Duisburg. . Akribisch recherchiert Harald Molder in Duisburg, aber auch in England und Amerika, was während des Zweiten Weltkriegs in Duisburg geschah. Mit der Zeitzeugenbörse sammelt er Erlebnisberichte, Fotos und andere Dokumente.

Die ersten Bomben des Zweiten Weltkriegs trafen Duisburg im Mai 1940. Schaulustige gingen noch zur Wörthstraße in Hochfeld, um sich die Schäden anzusehen. Wenige Tage später starben schon drei Duisburger bei einem Luftangriff an der Bachstraße, ebenfalls in Hochfeld. Und immer öfter kamen die Bomber und immer mehr kamen, zwangen die Menschen in Keller, Bunker und Stollen, ließen Feuer und Tod vom Himmel fallen.

Von 311 Angriffen geht Harald Molder aus, der seit Jahren akribisch den Bombenkrieg über Duisburg erforscht. Dazu ungezählte Überflüge von Bombern, wenn es um Angriffe auf Essen oder Bochum ging. Nachts die Engländer, später im Kriegsverlauf die Amerikaner, die bei Tag angriffen. „Die Sirenen heulten fast jeden Tag“, weiß der Freizeit-Historiker aus unzähligen Gesprächen mit Zeitzeugen: „Duisburg war die Einflugschneise ins Ruhrgebiet.“

Nacht für Nacht Angst ums Leben

Das hieß: Nacht für Nacht in den Keller, in den Bunker, in den Stollen, ob im Kaiserberg oder in der Schlackenhalde in Meiderich, die sogar über einen Operationstrakt verfügte. Nacht für Nacht Angst ums Leben, das eigene und der Angehörigen, um Haus und Hab und Gut. War ein Angriff überstanden, mussten Brände gelöscht und Verschüttete geborgen werden, musste Schutt geräumt, musste eingekauft und musste gearbeitet werden. Bis die Sirenen schon wieder aufheulten und die Menschen erneut unter die Erde zwangen.

Ab 1942 kam’s knüppeldick, genauer am 20. Dezember, mit dem ersten Großangriff. Das war nach Definition der britischen Bomberstrategen ein Angriff mit mindestens 100 Bombern. Spreng- und Brandbomben treffen unter anderem Stadttheater und Landgericht. Am 13. Mai 1943 war die Salvatorkirche Zielobjekt der Piloten, von „Cathedral Bombing“ sei damals die Rede gewesen, sagt Molder. Die großen Kirchen wurden angeflogen, meist im Mittelpunkt der Altstädte gelegen, die brannten wie Zunder. Rathaus und Altstadt wurden verheerend getroffen.

„Operation Hurricane“

Aber es kam noch schlimmer. Viel schlimmer. Molder weiß es bis auf die Minute genau. „Operation Hurricane“ hatten die alliierten Flieger den Großangriff genannt, der am 14. und 15. Oktober 1944 Duisburg traf, in drei Wellen um 8.45, 1.30 und 3.30 Uhr. Insgesamt 2000 Bomber, meist viermotorige Maschinen mit bis zu acht Tonnen Explosivladung, hatten die Stadt an Rhein und Ruhr im Visier – und sie trafen mit vernichtender Gewalt. Sie trafen überall in der Stadt, die in den Plänen lückenlos in präzise Angriffsstreifen aufgeteilt war. Sie trafen Häuser und sie trafen die Warneinrichtungen, so dass die Sirenen bei der nächsten Angriffswelle nicht mehr funktionierten, viele Menschen nicht mehr rechtzeitig in die Luftschutzbunker kamen.

3500 Tote wurden in den Tagen danach gezählt, als immer noch Blindgänger explodierten, während Löschkräfte gegen die Brände vorgingen. Knapp 8000 Luftkriegsopfer wurden insgesamt registriert. Erfasst worden seien offiziell aber weder Durchreisende noch Binnenschiffer oder Fremdarbeiter, nur gemeldete Duisburger sagt Molder. Die tatsächliche Opferzahl dürfte deutlich höher sein.

Aktive Zeitzeugenbörse 

Naheliegendes hat den Forscherdrang von Harald Molder angestoßen: Die Geschichte von Hüttenheim wollte er aufschreiben, wo der spätere Reiseverkehrskaufmann 1961 geboren wurde. Zeitzeugen hat er befragt, und immer wieder begegnete ihm ein Ereignis, das die Erinnerung vieler Menschen nachhaltig prägte und immer noch prägt: der Bombenkrieg, insbesondere der schwerste Angriff im Oktober 1944.

Erinnerungen von Bomberpiloten

Bis 1994, als sich die „Operation Hurrican“ zum 50. Mal jährte, hatte Molder 150 Menschen befragt, inzwischen sind’s um die 1200. Und er ist rund 60 mal nach England gereist, erstmals 1992, um dort in die Archive zu gehen, zu finden, wann, wie und warum Bomber von der Insel Duisburg angeflogen sind. „Die haben alles minutiös festgehalten“, berichtet Molder, der auch in den USA forschte. Er fand Erinnerungen von Bomberpiloten ebenso wie Hinweise, dass mancher Angriff eigentlich andere Städte hätte treffen sollen. Aber Duisburg lag am Anfang von „Happy Valley“, wie die Bomberbesatzungen das Ruhrgebiet nannten mit seiner Ballung von Flugabwehrbatterien.

2007 gehörte Molder zu den Gründern des „Zeitzeugenbörse“ mit inzwischen 25 Mitgliedern. Und rund 80 Ansprechpartner gibt es zu bestimmten Themen. Im Ernst-Ermert-Seniorenzentrum in Duissern gibt es einen Treffpunkt, aber Zeitzeugen werden auch zu Hause besucht. „Für uns wichtig ist die gelebte Geschichte, die der Mensch erzählt“, sagt Molder. Alle Erinnerungen werden erfasst und archiviert, längst geht es nicht mehr nur um den Bombenkrieg. 2012 sollte Molders Buch: „Duisburg im Bombenhagel“ im Rathaus vorgestellt werden. Doch das Gebäude musste geräumt werden – wegen eines Bombenfundes.