Essens scheidender Planungsdezernent Hans-Jürgen Best über 21 Jahre als pragmatischer „Möglichmacher“ und die Frage, wo baulich die Musik spielt.

Herr Best, Sie sind leidenschaftlicher Hobby-Pianist. Wenn Sie sich diese Stadt als Klavierstück vorstellen – wie würde das klingen?

Hm. Recht unterschiedlich. Die Stadt Essen hat viele Facetten...

...ein bisschen „Für Elise“, ein bisschen Zwölftonmusik?

In den schönen Landschaften nicht nur des Essener Südens klingt sie am ehesten nach Schubert, Mahler oder zum Teil Mozart. Zollverein im Norden dagegen ist typisch Prokofjew: seine Toccata, die mit ihrem ganz strengen Rhythmus so gut zur Mechanisierung der Arbeitswelt passt und aus der es im ganzen Stück keine einzige „Fluchttür“ gibt.

Essen nach Noten: schwer zu spielen?

Nicht schwer zu spielen, aber schwer in einem einzigen Stück unterzubringen.

Auch das Gesamtkunstwerk Stadtplanung verfolgt man ja häppchenweise. Sie als oberster Planer taten es immerhin 21 Jahre. Immer mit der gleichen Spielbegeisterung?

Aber ja. Schon deshalb, weil ich das Glück hatte, für jene Projekte, die in diesem Dezernat ersonnen wurden, immer die politische Zustimmung zu bekommen. Und weil man ja im Laufe der Zeit durch zunehmende Erfahrung effektiver arbeitet: Im Zusammenspiel mit ganz vielen Leuten entstand ein sehr hohes Maß an Vertrauen. Dadurch bekam man Entscheidungen sehr viel schneller hin.

Immer wieder kam von der Rad-Lobby Druck, nicht zu viel zu verlangen und damit die Verlängerung der Radschnellweg-Route in Richtung Osten durchs Eltingviertel nicht auszubremsen.
Immer wieder kam von der Rad-Lobby Druck, nicht zu viel zu verlangen und damit die Verlängerung der Radschnellweg-Route in Richtung Osten durchs Eltingviertel nicht auszubremsen. © FFS | Vladimir Wegener

„Vielleicht bin ich beim Radschnellweg übers Ziel hinausgeschossen“

Ist so ein Planungsdezernent am Ende also vor allem ein Netzwerker, der Menschen zusammenbringt?

Im Wesentlichen ist das so. Wenn mich Leute gefragt haben, was ich bei der Stadtverwaltung mache, habe ich als Standardantwort immer formuliert: Ich bin so eine Art Anwalt der Stadt Essen, der sich darum kümmert, alle Interessenlagen unter einen Hut zu bringen.

Und als Stadtdirektor...?

...zudem so etwas Ähnliches wie ein Zirkusdirektor. Vornehmste Aufgabe einer gut strukturierten Verwaltung ist es, das Geschehen auf den Kern der Sache zurückzuführen. Damit die Politik in die Lage versetzt wird, im Sinne dieser Sache zu handeln. Die Spielregeln dazu den Entscheidern nahezubringen, das ist eine didaktische Herausforderung und erfordert Geduld und Ruhe.

Schwierige Sachverhalte auch für Laien verständlich zu erklären, das haben Sie drauf. Wer Sie kennt, kennt auch Ihren Versuch, mit einer simplen Formulierung Gedanken sortiert weiterzugeben: „Punkt. Absatz“, sagen Sie dann...

Diese Eigenschaften habe ich von meinem Vater gelernt, der sich als Lehrer sagte: Wenn meine Schüler mich nicht verstehen, muss ich fragen: Was habe i c h falsch gemacht?

Welche planerischen Kunststücke sind denn dieser Stadt und damit Ihnen besonders gut gelungen?

Ich glaube, das Kunststück lag eher darin, aus unserer Sicht notwendige Entwicklungen in so kleine Häppchen zu zerteilen, dass alle das mitgemacht haben. Man muss dabei auch manchmal übers Ziel hinausschießen, um sich dann eines Besseren belehren zu lassen. Vielleicht war das beim Radschnellweg so, da hatte ich erst andere Vorstellungen als das, was jetzt eingestielt ist. Aber man muss als Planer immer weiter wollen als nur bis zur erstbesten naheliegendsten Lösung. Ein Planer, der Ansprüche hat, darf sich nicht mit Schwarzbrot zufrieden geben, nur weil er froh ist, überhaupt was auf die Beine gestellt zu haben.

Neus möglich machen: „Ich habe mich stets auf die Seite der Investoren geschlagen“

Welche Rolle spielt Glück, um letztlich planerisch erfolgreich zu sein?

Napoleon hat bei der Auswahl seiner Offiziere seine Berater stets gefragt: „Hat der Herr bisher Fortune gehabt?“ Ich glaube schon, dass es das gibt: Leute, die die richtige Ader haben, Fortune, oder wie immer Sie das nennen wollen. Die Leute meiner Profession gelten als Besserwisser, als Vertreter der Hoheit und Vertreter einer Behörde, die immer quer im Stall steht. Ich habe mich, sobald Investoren hier aufgetaucht sind, dagegen stets auf deren Seite geschlagen. Und dabei die Botschaft vermittelt: Behörde ist einfach.

Ein Möglichmacher aus tiefer Überzeugung. Klingt, als wäre „pragmatisch“ für Sie kein Schimpfwort?

Überhaupt nicht. Viele Leute verwechseln einen Pragmatiker mit einem Flachkopf...

...zumindest mit jemandem, der allzu willfährig nachgibt.

Aber das passiert nicht, denn ich nutze diese Annäherungsprozesse ja auch, um den Leuten Grenzen aufzuzeigen, um Forderungen stellen. Das war bei mir immer die Erwartung von Qualität beim Bauen. Nun kann ich nicht jedes Einfamilienhaus kontrollieren, aber bei den größeren Projekten – da sind sich die Bauleute einig – hat Essen sich städtebaulich gut entwickelt. Ich bin auch lieber auf Immobilien-Kongressen aufgelaufen, um die Stadt dort zu verkaufen, als auf Architektur-Kongressen. Denn was eine Stadt braucht, sind Investoren, die dann gute Architektur mitbringen.

Die ,Passarea’ am Hauptbahnhof: „Ein kluger Entwurf, aber eine Schuhnummer zu groß“

Das gelingt gleichwohl nicht immer, wie man am Essener Hauptbahnhof sieht. Da wurde bei der Sanierung – darf man das so sagen? – eine Jahrhundert-Chance verpasst.

Tja, was soll ich sagen? Das tolle „Passarea“-Projekt nach einem Entwurf von Hochtief...

Die „Passarea“-Pläne des Baukonzerns Hochtief im Modell: „Ein kluger Entwurf“, sagt der scheidende Planungsdezernent Hans-Jürgen Best, aber mit geschätzten Kosten von damals rund 500 Millionen D-Mark „eine Schuhnummer zu groß“.
Die „Passarea“-Pläne des Baukonzerns Hochtief im Modell: „Ein kluger Entwurf“, sagt der scheidende Planungsdezernent Hans-Jürgen Best, aber mit geschätzten Kosten von damals rund 500 Millionen D-Mark „eine Schuhnummer zu groß“. © NRZ | Holger knauf

...bei dem ein gigantisches Glasdach den Bahnhof überspannte...

...ist damals ja leider gestorben. Mit ihm wäre ein Einkaufs-Schwerpunkt am Hauptbahnhof entstanden, Essens Innenstadt hätte sich völlig anders entwickelt. Allerdings hätte der Entwurf schon damals 500 Millionen D-Mark gekostet, so viel Geld wollte keiner in die Hand nehmen. Das war der Fluch der „Passarea“: ein kluger Entwurf, aber eine Schuhnummer zu groß.

Heute 500 Millionen E u r o einzusammeln, wäre nicht das Problem.

In der Tat. Am Hauptbahnhof hätte vieles besser werden können, und es war schon damals eine Unverschämtheit der Bahn, den Bahnhof halt nur reparieren zu wollen. Erste Entwürfe sahen auf der Südseite ja nur ein kleines Wartehäuschen vor, so groß wie mein Arbeitszimmer hier – einfach nur grauenhaft.

Etwas größer ist es am Ende doch geworden. Wie man hört, dank tätiger Mithilfe des damaligen RAG-Chefs und Aufsichtsrats-Chefs der Bahn, Werner Müller.

Wir hatten den Ehrgeiz, den Hauptbahnhof rechtzeitig bis 2010 fertig zu kriegen. Das war das Jahr mit Essen als Kulturhauptstadt Europas, das sehr viele Investitionen bewegt hat – nicht dem Grunde, aber der Zeit nach. In Essen wurden 60 Millionen Euro investiert, in die zeitgleich stattfindende Renovierung des Hauptbahnhofs Dresden 240 Millionen. Dazu muss man wissen: Essen hatte damals schon 160.000 Passagiere, Dresden 40.000.

Zähneknirschende Kompromisse: „Besser als wenn nix passiert wäre“

Tja. Dennoch haben alle gesagt und sagen es noch heute: besser als nix.

Das sehe ich auch so. Deswegen haben wir damals zähneknirschend den ganzen Plänen zugestimmt.

Am anderen Ende der Innenstadt entstand das Einkaufszentrum Limbecker Platz als riesiger Konsumklotz. Der versperrt seither die Sichtachse von der Limbecker auf den Berliner Platz. Nicht schön, so hieß es, aber besser, als wäre in der Einkaufsstadt nichts passiert. Sehen Sie das heute auch noch so?

Auf jeden Fall! Auch wenn ich mir später immer wieder die Frage gestellt habe, ob man vielleicht härter hätte verhandeln sollen: indem man das Einkaufszentrum teilt und nur unterirdisch wie auch im Obergeschoss verbindet. So wie es bei den Höfen am Brühl in Leipzig recht gut gelungen ist. Dafür hat die Stadt dort lange mit dem Investor gekämpft, aber der war auch viel schärfer darauf, das Grundstück zu bekommen.

Gehört dies zum Schicksal eines Planungsdezernenten im Ruhrgebiet: Dass er sich stets mit weniger zufrieden geben muss?

Das glaube ich nicht. Mein Credo war immer: Wir müssen das Ruhrgebiet nach vorne bringen, das geht nur mit Qualität und ganz viel Überredungskunst – in Richtung der Investoren wie auch der Politik, die häufig noch die alten Bilder im Kopf hat.

Vielleicht auch, weil das Neue immer auch Angst macht. Die alten Bilder einer Stadt prägen das Gefühl von Heimat. Ist vielleicht auch deshalb das Bürgerforum „Wo wollen wir wohnen?“ gescheitert?

Warum gescheitert? Wie die Bürger da aus den 90 Flächen künftige Wohnquartiere ausgesucht haben, das ist in sich alles schlau hergeleitet. Sie haben nach meiner festen Überzeugung ein sehr gutes Gefühl dafür gehabt, was zu tun ist, wenn man für die Gesamtstadt entscheidet, ohne subjektiv betroffen zu sein.

Rückzug bei den Wohnbaublänen: „Wer am lautesten schreit, hat gewonnen“

Aber nun melden sich allerorten die Betroffenen zu Wort.

Klar, jetzt sind wir wieder da angekommen, wo jeder Nachbar sich von Veränderung bedroht fühlt. Und im nächsten Schritt hat die Politik in Essen nicht die Kraft zu sagen: Jetzt schaut doch mal aufs Ganze.

Die Ergebnisse des Bürgerforums „Wo wollen wir wohnen?“ findet Best durchaus diskutabel. Umso mehr beklagt er, dass „die Politik den Vorortbegehren nachgibt, wo es eben geht“.
Die Ergebnisse des Bürgerforums „Wo wollen wir wohnen?“ findet Best durchaus diskutabel. Umso mehr beklagt er, dass „die Politik den Vorortbegehren nachgibt, wo es eben geht“. © FFS | Socrates Tassos

Stattdessen kommt der alte Mechanismus zum Tragen, in dem Politik den Vorortbegehren nachgibt, wo es eben geht. Wer am lautesten schreit, hat gewonnen. Wie unter diesen Bedingungen die von der Politik geforderten Wohnungen gebaut werden können, bleibt ein Geheimnis.

SPD-OB-Kandidat Oliver Kern weist auf die Baulücken hin...

Davon haben wir gar nicht so viele in Essen. Nicht die heute schon bestehenden Baulücken helfen weiter, sondern jene, die erst durch Abriss geschaffen werden. Der Klassiker lautet: Kleines Knusperhäuschen auf großem Grundstück wird abgerissen und macht 20 Eigentumswohnungen Platz. Das sind unsere eigentlichen Reserven im Stadtgebiet. Die lösen zwar auch Proteste aus, aber da haben die Grundstückseigentümer in der Regel einen Rechtsanspruch, bauen zu dürfen.

So wird die Stadt weiter versiegelt.

Aber eine Stadt, die nicht baut, entwickelt sich auch nicht weiter. Stillstand ist Rückschritt. Deswegen muss man weiter bauen, am besten weiter verdichten. Ich frage die Leute aber auch: Wo und wie wohnst Du eigentlich selber? Das Elend der heutigen Zeit liegt darin, dass wir einfach zu viel von allem haben – auch an Wohnraum. Eine Wohnung hier, das Häuschen dort. So entzieht man dem Markt Wohnungen.

Also was tun? Bauen trotz Protest?

Es nützt ja nichts. Am Ende entscheidet das politische System, ich vermute, dass noch mal vier, fünf Äcker bebaut werden, dann ist Schluss. Es wird auf weitere Verdichtung und Urbanisierung hinauslaufen.

Und zwar wo?

In der Tendenz müssen wir dort weitermachen, wo wir in den letzten 20 Jahren den Stadtraum „repariert“ und neu gestaltet haben – in der Innenstadt und drumherum: Univiertel, Kreuzeskirchviertel, Eltingviertel, das alte Kahage-Gelände. Der Raum zwischen Innenstadt und Altendorf oder Bochold wird folgen: Essen 51, der südliche Krupp-Gürtel – ich glaube, hier spielt in den nächsten zehn, zwanzig Jahren die Musik, hier liegen Essens große Reserven.

Der Weiterbau der A52? „Das wird nicht klappen, einer sagt immer Nein“

Es werden Zukunfts-Quartiere aus der Retorte sein...

...und die Herausforderung besteht dann darin, vernünftige Urbanität hinzukriegen. Kreuzberg kann man nicht bauen, das ist alles gewachsen.

Die A52 und ihr möglicher Weiterbau durch den Norden der Stadt: Dauerbrenner in der politischen Debatte seit drei Jahrzehnten. Hans-Jürgen Best gibt dem Vorhaben keine Chance: „Einer sagt immer Nein.“
Die A52 und ihr möglicher Weiterbau durch den Norden der Stadt: Dauerbrenner in der politischen Debatte seit drei Jahrzehnten. Hans-Jürgen Best gibt dem Vorhaben keine Chance: „Einer sagt immer Nein.“ © FFS | Oliver Mengedoht

An das Mega-Projekt der Stadtplanung mussten Sie in 21 Jahren nicht ran: den Weiterbau der A52.

Weil der auf gar keinen Fall kommen wird. Um die A52 zu bauen, bräuchte man zeitgleich eine politische Zustimmung auf vier Ebenen: in der Stadt Essen, beim Regionalverband Ruhr als Träger der Regionalplanung, im Land und auch im Bund. Das wird nicht klappen, weil irgendwo immer einer sitzt, der Nein sagt.

Von den Bürgern im Norden mal ganz zu schweigen.

Zudem würde ein jeder Investor den A52-Weiterbau auch als Risiko-Investition bezeichnen. Denn irgendwann wird wahrscheinlich so etwas wie eine Verkehrswende kommen. Und wenn sich dank automatisiertem Fahren die Abstände zwischen den Fahrzeugen radikal verkürzen lassen, reichen die vorhandenen Netze ja bei weitem aus.

Müsste nicht eigentlich der oberste Stadtplaner als allererstes sagen: Lasst uns doch unsere Energie auf andere Projekte lenken?

Die Autobahn bindet doch gar keine Arbeitskapazitäten. Faktisch hat sich die Planungsverwaltung mit dem A52-Weiterbau seit schätzungsweise 15 Jahren nicht mehr befasst. Das wäre pure Zeitverschwendung.