Duisburg. .

Über die neue Umweltzone Ruhrgebiet und die kommenden Fahrverbote für Autos mit roten und gelben Plaketten sprach Martin Kleinwächter mit Kerstin Ciesla, Kreisvorsitzende vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Wenn 2013 das Fahrverbot für Autos mit roter Plakette und 2014 für die mit gelber Plakette kommt, ist die Welt dann für Sie in Ordnung?

Kerstin Ciesla: Nein. Denn in Duisburg ist der Autoverkehr gar nicht das Hauptproblem, sondern das ist die Industrie.

Gilt das für das gesamte Ruhrgebiet so?

Ciesla: Eben nicht. Nehmen wir mal die Stadt Essen im Vergleich zu Duisburg: In Essen werden jährlich nur 120 Tonnen Feinstaub PM10 von der Industrie verursacht, in Duisburg sind es 3800 Tonnen.

Und wie sehen die Werte für den Verkehr aus?

Ciesla: Da weist der Luftreinhalteplan Ruhrgebiet jährlich für Essen einen Ausstoß von 250 Tonnen, für Duisburg von 350 Tonnen aus. In Essen kommen also auf eine Tonne Feinstaub von der Industrie zwei Tonnen vom Verkehr. In Duisburg kommen auf eine Tonne von der Industrie weniger als 100 Kilo vom Verkehr.

Kerstin Ciesla vom BUND weiß, von welchen Firmen die meiste Luftverschmutzung kommt. Auch aus dem Stadtwerkekamin kommt keine gute Luft. Foto: Kerstin Bögeholz / WAZ FotoPool
Kerstin Ciesla vom BUND weiß, von welchen Firmen die meiste Luftverschmutzung kommt. Auch aus dem Stadtwerkekamin kommt keine gute Luft. Foto: Kerstin Bögeholz / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Welche Konsequenzen müsste das Ihrer Ansicht nach haben? In Duisburg wird mit dem Autofahrer doch sozusagen der Falsche getroffen.

Ciesla: Wir fordern, dass zunächst genau ermittelt wird, wer von der Industrie konkret die Hauptverursacher der Belastungen sind, um dann entsprechende Maßnahmen festzulegen. Wir fordern ferner, dass in Duisburg solange keine neuen Genehmigungen für solche Industrieanlagen erteilt werden, ehe die zulässigen Grenzwerte eingehalten werden.

Fürchten Sie denn nicht den Vorwurf, in der ohnehin durch hohe Arbeitslosigkeit gebeutelten Region durch solche Forderungen die Verhältnisse noch zu verschlimmern?

Ciesla: Um es kurz und knapp zu sagen: Gesundheitsschutz geht vor. Es gibt keinen Feinstaubwert, der gesundheitlich unbedenklich wäre.

Wofür wird Feinstaub verantwortlich gemacht?

Ciesla: Für die Verkalkung der Herzkranzgefäße und damit den frühen Herztod, für Erkrankungen der Atemwege, Lungenkrebs zum Beispiel oder Asthma. Es wird unter Experten auch diskutiert, ob das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, dadurch stark erhöht wird. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat man sogar herausgefunden, dass Feinstaub das Lernvermögen von Kindern einschränkt.

Würde eine Absenkung der PM10-Werte denn eine konkrete Besserung bedeuten?

Ciesla: Jedes Millionstel Gramm Feinstaub weniger erhöht die Lebenserwartung um zwei Wochen.

Machen Sie doch mal eine Modellrechnung auf.

Ciesla: Angenommen, entlang einer Hauptverkehrsstraße wird ein PM-10-Wert von 40 Millionstel Gramm pro Kubikmeter Luft am Boden gemessen. Es gelingt, diesen Wert auf 20 Millionstel Gramm zu halbieren. Im Ergebnis ergäbe sich eine im Durchschnitt um 40 Wochen höhere Lebenserwartung der so Belasteten, das ist fast ein ganzes Jahr.

Aber was antworten Sie auf die mit Ihren Forderungen verbundene Gefährdung von Arbeitsplätzen?

Ciesla: Als vor 25 Jahren die ersten Auflagen zur Luftreinhaltung erschienen, ist dieser Vorwurf auch schon erhoben worden. Der Arbeitsplatz-Abbau, den es seitdem massiv gegeben hat, ist aber nicht dadurch gekommen. Er ist gekommen, um die Produktivität und den Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Und das ist auch gelungen.

Der Umweltschutz spielte dabei also nur eine Nebenrolle?

Ciesla: Genau. Und dabei darf man nicht vergessen, dass eine Stadt mit sauberer Luft ja auch attraktiver wird, eine Voraussetzung dafür, dass Menschen wieder nach Duisburg ziehen. Im übrigen betrifft der Gesundheitsschutz, der damit verbunden ist, ja auch die Mitarbeiter der Industrie und ihre Familien.

Was sagen Sie denn dazu, dass der Schiffsverkehr in Duisburg immerhin zu einem Viertel an der Feinstaubbelastung durch den Verkehr beteiligt ist?

Ciesla: Das wundert uns nicht. Sieht man sich andere Häfen an, stellt man fest, dass es dort Stromtankstellen gibt. In Duisburg hingegen laufen die Schiffsdiesel am Anleger weiter, damit an Bord Strom vorhanden ist.

Und dagegen kann man nichts unternehmen?

Ciesla: Die Bezirksregierung jedenfalls verweist auf eine nötige europaweite Regelung. Wir als BUND erwarten, dass sie sich vorab in der Region um eine Kooperation mit der Binnenschifffahrt bemüht. So eine Stromtankstelle soll nicht mehr als 5000 € kosten. Logport müsste sich die stufenweise Einführung durchaus leisten können.

Wer einen Diesel-Pkw mit roter Plakette fährt, der nicht nachgerüstet werden kann, wird mit dem Fahrverbot ab 2013 praktisch enteignet. Und welchen Beitrag leistet die Industrie zur Lösung des Problems?

Ciesla: Der Luftreinhalteplan führt gerade einmal fünf größere Projekte auf, wovon zwei bereits als umgesetzt dargestellt werden. Zwei weitere sollen Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.

Wie bewerten Sie das?

Ciesla: Da fehlt jede Verhältnismäßigkeit, jedenfalls wenn man Duisburg betrachtet. Wir sind die am höchsten belastete Stadt des gesamten Ruhrgebiets. Für die Bevölkerung muss in Sachen Gesundheitsschutz etwas getan werden. Alle Verursacher müssen ihren Beitrag dazu leisten.