Istanbul/Berlin. Sechs Tage dauern mittlerweile die Demonstrationen gegen die türkische Regierung um Ministerpräsident Recep Erdogan. Nun haben sich sogar die Ultras der drei großen Istanbuler Klubs zusammengetan. Die Kollegen von 11Freunde.de erreichten Şafak, einen Fenerbahce-Anhänger, auf dem Taksim-Platz. Ein kurzer Lagebericht.

Şafak, in der Vergangenheit kam es oft zur gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen der großen Istanbuler Klubs. Zuletzt starb sogar ein Anhänger bei einer Messerstecherei. Nun stehen Sie unter dem Motto "Istanbul United" zusammen. Wieso?

Şafak: Wir wollen Zeichen setzen. Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kann einfach nicht ständig so weitermachen, als würde sie in einem Land ohne Menschen leben. Die Bauprojekte der jüngeren Vergangenheit haben das Fass zum Überlaufen gebracht – die dritten Brücke über den Bosporus (Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, d. Red.) oder die Shopping-Mall auf dem Gelände des Gezi-Parks in Taksim. Sie müssen sich das mal vorstellen: In einer einzigen Stadt hat er 91 verdammte Einkaufszentren hochgezogen! Und wo sind die Parks? Die Bäume? Die Menschen?

Wie würden Sie den Protest beschreiben?

Şafak: Ich denke, es ist mittlerweile eine Revolte, eine Bewegung. Wir stehen nun schon seit sechs Tagen zusammen – und so wird es auch morgen sein.

War es nicht schwierig, die verschiedenen Fangruppen zusammen zu bringen?

Şafak: Es gibt natürlich auch Fans, die sich nicht beteiligen. Aber viele machen mit. Und bei denen gab es keine Schwierigkeiten. Denn wir alle können uns auf ein Ziel einigen: Wir opponieren gegen Tayyip Erdogan.

Sie sind Fenerbahce-Anhänger. Wie ist denn jetzt Ihr Verhältnis zu Galatasaray- und Besiktas-Fans?

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Şafak: Es geht nicht mehr um die Vereinsfarben. All das, was im Fußball wichtig ist, bleibt außen vor. Es gibt auch kaum Leute, die nicht mitmachen. Gucken Sie sich in der Stadt um: Sie werden keine jungen Fans finden, die sich der Bewegung nicht angeschlossen haben. Da stehen Ultras von »Carsi« (Besiktas, d. Red.), UltrAslan (Galatasaray, d. Red.) und »Genc« (Fenerbahce, d. Red.) zusammen. Wir sind jetzt Buddys. Oder mehr noch: Wir sind Brüder.

In der deutschen Presse war zu lesen, dass ein Fenerbahce-Fan in Polizeigewahrsam genommen wurde und dann von einem Galatasaray-Anhänger befreit wurde.

Şafak: Das passiert hier dauernd. Wenn es so kommt, helfen wir uns. Ob da ein Galatasaray- oder Fenerbahce-Fan festgenommen wird, spielt momentan keine Rolle. Wichtig ist: Derjenige muss befreit werden.

<blockquote class="twitter-tweet"><p>Şu an Adana. *Arkadaşlar bugün polise çiçek atma eylemi yapılıyor. Meydanlara çiçeklerinizle gidin. <a href="https://twitter.com/search/%23istanbulunited">#istanbulunited</a> <a href="http://t.co/3R08exygQH" title="http://twitter.com/istanbulunited/status/341522103226486787/photo/1">twitter.com/istanbulunited…</a></p>&mdash; Istanbul United (@istanbulunited) <a href="https://twitter.com/istanbulunited/status/341522103226486787">June 3, 2013</a></blockquote>

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Ein Gesang der Fans lautet »Nehmt eure Helme ab, legt eure Knüppel beiseite – und dann lasst uns sehen, wer die harten Jungs sind.« Kann der Protest nur mit Gegengewalt geführt werden?

Şafak: Das Vorgehen ist einfach unverhältnismäßig. Die Polizei setzt Wasserwerfer, Pfefferbomben und Tränengas gegen uns ein. Von Knüppeln ganz zu schweigen.

Die türkischen Medien sollen die Revolte größtenteils ignorieren.

Şafak: Sie stützen größtenteils das Regime und zeigen lieber Tier-Dokumentationen, das stimmt. Mittlerweile gibt es aber einige Fernsehstationen, die von der Revolte berichten. Sie senden sogar live.

Şafak, Sie haben für Ihre Bewegung den Slogan »Tayyip, do you know Istanbul United?« gewählt. Wieso?

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Şafak: Weil Erdogan und vermutlich zahlreiche andere Menschen in der Türkei niemals damit gerechnet hätten, dass die Fans der großen Istanbuler Vereine gemeinsame Sache machen. Es war für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Doch jetzt sind wir da. Insofern ist der Slogan ein bisschen provokativ, ein bisschen sarkastisch. Doch sie fasst das, was in Istanbul gerade passiert, ziemlich gut.

Der Nachname des Interviewten ist der Redaktion bekannt. (11Freunde.de)