Essen-Altenessen. Seit mehr als 150 Jahren prägen Einwanderer das Bild von Altenessen, doch die Integration wird schwieriger. Experten sehen aber auch Chancen.
Historisch gesehen ist Altenessen ein Arbeiter-Stadtteil: Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt Altenessen die erste Essener Eisenbahnstation. Die neue Transportmöglichkeit von Gütern, insbesondere von Kohle, hat die Wirtschaft beflügelt. So wurde aus dem bäuerlichen Altenessen ein Bergbauzentrum. Es wurden in den folgenden Jahren fünf Zechen eröffnet. Die Zuwanderung wuchs massiv. Während die Bauerschaft Altenessen im Jahr 1815 lediglich 733 Einwohner zählte, lag die Anzahl 1915 nach Angaben der Stadt bei 45.916, so viele sind es in etwa auch heute noch. Die Größe führte zur Teilung in Altenessen-Nord und -Süd. Im Jahre 1915 erfolgte die Eingemeindung nach Essen.
Bereitschaft zur Integration geht verloren
„Man brauchte Arbeiter-Stadtteile“, weiß Arndt Wülfing, Vorsitzender de r Interessengemeinschaft Altenessen . Und diesen Arbeiter-Stempel trage der Stadtteil noch heute. Er sei eigentlich ehrenwert, riecht aber nach Dreck und körperlicher Arbeit – etwas, womit der Süden Essens nicht unbedingt etwas zu tun haben will, obwohl es auch dort früher viel Industrie gab. Jedoch begann der Strukturwandel früher und war umfassender als im Norden, der See als Naherholungsfaktor fehlte zudem.
Und der Norden war immer schon sozial weniger stark gemischt. „Diesen Stempel können und werden wir nicht abschütteln“, glaubt Wülfing, der weiß, dass sich manche Bewohner vernachlässigt fühlen. „Im Süden werden Probleme sensibler aufgenommen und schneller gelöst. Die Menschen in Altenessen möchten das Gefühl haben, genauso akzeptiert zu werden wie etwa in Bredeney und Werden.“
Während der Bergbauzeit war Altenessen durch Zusammenhalt geprägt. Gastarbeiter kamen, „Migration und Integration haben über die Arbeit stattgefunden“, so Wülfing. Auch heute kommen viele Menschen aus anderen Ländern, nur finden sie nicht immer Arbeit. Awo-Sozialarbeiter Thomas Rüth sieht eine Grenze erreicht: Die Bereitschaft zur Integration gehe verloren , übrigens auch zwischen den unterschiedlichen Zuwanderergruppen, die sich in Konkurrenz gestellt fühlen. Aktuell wächst die besorgniserregende Entwicklung, dass Einwanderer aus Syrien und dem Irak zunehmend in die Geschäftswelt krimineller arabischstämmiger Familienverbände eindringen.
Angefangen hätten die Probleme mit dem Ende des Bergbaus 1973 und dem Verlust vieler Arbeitsplätze. „Das war einschneidend für die Entwicklung des Stadtteils“, sagt der Altenessener Historiker Christoph Wilmer. Folge war einerseits der Strukturwandel und andererseits die Bildung von Parallelgesellschaften. So sieht es zumindest der frühere SPD-Kommunalpolitiker Karlheinz Endruschat . Zugewanderte hätten zum Teil ein in sich geschlossenes System inklusive Einzelhandel und Gebetsstätten errichtet. „Da werden auch andere Werte vermittelt, als die, die wir kennen und schätzen.“ Die Deutschen seien inzwischen in Altenessen in der Minderheit.
Auch das Stadtteil-Bild hat sich geändert, durchaus zum Positiven: „Altenessen ist viel grüner, sauberer und moderner geworden“, findet Wülfing, der sich noch an dreckige Straßenzüge erinnert und an die Kohlenzüge, die durch den Stadtteil ratterten.
Mit dem Bau des Allee-Centers 1973 wurde zudem ein Treffpunkt geschaffen, der gerne angenommen wird. Endruschat erwähnt in diesem Zusammenhang eher Shisha-Bars, Gemüseläden und Bäckereien die nur einen bestimmten Teil der Bevölkerung ansprechen. Wilmer appelliert dafür, die Vielfalt als Chance und nicht als Problem anzusehen: „Altenessen bietet sich als Labor für ein zukunftsfähiges Zusammenleben an.“
Wilmer sieht eine weitere Chance: Es gebe eine Tradition des selbstbewussten Einmischens bei den Altenessenern, angefangen bei den frühen Siedlungsinitiativen über die Gründung des Zentrums Zeche Carl und die Auseinandersetzungen über den bislang nicht realisierten Bau der A52 bis zur Stadtteilkonferenz . „Da liegt Potenzial.“
Altenessener fühlen sich abgehängt in der Gesundheitspolitik
Doch auch der 61-jährige Historiker sieht Altenessen besonders in der Gesundheitspolitik und in der Verkehrspolitik abgehängt: „Diese wird nur als Einfallstor für den Durchgangsverkehr betrachtet.“
Beim Blick in die Zukunft scheiden sich die Geister. Endruschat ist resigniert: „Der Abwärtstrend geht weiter, das ist für mich klar.“ Wülfing betont hingegen: „Wenn Essen wachsen kann, dann nur im Norden, denn hier gibt es noch baureife Flächen. Und: Zeche Carl ist eine Blüte, die aufgehen wird.“
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