Essen. Unsere berührendsten Plus-Texte: Heute erinnern erschütterte Mitarbeiter das Kaufhof-Aus: „Grün ist eine große Familie.“
Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 19. Juni erschienen.
Die bittere Stunde der Wahrheit schlägt für die Beschäftigten von Galeria Kaufhof um kurz nach 14 Uhr hoch oben im Restaurant. Teilnehmer dieser denkwürdigen Betriebsversammlung berichten von einer hochemotionalen Veranstaltung. Von einer, auf der viele Tränen fließen, aber Wutausbrüche unterbleiben.
Auf der einen Seite der Geschäftsführer, die Personalleiterin und der gesamte Betriebsrat - auf der anderen die 95 Beschäftigten, von denen einige schon seit 45 Jahren dabei sind. Erstere wissen schon seit zwei Stunden Bescheid, sie sind bereits um zwölf Uhr in einer Telefonkonferenz über die Schließungen informiert worden. Doch es sickert nichts durch.
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Geschäftsführer Michael Langer hat die unangenehme Aufgabe, seinen Mitarbeitern das unerwartete Aus zu verkünden. Eigentlich sollte er ein vier, fünf Seiten langes vorbereitetes Statement der Unternehmensleitung verlesen. Doch dazu kommt es nicht. „Der Mann hatte Tränen in den Augen“, sagt ein langjähriger Mitarbeiter. Langer ringt mit den Worten, stammelt, dann haut er die Nachricht raus, die die Anwesenden wie ein Schlag trifft. Der Schock sitzt tief. Denn das D atum der Schließung ist sehr nah. „Die Kündigungen werden zum 31. Oktober ausgesprochen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Ulrich Bartel.
Galeria-Mitarbeiter: „Für viele ist dieser Laden das Leben, Grün ist eine große Familie.“
Nicht nur der Geschäftsführer scheint nah am Wasser gebaut zu haben, auch vielen Mitarbeitern kullern die Tränen über die Wangen. „Für viele ist dieser Laden das Leben“, sagt ein Mitarbeiter. „Grün ist eine große Familie.“ Gemeint ist das Galeria-Grün.
Schon um viertel vor zwei haben sie an diesem Freitag die großen Rolltore heruntergelassen. Auch als die Versammlung zu Ende ist, werden sie nicht mehr hochgefahren. Niemand ist nach diesem Schlag in die Magengrube noch in der Lage, die Arbeit in der Parfümerie, bei der Damenoberbekleidung oder in der Sportabteilung fortzusetzen.
Essenerin war 49 Jahre in der Karstadt-Hauptverwaltung: „Es tut weh, das zu erleben.“
In der Kundschaft hat sich die Nachricht vom Warenhaus-Aus wie ein Lauffeuer verbreitet. Jutta Greef (68) steht am Schalter der Hauptpost nebenan, als die Push-Meldung der WAZ auf ihrem Handy aufblinkt. Die Holsterhausenerin hat 49 Jahre in der Hauptverwaltung des Karstadt-Konzerns gearbeitet und ist seit fünf Jahren im Ruhestand. „Es tut weh mitzuerleben, wie ein so stolzes Unternehmen wie Karstadt kaputtgeht“, sagt sie. Dass Galeria Kaufhof am Willy-Brandt-Platz schließen könnte, habe sie für wahrscheinlich gehalten. „Aber doch nicht das Haus am Limbecker Platz.“
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In bald fünf Jahrzehnten in der Konzernzentrale hat die gelernte Schauwerbegestalterin alle großen Bosse aus nächster Nähe erlebt: Deuss, Middelhoff und zuletzt Fandel. Die Schuld an der Misere gibt die Essenerin nicht dem treuen Personal, sondern dem schlechten Management, besonders erwähnt sie Middelhoff, jenen Top-Manager, der traurige Berühmtheit erlangte, indem er hinter Gitter landete.
Mitarbeiter verlassen mit geröteten Augen das Haus: „Das reißt uns das Herz raus“
Draußen auf dem Willy-Brandt-Platz zieht es die meisten Galeria-Leute, die schubweise den Personalausgang verlassen, nach Hause. Fernsehteams bauen ihre Kameras auf, doch die meisten rennen genervt und mit geröteten Augen dran vorbei. „Das reißt uns das Herz raus“, ruft eine Mitarbeiterin. „Wir sind schon so lange hier.“
Nur kleine Grüppchen stehen zusammen, man möchte unter sich bleiben. Einer erinnert sich an die Fusion im vergangenen Jahr, an den Zusammenschluss von Karstadt und Galeria Kaufhof. „Wir dachten damals, es wäre eine Hochzeit auf Augenhöhe“, sagt einer und setzt eine abfällige Handbewegung hinterher. „Nach der Fusion hat sich viel verschlechtert.“
Ähnlich äußert sich Ulrich Bartel, der Betriebsratschef. Die Ehe der Warenhaus-Riesen sei ein Flop gewesen. „Wir haben von der neuen Konzernleitung immer wieder ein solides Konzept verlangt, stattdessen haben sie alte Software installiert und die Betriebsabläufe verschlechtert.“
Ob sich das Rolltor von Galeria Kaufhof am Samstag heben wird? Betriebsratschef schweigt
In den großen Schaufenstern wird Sommerkleidung zu herabgesetzten Preisen angeboten: „Bis zu 50 Prozent reduziert.“ Oder: „Vielle tolle Marken für die ganze Familie.“ Kunden stehen ratlos vor dem Rolltor, schütteln den Kopf. Juliane Röhricht aus Steele und Töchterchen Lali sind zum Bummeln und Stöbern gekommen. Sie findet überhaupt nicht, dass das Warenhaus klassischer Prägung aus der Mode gekommen ist. „Ich kaufe wenig im Internet, das Kauferlebnis im Geschäft mag ich lieber.“ Dass der Warenhaus-Konzern ausgerechnet in Essen, dem Sitz der Zentrale, zwei Häuser schließt, will Juliane Röhricht, von Beruf Kauffrau im Gesundheitswesen, nicht in den Kopf. „Ich finde das erschreckend.“
Wieder naht ein Kamerateam und filmt das Rolltor. Selbst am Samstagmorgen wird es sich nicht sofort wieder heben. Denn für 10 Uhr hat der Betriebsrat eine außerordentliche Betriebsversammlung anberaumt. Lauter offene und drängende Fragen werden auf der Tagesordnung stehen. Wie wird der Sozialplan aussehen? Gibt es eine Transfergesellschaft? Wo gibt es neue Arbeit? Wird sich das Tor denn nach dieser Krisen-Versammlung heben? Ulrich Bartel, der Betriebsratschef, zuckt mit den Schultern und schweigt.