Duisburg. Klaus Krachhel (72) wurde auf dem Alten Friedhof am Sternbuschweg in Duisburg geboren und wuchs zwischen den Baum- und Gräberreihen dort auf. Noch heute erinnert der Sohn des damaligen Friedhofaufsehers sich gerne an seine schaurig-schönen Kinder- und Jugendjahre.
Klaus Krachhel freut sich beim Ortstermin wie ein Schneekönig. Ein Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung lässt ihn in das neugotische Haus neben der Kapelle auf dem Alten Friedhof am Sternbuschweg. „Hier links war die Küche, rechts das Wohnzimmer. Schauen Sie mal, die alten Fensterrahmen sind immer noch da.“ Bei dem 72-jährigen Duisburger kommen Kindheitserinnerungen hoch, denn bis zu seinem 21. Lebensjahr lebte Klaus Krachhel als Sohn des Friedhofaufsehers mitten zwischen den Gräbern. „Dass ich das Haus noch mal von innen sehe - damit hatte ich jetzt gar nicht gerechnet.“ Unverhofft kommt oft? Stimmt!
Genau wie der Anruf in der Redaktion. Klaus Krachhel hatte gelesen, dass die renovierte Bönnninger Gruft zu Allerheiligen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das war für ihn das Stichwort: „Da kann ich ihnen was zu erzählen. Und zum ersten Romagrab auch“, sagt er am Telefon. Aha. Das hört sich spannend an.
Monumentale Roma-Gruft
Treffpunkt Alter Friedhof, Haupteingang Sternbuschweg. Die Sonne scheint. „Wissen sie, das ist hier jetzt ja richtig licht. Die haben hier ganz schön ausgemistet bei den alten Bäumen und Sträuchern. Früher war das alles ganz dicht bewachsen“, erzählt Klaus Krachhel und zeigt mit den Händen: „Da links, neben der Kapelle, da bin ich aufgewachsen. Für mich war das kein Friedhof. Das war mein Park und jeder Baum gehörte mir“.
Aber erst geht zu den Romagräbern auf dem linken Feld vor Kapelle und Elternhaus. „Jetzt müssen wir mal nach den Daten sehen. Da, das war das erste Grab“, sagt der 72-Jährige und zeigt auf eine monumentale Gruft aus schwarzem Granit aus dem Jahr 1962. Ein weißer Zettel klebt auf dem Stein. Die Friedhofsverwaltung wird das Grab Ende 2013 abräumen, weil die Grabnutzung nicht verlängert wurde.
Ein Platz in der ersten Reihe
„Damals“, erinnert sich Klaus Krachhel an die Beerdigung, „war das hier ‘ne Sensation.“ Es sei richtig eng geworden mit der Beerdigung. Bauarbeiter hätten noch am Abend vorher die Gruft ausgemauert, seien aber bei Tageslicht nicht fertig geworden. „Stromaggregate oder so was hatten die damals ja noch nicht“. Also kam der Strom für die dicken Strahler aus dem Haus des Friedhofsverwalters, damit alles noch pünktlich für die Beerdigung fertig wurde.
Und die Beerdigung selbst? „Mein Vater hat den Zug angeführt“, erinnert sich Klaus Krachhel. Immer mehr Menschen seien vom Eingang an der Waldstraße hinter dem Sarg hergelaufen. Klein-Klaus hat sich das Spektakel aus dem Kinderzimmer angeguckt, halb hinter der Gardine versteckt: „Und hier standen die ganzen Journalisten und Fotografen und zeigt neben den Hauseingang.“ Einer der Fotografen sah den Steppke und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Mutter Krachhel war nicht da. Also schloss der kleine Klaus mit dem Fotografen Preuss („So hieß der, mein ich“) einen Exklusiv-Vertrag. Freier Blick vom Kinderzimmer auf den Trauerzug gegen Bares. „Ich hatte wochenlang Kinogeld“, hat der alte Klaus noch immer Spaß, wenn er an die Vergnügungen des jungen denkt. Daran hat der anschließende Ärger mit Mutter Krachhel nichts geändert.
Ausblick über Duisburg im Kirchturm
Geschäftstüchtig war Klein-Klaus auch bei anderer Gelegenheit. Gegenüber vom Haus war ein Gestänge mit Gießkannen, die man für 50 Pfennige ausleihen konnte. An den Wochenenden, wenn viel Betrieb auf dem Friedhof war, war das Gestänge oft leer und Klaus Krachhel verlieh die eigenen Gießkannen gegen ein „Trinkgeld“.
Die Kapelle aus dem Jahr 1874 hat es Krachhel bis heute angetan. „Schade, dass das Seil für die Glocke dort nicht mehr hängt“, bedauert er. Denn in seiner Kindheit, abends, bevor die vier Eingangstore zum Friedhof abgeschlossen wurden, wurde die Glocke geläutet, damit die Leute den Friedhof verließen. Und manchmal, erzählt der Senior, habe der Vater ihm erlaubt, zu läuten. „Dann bin ich am Seil durch die ganze Kirche geschwungen. Herrlich.“ Später sei er mit seinen Freunden ab und zu heimlich den Kirchturm hochgeschlichen: „Das war ein toller Blick über Duisburg.“
Drehbarer Grabstein
Eher gruselig war sein einziger Besuch in der Bönninger Gruft: „Da muss ich so zehn Jahre alt gewesen sein. Irgendwas war in der Gruft abgesackt und musste repariert werden. Da hat mein Vater mich mal mit runter genommen. Ich bin bis zur Mitte der Gruft gekommen. Da hat dann irgendwas komisch geknarrt und ich bin wie der Wind wieder rausgerannt. Mein Vater hat herzhaft gelacht.“ Auch hätten er und seine Freunde manchmal an den Lüftungsschlitzen der Gruft geschnuppert. „Und wenn dann einer Buh gerufen hat, sind alle zusammengezuckt.“
Gegenüber der Gruft liegt das Curtius-Grabfeld. „Da müssen wir noch mal hin. Ich muss da mal was nachsehen.“ Okay. Klaus Krachhel schaut sich die Grabsteine an, bleibt stehen und murmelt: „Schade.“ Früher sei da ein Grabstein eingelassen gewesen, den man drehen konnte. „Da kamen dann betende Hände zum Vorschein. War ein Geheimtipp.“ Tempi passati - die Zeiten sind vorbei.
Schnell vorbei an der Leichenhalle
Ebenso vorbei sind die Zeiten, in denen Klein-Klaus Angst hatte, Kartoffeln aus dem Keller zu holen, denn ein alter Tunnel verbindet das Haus mit der Leichenhalle in der Kapelle. Der war zwar schon zu Krachhels Kinderzeiten zugemauert, „aber ich hab’ trotzdem immer zugesehen, dass ich da ganz schnell dran vorbei kam.“ Wie er auch, wenn er im Dunklen nach Hause kam, auf den Friedhofswegen die Mitte bevorzugte.
Ganz besonders ist ihm seine Party zum 21. Geburtstag in Erinnerung geblieben: „Die war richtig gut. Hat sich ja keiner über den Lärm beschwert.“
Kurz danach sind die Krachhels aus dem Haus auf dem Friedhof ausgezogen „nach Neudorf rein“. Zu viel Feuchtigkeit im alten Gemäuer. Heute lebt er im Duisburger Süden, in Großenbaum. Aber begraben werden, dass ist für Klaus Krachhel ganz klar, möchte er in Neudorf, auf dem Alten Friedhof.