Essen. . Beim NRZ-Bürgerbarometer äußern 45 %, das Einkaufszentrum Limbecker Platz wirke negativ auf die Innenstadt. Klingt viel, doch vor zwei Jahren lag der Wert deutlich höher – und auch die Kaufmannschaft gibt Entwarnung. Aber es gibt einen Verlierer der Innenstadtentwicklung: der Einzelhandel in den Stadtteilen.
Der böse Riese gegen die schutzlosen Kleinen? Die ganze Wucht des Kapitals gegen aufopferungsvolle Krämer? Wenn es um die Auswirkungen des riesigen Einkaufszentrums am Limbecker Platz geht, bringen sie beim Center gern die Tüten gegen die Mythen in Stellung: Auf der Kettwiger Straße, so heißt es dann, sieht man genügend Passanten mit Plastiktüten von Karstadt, und im Kauf-Koloss ebenso viele Leute mit den Papiertaschen von Primark. Der Austausch zwischen Center und City, er funktioniere also. „Wo liegt das Problem?“
Es gibt eines. Der Shopping-Tempel und seine Folgen – das ist in der öffentlichen Wahrnehmung offenbar auch drei Jahre nach der Eröffnung des Kauf-Kolosses in seiner vollen Ausdehnung ein ewiger Kampf zwischen Verstand und Gefühl. „Wie hat sich das Einkaufszentrum Ihrer Meinung nach auf die übrige Innenstadt ausgewirkt?“ – So fragte die NRZ in ihrem repräsentativen Bürgerbarometer 521 zufällig ausgewählte Essener Bürger, und die Antwort hält eine gute und eine schlechte Nachricht parat, egal, auf welcher (Meinungs-)Seite man steht.
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Denn immerhin 45 Prozent der Befragten halten die Auswirkungen des Centers für „eher“ oder sogar „sehr negativ“ (siehe Balkendiagramm). Dagegen stehen 22 Prozent, die „eher“ oder „sehr positive“ Auswirkungen erkannt haben wollen. 28 Prozent zucken mit den Achseln („weiß nicht“) oder sehen „keine Auswirkungen“. Dabei äußern übrigens mehr Frauen als Männer harsche Kritik und eher ältere als jüngere Kunden. Seine besondere Spannung bezieht dieses Ergebnis aber vor allem, wenn man es mit dem NRZ-Bürgerbarometer von vor zweieinhalb Jahren vergleicht. Wenige Monate nach der Kompletteröffnung hatten damals noch 73 Prozent der Befragten negative Auswirkungen erwartet. Alles halb so wild also? Erweist sich der Einkaufs-Gigant am nordwestlichen Rand der Innenstadt als eine Art Scheinriese wie bei Jim Knopf – ein angsteinflößender Koloss, der umso weniger groß und bedrohlich wirkt, je näher man ihm kommt?
„Ich habe ein gutes Gefühl“
Jürgen Bessel jedenfalls fühlt sich durch die bemerkenswert deutlich geschrumpfte Kritik am Kauf-Tempel „sehr bestätigt“: „Ich habe immer gesagt: Das Einkaufszentrum wird die Innenstadt aufwerten und deshalb ein Gewinn für Essen sein“, betont der Vorsitzende des hiesigen Einzelhandelsverbandes – und kann sich noch gut daran erinnern, „wie ich für solche Äußerungen früher verbal verprügelt worden bin“.
Dabei verkennt Bessel keineswegs die Durststrecke, die vor allem die Kaufmannschaft auf der Kettwiger Straße hinter sich gebracht hat: Da gab es eine deutliche Delle, keine Frage, und „die Kettwiger hat noch immer ein Problem“. Aber die Zahl der Telefon- oder Billigläden nehme inzwischen wieder deutlich ab, die der Fachgeschäfte zu. „Ich habe ein gutes Gefühl.“
Schützenhilfe bekommt der Chef der Kaufmannschaft aus der Szene der Immobilienmakler wie etwa von der Engel & Völkers Commercial GmbH: Die Haupteinkaufsstraßen der Essener Innenstadt, so schreiben die Hamburger dieser Tage aus Anlass ihrer jüngsten Frequenzzählung, hätten in den vergangenen Jahren „ein wenig ihres ehemals glanzvollen Erscheinungsbildes verloren“. Doch im Nachgang sei festzuhalten, dass sie „nicht zuletzt Dank des neuen Shopping-Centers eine neue Attraktivität gewonnen haben“. Für zahlreiche Besucher dort gehöre ein Abstecher in die Innenstadt „mittlerweile zum Shopping-Erlebnis“, auch und gerade bei den jungen Leuten.
Von Futterneid nichts zu spüren – Aber: Die Stadtteile leiden unter der neuen Attraktivität der Innenstadt
Mehr Attraktivität für alle, dem Center sei Dank: Victoria Esser kann hinter solche Kommentare nur drei Ausrufezeichen setzen. Denn auch die Center-Managerin vom Limbecker Platz ist fest davon überzeugt, dass die Innenstadt vom Einkaufszentrum deutlich mehr profitiert als sie darunter gelitten hat: „Man sieht doch die grandiose Entwicklung durch die vielen neuen Fachgeschäfte“, sagt sie. „Primark, Lego, Seidensticker und andere – da siedeln sich tolle Labels außerhalb des Centers an.“ Hauseigene Befragungen stützten die These vom Wechselspiel zwischen Center und City: „Wenn wir unsere Kunden fragen: Wo gehen Sie heute noch hin?, dann ist die meistgenannte Antwort: in die Innenstadt.“
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Grund zum Futterneid gibt’s für das Einkaufszentrum schon deshalb nicht, weil das Center zu 100 Prozent vermietet ist und man dort ohnehin nicht hoppla-hopp einen ausgeklügelten Branchenmix aus Filialisten und lokalen oder regionalen Händlern infrage stellen möchte. Auch daraus speist sich eine Zusammenarbeit, die Center-Managerin Esser „sehr gut“ nennt: „Die Skepsis uns gegenüber ist sehr stark zurückgegangen, die alten Vorurteile hat man abgelegt.“
Innenstadt geht zu Lasten der Vororte
Eine Analyse, die Jürgen Bessel vom Einzelhandelsverband allerdings mit einer Einschränkung versieht: Die wiedererstarkte Innenstadt, sie geht für ihn „ganz eindeutig“ zu Lasten der Vororte. „Die Leute sind wieder eher bereit, ‘in die Stadt‘ zu fahren“, so Bessel. Eine Entwicklung, die er mit etwas Unterstützung für die Nebenzentren ausgleichen möchte – mit dem gänzlichen Verzicht auf Parkgebühren in den Stadtteilen etwa. Auch in der Innenstadt ist für Bessel längst noch nicht alles Gold, aber daran lasse sich arbeiten, gerne auch gemeinsam mit dem Kauf-Koloss nebenan. „Ich sehe da immer auf die ganze Entwicklung: Das Center war damals die einzige Möglichkeit, den Ruf der Einkaufsstadt aufzubessern. Das ist gelungen.“