Duisburg. Istanbul und Duisburg trennen rund 2600 Kilometer. Die aktuelle Protestbewegung bringt die Stadt vielen Menschen in Duisburg wieder näher. Die WAZ wollte wissen, wie türkischstämmige Duisburger über die Geschehnisse denken.
Istanbul und Duisburg trennen rund 2600 Kilometer. Die aktuelle Protestbewegung bringt die Stadt vielen Menschen in Duisburg wieder näher. Die WAZ wollte wissen, wie türkischstämmige Duisburger über die Geschehnisse denken, wie sie die Situation einschätzen. Bleibt es bei einer zeitweiligen Bewegung oder wird es tiefgreifende Veränderungen geben?
Bürgermeister Erkan Kocalar hofft vor allem, dass die Demonstrationen keine weiteren Opfer fordern. Wie sich die Lage in Istanbul entwickeln wird, könne er jedoch nur schlecht einschätzen. „Ich denke aber, dass es nicht schnell beendet sein wird. Wenn sich schon Gewerkschaften und hohe Persönlichkeiten zu Wort melden, wird es schon tiefer greifen“, erwartet er.
Avci Sevket, Vorsitzender des Integrationsrates, ist hingegen der Ansicht, dass „es nicht langfristig andauern wird“. Die Demonstrationen hätten gut begonnen – aber wie es momentan laufe, mit Ausschreitungen auch auf Seiten der Protestler, könne er die Aktionen nicht befürworten. „Die Regierung hat die Zeichen verstanden und sich mehr zurückgezogen.“ Ähnlich sieht auch Erkan Üstünay, zweiter Vorsitzender vom Fußballverein ,SV Genc Osman Duisburg’ die Situation. „Beide Seiten machen Fehler und die Lage spitzt sich zu.“ Bekannte von ihm waren vor ein paar Tagen in Istanbul und hätten die Lage als „schlimm“ bezeichnet. Die Bevölkerung versuche aber Normalität zu schaffen. „Einen Fortschritt sehe ich allemal – die Politik hat immerhin zugegeben, dass sich die Polizei zu heftig verhalten hat.“ Aus den Fehlern müsse man lernen. Das Recht zu demonstrieren sei natürlich absolut legitim – „aber bitte ohne Gewalt“, meint Üstünay.
Rückendeckung aus dem Ausland
„Zu einem Regierungssturz wird es nicht kommen“, glaubt Ilhan Güles, Mitarbeiter beim ,tiad’ (Verein türkischer Geschäftsleute in Duisburg und Umgebung). Aber der Protest werde weiter andauern. Die Fronten in Istanbul seien so verhärtet, dass es nur sehr schwer zu Lösungen kommen werde. „Viele sehen eben die Verbote der Regierung als definitiven Rückschritt. Das Alkohol- und Kussverbot, das Thema Abtreibung.“ Die Ironie an der Sache sei, so Güles, dass der Premier Rückendeckung aus dem Ausland bekomme.
Mustafa Tazeoglu sitzt unterdessen seit den Demonstrationen vor seinem Rechner und verfolgt die Situation über Facebook und andere Medien. Er selber war zu Zeiten der Unruhe nicht vor Ort, kennt aber die Stadt berufsbedingt. Der Sozialunternehmer (Agentur ,Urban Rhizome’) bezieht seine Informationen nun aus erster Hand von einem guten Freund, der extra in die Türkei geflogen ist, um „direkt an der Front zu kämpfen“. „Im Minutentakt kommen neue Videos und Infos rein“, erzählt Mustafa Tazeoglu. Es würden sich viele Emotionen aufbauen. Neben Beschimpfungen der Gruppierungen untereinander, herrsche momentan aber vor allem ein Hochgefühl vor. „Die Leute sind wie aphrodisiert“, sagt er. Das alltägliche Leben in Istanbul sei lahm gelegt. „Die Läden können dort gar nicht öffnen.“ Ob der Protest noch länger andauern wird? Davon geht Tazeoglu nicht aus. „Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist zu stark, als dass es ewig so weitergehen kann.“