Als SPD-Herausforderer von OB Kufen gibt Oliver Kern sich alles andere als kleinlaut. Er glaubt an die SPD und schlägt im Interview neue Töne an.
Herr Kern, erst die gute Nachricht: Sie sind ein ausgesprochen netter Mensch.
Dankeschön.
Das ist es jedenfalls, was zu hören kriegt, wer sich über Sie erkundigt – nicht nur bei Ihren besten Freunden. Und jetzt die schlechte...
Na?
Sie sind in der SPD.
Das sehe ich nicht als Nachteil. Man muss nur die Ebenen auseinanderhalten: Hier werden wir nach wie vor als Kümmerer vor Ort wahrgenommen. Im Essener Stadtrat bilden wir die größte Fraktion. Die CDU ist also unser Junior-Partner, auch wenn das manchmal nicht so deutlich wird. Wir stellen in sechs von neun Stadtbezirken den Bezirksbürgermeister und müssen nicht in Sack und Asche gehen.
Das sind ja noch die Folgen der Wahl 2014. Die Europawahl war für die SPD dagegen eine einzige Katastrophe.
Aber nicht nur für die SPD. Wenn man mal vom Hype um die Grünen absieht, verlieren die großen Parteien doch alle. Wir haben den Frieden in Europa gesichert, Banken gerettet, Flüchtlingskrisen gehabt, aber viele umtreiben andere Fragen: Was tun wir für die Menschen vor Ort? Da ist ganz viel schief gelaufen, das sieht man an maroden Straßen und Schulen und fehlenden Kita-Plätzen – alles Dinge, die wir uns eigentlich leisten könnten, aber eben nicht leisten.
„Diesen Zusammenhalt unter Sozialdemokraten habe ich so noch nie erlebt“
Was Folgen hat.
Weil der rechte Rand gestärkt wird, wenn von dort populistische Versprechen kommen. Und die CDU tut so, als hätten sie und der OB mit alledem nichts zu tun, dabei hat Oberbürgermeister Thomas Kufen 1999 als Vorsitzender im Jugendhilfe-Ausschuss mit entschieden, was in dieser Stadt gerade im sozialen Bereich passiert. Er hat unter anderem auch den Rückbau von Kitaplätzen mitzuverantworten. Und mit dem Viererbündnis den 1000-Stellen-Beschluss gefasst und ganz viel blockiert.
Die Christdemokraten kontern: Die Sozen haben’s vermasselt.
Das habe ich auch gelesen, wie scharf CDU-Chef Matthias Hauer auf meine Nominierung reagiert hat: Er muss ja richtig Angst haben.
Jedenfalls nimmt man den SPD-Konkurrenten offenbar ernst. Für Sie doch kein schlechtes Zeichen, oder?
Nee, ich finde das gut. Weil es für mich zeigt, dass ich mit meiner Kritik nicht so falsch liege.
Hauer vielleicht auch nicht: Immerhin sind Sie seit 2014 in der großen Rats-Koalition mit am Drücker.
Ich bestreite auch nicht, dass die SPD mit in der Verantwortung steckt. Aber in einer „GroKo“, das erleben wir auf Bundesebene ja genauso, ist es natürlich schwieriger, sich deutlicher vom Partner abzugrenzen.
Was hilft’s, die alten Zeiten mit den starken Volksparteien werden wohl kaum wiederkommen, oder?
Das ist auch gut so, denn bei allem, was angepackt, geschafft und gut umgesetzt wurde: Es war ja in den alten Zeiten nicht alles gut, und schon gar nicht bei den Sozialdemokraten. Diese unrühmlichen Situationen, wie wir auch in der SPD miteinander umgegangen sind. Jetzt erlebe ich das in Essen anders: So einen Zusammenhalt unter Sozialdemokraten habe ich in 17 Jahren, die ich jetzt der SPD angehöre, nicht erlebt.
„Ich war immer schon vor Ort. Ich muss mich nicht neu erfinden“
Schreiben Sie sich das selber zu?
In aller Bescheidenheit: Ja, sicherlich auch. Und das nicht, weil ich jetzt der Kandidat bin. Ich war immer schon vor Ort. Ich muss mich nicht neu erfinden, weil ich mich nie verschwurbelt habe, egal, welche Funktion oder Position ich hatte: im Kinderheim, in der Kita, im Verein für Kinder- und Jugendarbeit, als Awo-Geschäftsführer.
Also sind Sie nach eigenem Empfinden der richtige Mann, nur leider zur falschen Zeit, weil die Sozis im Abschwung stecken?
Genau das Gegenteil, auch wenn die Partei auf Bundes- oder Europa-Ebene schwächelt. Ich bin der richtige Mann zur richtigen Zeit, ich werde das rocken.
Hand aufs Herz: Wie groß wird das SPD-Emblem auf ihren Wahlplakaten?
Größer als es sonst so war, darauf bestehe ich: Ich bin schließlich der sozialdemokratische Kandidat, auch wenn man mit schlechten Umfragewerten nicht gerade punkten kann. Ich finde, die SPD hat in ihrer Geschichte viel Gutes für das Land und diese Stadt getan, bei allem, was schiefgelaufen ist.
Finden Sie die Sozialdemokratie ungerecht bewertet?
Ja, nach wie vor. Bei allen Agenda 2010-Problemen. Die SPD ist die Partei, die immer wieder einspringt, wenn andere sich wegducken. Wir haben vieles richtig gemacht, die gesamten sozialen Errungenschaften
tragen eine sozialdemokratische Handschrift. Da geht auch noch mehr, davon bin ich überzeugt, aber ich glaube nicht, dass dies auf Dauer in einer GroKo möglich ist.
In Essen hat die SPD immer wieder das Problem gehabt, auf beiden Seiten der Barrikade zu stehen. Kein großes Politikfeld, wo man Genossen nicht als Ja- wie auch als Nein-Sager erlebt. Empfinden Sie das auch so?
Es gibt einige Themen, ja.
„Wir sollten öfter den Mut haben, ältere Entscheidungen zu überdenken“
Zum Beispiel?
Zum Beispiel beim Zusammenleben. Das haben Sie anders genannt und in meiner Nominierungs-Rede vermisst...
...Sie meinen die Frage der Integration von Zuwanderern…
...den Begriff finde ich eben zu fokussiert. Das ist eine Schublade, die wir immer wieder öffnen und falsche Bilder produzieren. Aber ja, es gibt auch andere Themen, wo die Partei unterschiedlich diskutiert...
Bei der A52...
...ja...
...und den Wohnbauflächen...
...auch. Wichtig ist, dass am Ende ein Ergebnis steht, und sei es 51:49. Das haben wir ja auch bei der Debatte um die GroKo im Bund gehabt.
Ein schönes Beispiel, weil dieses wie auch manches lokale Thema die Partei schier zerreißt. Bei der letzten Abstimmung zur A52 haben Ihre Genossen den Ratssaal verlassen, weil sie sich in ihrer Uneinigkeit nicht vorführen lassen wollten. Glauben Sie, dass Essens SPD besser dastünde, wenn sie einheitlicher auftreten könnte?
Geschlossenheit ist immer gut. Aber die kriegt man nicht immer hin.
Wer wie sie in fünf Jahren 8000 Wohnungen bauen will, riskiert eher mehr Theater.
Kann sein, aber die Frage ist ja: Was packen wir denn mal an? Wir haben immer noch kein Baulücken-Kataster in dieser Stadt, das fordern wir seit drei Jahren. Dazu haben wir ohne Ende Brachflächen, da muss man mal ran, dann hätten wir das Problem ganz schnell gelöst.
Da bin ich nicht sicher.
Ich glaube, wir sollten öfter den Mut haben, ältere Entscheidungen zu überdenken. Um dann vielleicht auch mal eine neue Mehrheit zusammenzubekommen.
Sind Sie denn bereit, sich dafür mit Teilen Ihrer eigenen Partei anzulegen?
Natürlich. Das mache ich doch schon seit Jahren. Als Reinhard Paß OB war, bin ich ihm permanent mächtig auf die Füße getreten, wenn es nicht voranging mit dem Kita-Ausbau. Es geht doch hier nicht um Parteigeplänkel. Natürlich mache ich das mit sozialdemokratischem Hintergrund, aber wenn ich damit anecke, dann ist das halt so.
„Ja, die SPD hat damals eine andere Vorstellung von Vielfalt gehabt...“
Und wie weit würden Sie sich mit den Bürgern anlegen, wenn es um Flüchtlinge und Integration – Sie würden sagen: ums Zusammenleben – geht?
Klar ist doch dies: Die Verantwortung für Menschen, die zu uns kommen, können nicht allein die nördlichen Stadtteile tragen. Das ist ein Thema seit 30 Jahren. Und natürlich geht es uns da auch um die Frage der Rechtsstaatlichkeit: Wir haben zu wenig Polizisten, zu wenig Staatsanwälte, zu wenig Richter.
Viele Menschen haben aber offenbar den Eindruck, dass in der Frage des Zusammenlebens gerade die SPD oft nicht richtig hingeguckt hat. Oder um die Probleme herumgeschwurbelt, wie Sie das ausdrücken.
Da würde ich widersprechen. Ja, die SPD hat damals eine andere Vorstellung von Vielfalt gehabt...
...eine Vorstellung, von der Sie sagen: Davon müssen wir uns ein für allemal verabschieden?
Ja. Multikulti bedeutet nicht, dass jeder macht, was er will.
Aber das war doch hoffentlich auch nie der Plan: dass der eine auf dem Tisch tanzt und der andere davon essen will.
Aber im Grunde wurde nie richtig geguckt: Wie kriegt man das Zusammenleben organisiert? Die Geschichte mit den Libanesen ist uns ja nicht von heute auf morgen entglitten. Seit 16 Jahren nur geduldet, dazu das Verbot zu arbeiten – machen wir uns nichts vor: Dass man da auf komische Ideen kommen kann, k a n n, wohlgemerkt, n i c h t m u s s, lässt sich schon nachvollziehen. Von der Vielfalt der Gesellschaft wollen wir uns gleichwohl nicht verabschieden. Ich freue mich über jede Kultur, die zu uns kommt, weil ich das als Bereicherung empfinde. Aber die Regeln müssen w i r aufstellen.
Nehmen Ihnen die Bürger das denn auch ab? Bei den zurückliegenden Wahlergebnissen war die AfD dort am stärksten, wo die SPD am meisten verlor. Wie wollen Sie das noch mal zurückdrehen?
Indem wir uns ehrlich machen. Indem wir die Sachen so benennen, wie sie sind und nicht versuchen schönzureden, was nicht schön ist.
„Guido Reil war für mich nie wirklich Sozialdemokrat“
Ist es dafür nicht fast schon zu spät? Jedenfalls für die Genossen?
Ich erlebe das anders. Ich bin auch in jenen Stadtteilen viel unterwegs, die man AfD-„Hochburgen“ nennen kann. Man muss mit den Menschen sprechen, seinen Standpunkt deutlich machen. Das habe ich auch mit Guido Reil getan.
Ups, da fällt der Name.
War doch klar, dass der kommt. Er ist für mich jetzt nicht Persona non grata, obwohl ich natürlich nach wie vor nicht mit dem einverstanden bin, was er gemacht hat. Sein Verhalten zeigt mir, das sein Ziel war, Karriere zu machen. Und weil er dafür bei uns keine Mehrheit fand, ist er zur AfD gewechselt. Ich schließe daraus: Er war nie wirklich Sozialdemokrat.
Trotz 25 Jahren SPD-Parteibuch. Sie werden sich begegnen, im OB-Wahlkampf.
Gerne. Ich habe keine Angst vor ihm, das wäre ja albern. Wer, wenn nicht ich sollte die Auseinandersetzung suchen? Ich habe zwei Menschen vor der Tür gehabt, die mein Haus abfackeln wollten. Ich bin mit dem Tod bedroht worden 2016, das war schon nicht ohne. Der Staatsschutz hat ermittelt, und die Leute sind auch gefunden und verurteilt worden. Mir zeigt dies, dass wir so eine Stimmung haben wie ‘33…
Obacht bei Nazi-Parallelen. Das Feld ist vermint.
Mag sein, aber ich habe es so erlebt: Ich habe eine andere Meinung gehabt, und man hat versucht, mich einzuschüchtern, hat mich und meine Familie bedroht. Genau so war das 1933. Erst waren es Spaziergänger, die ein bisschen durch die Orte gelaufen sind, so wie jetzt in Steele. Später wurde marschiert, dann kamen die Fahnen dazu. Ich möchte mir von meinen Kindern mal nicht vorwerfen lassen, nur zugeguckt zu haben.
Es bleibt Ihnen vermutlich nichts anderes übrig, solange „Steeler Jungs“ und andere keine Straftaten verüben.
Da bin ich mir gar nicht so sicher, aber dass es möglich ist, dass sich da eine Horde zusammentut und rechtspopulistische Geschichten von sich gibt, das liegt daran, dass wir bestimmt Zustände in diesem Land haben – und da rede ich nicht von Flüchtlingen. Wir haben vieles einfach nicht gemacht. Wir müssen liefern: Schulen sanieren, Kitas bauen, den Menschen eine Perspektive bieten.
„Dass es keine Stichwahl um den OB gibt, das sehe ich noch nicht“
Dass diese Stadt lange auf Verschleiß gelebt hat, dazu gibt es aber kein Erkenntnis-Problem mehr, oder?
Stimmt, aber ich sehe eben auch keine Akzente.
Was liefe mit Ihnen als OB anders als mit Thomas Kufen?
Dass ich’s mache. Dass ich’s anpacke. Dass ich nicht große Runden drehe, sondern die Leute mitnehme, die Verantwortung tragen und mit den Menschen gemeinsam überlege: Wie kriegen wir das gewuppt?
Aber die Stadt stemmt derzeit doch so viele Bauprojekte wie lange nicht.
Entschuldigung, aber erst im vierten Jahr mit einer ständig wachsenden Zahl fehlender Plätze einen Kita-Gipfel zu veranstalten – also das finde ich dann doch etwas peinlich für einen Oberbürgermeister.
Am Ende glauben Sie an einen Zweikampf Kufen kontra Kern?
Ja.
Aber womöglich gibt’s keine Stichwahl.
Das sehe ich noch nicht. Die Klage gegen deren Abschaffung läuft. Ich hoffe, die Gerichte erkennen, dass es undemokratisch wäre, wenn mancherorts ein OB mit einer Legitimation von 22 oder 23 Prozent der Bürger gewählt wird. Aber ich habe schon mal gesagt: Ich brauche die Stichwahl nicht.
Weil sie gegen einen laut Umfragen ausgesprochen beliebten OB gleich in der ersten Runde gewinnen wollen?
Natürlich, alles andere wäre doch Quatsch.
Hm. Sie haben’s ja selbst gesagt: Nur wer von sich selbst begeistert ist...
...kann andere begeistern. So ist das.
Man kann sich natürlich auch...
...selber überschätzen, ich weiß. Aber ins Rennen zu gehen mit der Vorstellung, dass man nicht gewinnt – ob nun in der ersten oder der zweiten Runde –, dazu trete ich nicht an. Ich habe zwar schon viele Wahlkämpfe geleitet, aber noch nie als Kandidat zur Wahl gestanden. Jetzt bin ich selber mal in der Situation und habe da richtig Bock drauf. Wir werden das rocken, davon bin ich überzeugt.