Duisburg.

Säuberliche Schönschrift in einem akkurat gebundenen Büchlein – Waltraud Kappes hat vor einigen Jahren ihre Erinnerungen an den Krieg niedergeschrieben. „Als meine Eltern gestorben sind, hätte ich gerne noch einiges gefragt“, erklärt sie ihre Motivation, zur Autorin zu werden – und ihren beiden Kindern viele Fragen zu beantworten.

„Plötzlich ertönte die laute Sirene. Wir kannten dieses schreckliche Geräusch schon“, heißt es zu Beginn des schmalen Buches: „Mutter nahm unser Babyschwesterchen Walburga auf den Arm, die Kartoffelschüssel in die andere Hand und mahnte uns zur Eile.“ An der Kammerstraße in Neudorf wohnte die Familie damals, der Vater war als Soldat weit weg.

„Alle rückten etwas zusammen"

Die Sirene trieb alle Hausbewohner in den Keller, der mit Stühlen und Bänken ausgestattet war. Die Mutter schälte die Kartoffeln weiter, man plauderte. „Dann gab es plötzlich einen fürchterlichen Knall. Die Kellerwände dröhnten, und es war ein fürchterliches Getöse überall. Jetzt fingen einige Mitbewohner laut an zu beten. Wir drückten uns ängstlich an unsere Mutter. Alle hofften still, dass unser Haus verschont bliebe. Da holte auch Mutti ihren Rosenkranz aus der Schürzentasche“, schrieb die 1936 geborene in ihrem Erinnerungsband.

Stimmengewirr habe man schließlich gehört, und durch einen Durchbruch in der Kellerwand seien die Bewohner des Nachbarhauses gekommen, das einen Bombentreffer erlitten hatte: „Alle rückten etwas zusammen und warteten gemeinsam auf das Ende des Bombenangriffs.“ Der für die Familie Kappes glimpflich vorüber ging. Fensterscheiben waren zerstört, die Wohnung war von Putzstaub bedeckt, in den Zimmerdecken waren Löcher – aber das Haus war unzerstört. Es steht heute noch.

Die Evakuierten-Kinder genossen das Landleben

Die Familie Kappes entschied sich nach dem Angriff zum Umzug aufs Land. „Mein Opa war Bayer“, berichtet die Neudorferin, also sei man mit drei Kindern, Mutter, Oma, Opa und Tanten nach Schwarzenfeld in der Oberpfalz gefahren, wo es für die Bombenflüchtlinge eigene Häuser mit Garten und Stall für Schweine und Hühner gegeben habe. „Alles war ganz neu für uns und eine Abenteuer, alles zu erkunden“, heißt es im zweiten Kapitel des Erinnerungsbuches. Die Evakuierten-Kinder genossen das Landleben, die gute Kost, wurden eingeschult und sahen ihre Heimat erst Jahre später wieder, als der Krieg zu Ende war. Immerhin kam auch der Vater eines Tages wieder, er hatte Krieg und russische Kriegsgefangenschaft überstanden.

Die Kriegsfolgen waren auch Jahre später noch zu spüren. 1959 heiratete Waltraud Kappes, aber im weitgehend zerbombten Duisburg gab es jahrelange Wartezeiten auf eine intakte Wohnung. Für die Neudorferin gab’s indes eine Lösung in Ruhrort – und zwar eine nachkriegstypische. Die erste Wohnung der Frischverheirateten war im Hochbunker am Neumarkt in Ruhrort. Drei Parteien hatten Platz auf einer Etage, immerhin gab’s eine Toilette pro Mietpartei: „Es war unsere erste Wohnung, wir haben uns drüber gefreut wie Bolle.“