Essen. Künstler wie Flamenco-Star Rafael Cortés und das Duo „Benny & Joyce“ trifft die Corona-Krise nicht nur wirtschaftlich. Nähe zum Publikum fehlt.
Es gibt ein Konzertevent, das gehört für Musikfreunde zur Vorweihnachtszeit wie Glühwein und Spekulatius. Der Auftritt von Rafael Cortés in der Lichtburg ist diese für viele liebgewonnene Tradition. Seit Jahren pilgern Flamenco-Fans für seinen Auftritt Anfang Dezember in Essens Traditionskino. Am 7. Dezember soll es eigentlich wieder soweit sein. Der Abend – mit der derzeitigen Maximal-Zahl von 250 Gästen – ist seit langem ausverkauft. Schon gab es Überlegungen, am 6. Dezember noch einen Extratermin einzuplanen. Doch der Musiker aus Altenessen wagt derzeit keine Prognose, ob es in diesem Jahr überhaupt noch Auftritte gibt. „Ich bin nicht so guter Dinge.“ Die Infektionszahlen sind weiter hoch, eine Verlängerung des Lockdowns für Kultur und Gastronomie über den November hinaus ist zwar noch nicht beschlossen, aber doch möglich.
Rafael Cortés vermisst die Interaktion mit dem Publikum: „Der Flamenco lebt davon“
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Rafael Cortes, der Gitarren-Großmeister aus dem Ruhrpott, blickt deshalb mit Sorge in die Zukunft. „Die Seele verkümmert ein bisschen.“ Dem 47-Jährigen geht es wie so vielen Künstlern. Nicht nur der Blick aufs Konto stimmt derzeit alles andere als zuversichtlich. Was den meisten fehlt, ist der Kontakt zum Publikum. „Gerade der Flamenco lebt ja von der Interaktion“, sagt Cortés. Auf Facebook konnte man in den letzten Wochen und Monaten immer wieder ein wenig von dem Feuer spüren, das der weltweit gefeierte Musiker bei seinem Publikum entfacht. Die alten Aufnahmen sollen nicht nur ein Lebenszeichen in die Fangemeinde senden. „Ich mache das vor allem aus nostalgischen Gründen“, gesteht der Essener Vollblutmusiker.
Denn nichts ist mehr wie es ist: Gastspiele in der Türkei, Russland, Polen und etlichen deutschen Stadttheatern – alle abgesagt. „Ich habe seit März null Einnahmen“, sagt Cortés. Immerhin: Bei den Leverkusener Jazztagen konnte er vor kurzem im Livestream spielen, ohne Publikum. Ein Auftritt mit Mülheims Jazz-Humorist Helge Schneider wurde wieder abgeblasen. Der Komiker hatte schon beim ersten Lockdown erklärt, unter Corona-Maßnahmen nicht auftreten zu wollen. „Helge kann sich das vielleicht leisten, ich nicht“, bedauert Cortés. Denn die 9000 Euro Soforthilfe für Soloselbstständige, die zu Beginn der Pandemie geflossen sind, die waren nun mal „ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Cortés. Im Gegenzug seien Einnahmen von 50.000 Euro in diesem Jahr einfach weggefallen.
„Wir werden noch lange unter Einbußen leiden, vielleicht noch ein ganzes Jahr“
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Nun wartet er wie viele auf die Antragsformulare , mit denen die Bundesregierung im November die Verluste von Künstlern und Gastronomen zu 75 Prozent ausgleichen will. Ein Lichtblick in einer vermutlich weiter anhaltenden Krise. „Wir werden noch lange unter Einbußen leiden, vielleicht noch ein ganzes Jahr“, fürchtet Cortés.
Auch das Essener Musiker-Paar Benny und Joyce ist froh über die Hilfen, die Stadt und Land auf den Weg gebracht haben – von der Soforthilfe für Soloselbstständige bis zum städtischen Sonderfonds Kultur. „Wir versuchen, alle Fördermittel zu beantragen. Seit März sind Kulturschaffende ja praktisch mit einem Berufsverbot belegt“, sagt Bastian „Benny“ Nauschütz.
Im Leben von Benny & Joyce hat Corona für eine Vollbremsung gesorgt
Corona hat so für eine Vollbremsung im Leben des beliebten Piano-Duos gesorgt. „Normalerweise sind wir alle drei Tage unterwegs, verbringen viel Zeit in Hotels und auf Autobahnen“, erzählt der Musiker. Jetzt gab es nur ein paar kleine Auftritte auf privaten Sommerfesten. Sonst absolviert das beliebte Künstlerduo, das auch privat ein Paar ist, bis zu 120 Auftritte pro Jahr. In der Essener Veranstaltungsszene sind die beiden seit Jahren eine feste Größe, sie spielen auf Gastro-Meilen wie „Rü Genuss“ oder beim traditionellen Konzert in der Weihnachtszeit. Aber auch bundesweit absolvieren die zwei viele Auftritte, gerne in kleinen Clubs. Meist eben auch mit kleinen Gagen. „Künstler sind nicht die Menschen mit dickem Sparkonto“, sagt Nauschütz.
Das Virus hat den beiden zumindest familiär ein bisschen in die Karten gespielt. Im Januar hat das Künstlerpaar noch einmal Nachwuchs bekommen. Benjamin Nauschütz arbeitet wieder verstärkt in seinem Beruf als Rechtsanwalt. Hilft Kollegen sogar bei der Beantragung von Überbrückungshilfen. „Wir führen jetzt ein völlig anderes Leben“, sagt der 41-Jährige.
Essener Gitarrenduo: Das 30-jährige Jubiläum konnte nicht groß gefeiert werden
Auch für das Essener Gitarrenduo lief 2020 vieles anders als erwartet. Eigentlich hätten Bernd Steinmann und Stefan Loos in diesem Jahr 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Große Konzerte in der Essener Philharmonie und im Münchner Gasteig aber wurden abgesagt. Und trotzdem will Steinmann nicht nur über Existenzangst und Unmut sprechen, die sich auch in der Kulturszene breit machen. „Man muss auch sagen: Es sind Fördergelder angekommen, die dafür sorgen, dass wir überleben können.“
Freilich weiß auch Steinmann nicht, ob er die 9000 Euro Soforthilfe behalten kann. Weil er wie die meisten Soloselbstständigen, die zu Hause arbeiten, keine Betriebskosten anführen kann. Und fürs sonst einträgliche Weihnachtsgeschäft sieht er schwarz. „Das sind schon Einbrüche für jemanden, der zu hundert Prozent von der Musik lebt.“ Doch Steinmann bleibt Optimist. Ein 7000-Euro-Stipendium vom Land sei zügig ausgezahlt worden. Dafür komponiert der Gitarrist nun Musik für einen anderen Jahrestag. Nach dem Mauerfall will das Essener Gitarrenduo im nächsten August an 60 Jahre Mauerbau erinnern. Den ersten Packen Noten hat Duo-Partner Stefan Loos schon bekommen, erzählt Steinmann: „Noch sind wir zuversichtlich.“