, was ein europäischer Krieg bedeuten würde“, sagt Schmidt -Rahmer.

Er beschäftigte sich eingehend mit Menasses Befürworter-Haltung. Vor allem dessen Sachbuch „Der europäische Landbote“ änderte seine Sicht nachhaltig. „Der Text zieht einem einige Vorurteilszähne, zum Beispiel, was die EU-Verwaltung als Geld fressenden Moloch angeht“, berichtet er. „Die Hauptstadt“ geht einige Schritte weiter. „Der Roman legt den Finger in die Wunde mit der zentralen Frage nach der europäischen Identität, und ob sie sich von oben verordnen lässt.“

Der Regisseur Hermann Schmidt - Rahmer vor dem Bühnenbild zu dem Stück „Die Hauptstadt
Der Regisseur Hermann Schmidt - Rahmer vor dem Bühnenbild zu dem Stück „Die Hauptstadt ". © STEFAN AREND

Im Mittelpunkt steht eine Beamtin der EU-Kommission, die an ihren Referenten die Aufgabe delegiert, mit einer Jubiläumsfeier das Image der Behörde (die nun 60 Jahre besteht) aufzupolieren. „Doch es ist mehr als eine Behördensatire. Es ist zugleich ein Krimi und vor allem die Geschichte von drei sterbenden Männern, die mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden“, so der Regisseur. „Wenn wir zwei Generationen zurückschauen, gibt es keinen Europäer, der nicht Opfer oder Täter in der Familie hatte. In diesen Spannungsfeldern bewegt sich die Handlung.“

Die 459 Seiten für die Bühne zu komprimieren, „ist nicht einfach“. Dabei hat Hermann Schmidt-Rahmer in dieser Hinsicht durchaus Erfahrung. Sein letztes Projekt am Schauspiel Essen galt Dostojewskis Werk „Die Dämonen“ mit rund 800 Seiten. Jetzt sind es drei Romane in einem und es gibt „viel Personal, das sich wie in einem Robert-Altman-Film nur berührt“. Dennoch sei der Roman sehr dankbar als Spielvorlage. „Heute hat man ja die Möglichkeit, auch komplexe Dinge auf die Bühne zu bringen. Und ich war überrascht, wie komisch er ist“, betont er. Dass nicht auch größere Theater auf den Stoff angesprungen sind, kann er nicht nachvollziehen. „Er wird täglich aktueller. In Europa brennt es an allen Ecken und Enden.“

Gestrichen hat er die Beschreibung der Brüsseler Schauplätze. Ansonsten bleiben die Geschichte und gut 25 Figuren verteilt auf sechs Schauspieler erhalten. Das Schwein, das durch die Straßen läuft, inklusive. Auf einer Schräge, auf der ein unbeschriebenes Blatt liegt, arbeiten sie sich an dem Projekt Europa ab. Videoeinsätze sorgen für Licht- und Bildgestaltung sowie einen Lupeneffekt. Das klingt anstrengend, soll aber „recht unterhaltsam werden“. „Es ist die Kernaufgabe des Regisseurs, dass das Publikum sich nicht langweilt.“

Informationen rund um „Die Hauptstadt“

Die erste deutsche Bühnenadaption von Robert Menasses Roman „Die Hauptstadt“ (Suhrkamp Verlag, 459 S., 24 Euro) hat am Freitag, den 5. Oktober, 19.30 Uhr, Premiere im Grillo-Theater. Nur die Schweizer, obwohl kein EU-Mitglied, hatten mit der Uraufführung im Januar in Zürich die Nase weiter vorn.

In der Essener Fassung sind in der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer und auf der Bühne von Thilo Reuther die Schauspieler Thomas Büchel, Daniel Christensen, Floriane Kleinpaß, Ines Krug, Jan Pröhl und Sven Seeburg zu sehen.

Karten unter: Telefon 8122 200