Duisburg. Das Bachelor- und Mastersystem: Studium im Schnelldurchlauf, kaum Zeit für Persönlichkeitsentwicklung und Auslandssemester? Zehn Jahre nach der Reform zieht der Leiter des Zentrums für Hochschul- und Qualitätsentwicklung der Uni Duisburg-Essen Bilanz - und kann die Kritik nur teilweise bestätigen.

Zehn Jahre nach dem Bologna-Prozess und der Einführung des Bachelor und Mastersystems an deutschen Hochschulen, mehrt sich die Kritik. Die Studenten entwickelten sich heute nicht mehr zu Persönlichkeiten, zudem gebe es kaum die Möglichkeit, ein Semester im Ausland einzuschieben. Dr. Christian Ganseuer, Leiter des Zentrums für Hochschul- und Qualitätsentwicklung an der Uni Duisburg-Essen, kann die Kritik nur teilweise bestätigen. Im Gespräch mit der WAZ erklärt er, wo der Teufel im Detail steckt und welche Freiheiten, seinen Stundenplan selbst zu gestalten, den Studenten noch bleiben.

Herr Ganseuer, gibt es eigentlich noch Diplom- und Magisterstudenten an der Uni Duisburg-Essen?

Dr. Christian Ganseuer: Es werden weniger, aber es gibt sie noch. 1938 Studenten wollen noch das Diplom machen. Mit ihnen werden individuelle Vereinbarungen getroffen, wie sie ihre Prüfungen ablegen können. Wenn es hart auf hart kommt, kümmert sich eine Ombudsstelle um die Fälle. Derzeit studieren aber auch noch 7000 angehende Lehrer auf Staatsexamen. Die Umstellung in diesem Bereich hat für heiße Diskussionen gesorgt, da die Hochschulen garantieren müssen, dass man die Fächerkombinationen ohne Überschneidungen in der Regelstudienzeit studieren kann. Die UDE ist eine der ersten Universitäten, die dies umgesetzt hat. Das stellt uns vor räumliche Probleme, wenn wir für große Fächer Hörsäle blocken müssen.

Stichwort Regelstudienzeit. Das war eines der Ziele der Reform, dass Studenten schneller fertig werden und ins Arbeitsleben einsteigen. Klappt das?

Ganseuer: Die Regelstudienzeit wird jetzt besser eingehalten. Allerdings merken wir auch, dass mehr Studenten nach den ersten Semestern abbrechen oder wechseln. Die Studieneingangsphase bleibt eine kritische Phase im Studienverlauf.

Woran liegt das?

Ganseuer: Die Orientierungsphase wird kürzer. Viele stellen nach ein paar Monaten fest, dass das Fach doch nichts für sie ist. Andere treten ihr Studium gar nicht erst bei uns an, weil sie sich bei diversen Unis beworben haben. Da uns aber nicht alle absagen, wissen wir erst nach ein paar Wochen, wie stark ein Studienjahrgang wird. In den Naturwissenschaften bieten wir zudem Brückenkurse an, weil wir festgestellt haben, dass der Stoff für viele Abiturienten nur schwer zu schaffen ist. Denen raten wir dann, erst einmal die MINT-Starterkurse zu besuchen. Wir merken, dass zwölf Jahre Abi nicht mehr automatisch auf ein Studium vorbereiten.

Wie haben das denn frühere Studentengenerationen geschafft?

Ganseuer: Früher gab es auch orientierungslose Studenten. Das ist nur nie in dieser Form aufgefallen. Der gesellschaftliche Druck auf die Unis, mehr Absolventen hervorzubringen, ist gestiegen. Wir fahren in allen Bereichen Überlast. Selbst die Plätze bei den Naturwissenschaften sind zu mehr als 100 Prozent belegt. Die Unis werden nach Absolventenzahlen honoriert. Darunter leidet der akademische Ausbildungsstandard.

Die Idee beim Bachelor ist ein lebenslanges Lernen 

Viele würden gerne einen Master machen, bekommen aber keinen Platz.

Ganseuer: Das ist politisch so gewollt. Die Idee beim Bachelor, die viel zu selten diskutiert wird, ist ja ein lebenslanges Lernen. Wer will, kann mit dem Bachelor in den Beruf einsteigen und später noch einmal eine Weiterbildungsphase einlegen.

Und da spielt die Wirtschaft mit?

Ganseuer: Wenn die Firmen sehen, dass sie davon profitieren können, sehe ich da weniger Probleme. Die andere Frage ist, wie sich die Sozialsysteme langfristig darauf einstellen, wenn Arbeitnehmer eine Pause einlegen, um wieder zu studieren. Das wird auch eine Aufgabe der Universitäten sein, langfristig solche Studienmodelle für Berufstätige zu entwickeln.

Studis reden Klartext

Cem (28), 8. Semester VWL:
Cem (28), 8. Semester VWL: "Am Anfang waren die Vorlesungen total überfüllt. Und manche Klausuren können nur einmal jährlich geschrieben werden, nicht einmal pro Semester. Da verliert man viel Zeit. Dafür ist die PC-Ausstattung in der Bibliothek gut." © WAZ FotoPool
Simon (30), 6. Semester WiWi:
Simon (30), 6. Semester WiWi: "Das Bachelor-Studium lässt keinen Platz für etwas anderes. Man muss kontinuierlich lernen, auch am Wochenende, auch abends. Aber ich habe es so gewollt, aus meinem früheren Beruf als Bankkauffrau wollte ich ‘raus." © WAZ FotoPool
Mneg (22), studiert Germanistik in Peking:
Mneg (22), studiert Germanistik in Peking: "Ich bin seit Herbst 2010 hier als Austausch-Studentin. Mir gefällt die Uni gut. Die meisten Kommilitonen sind nett. Also, fast alle. Am besten finde ich die Mensa, das Essen ist spitze." © WAZ FotoPool
Japeth (34), 6. Semester WiWi:
Japeth (34), 6. Semester WiWi: "Ich bin Vater einer Tochter. Ich habe sie hier an der Uni im Kindergarten. Das ist super. Wäre die Uni nicht so familienfreundlich, hätte ich nicht noch studieren können. In Kamerun habe ich früher in einer Bank gearbeitet." © WAZ FotoPool
Malte (25), studiert Primarstufe (Grundschul-Lehramt):
Malte (25), studiert Primarstufe (Grundschul-Lehramt): "Eigentlich nervt mich gar nichts an der Uni. Ich hätte ganz gern Lehramt nach dem Bachelor-/Master-System studiert, aber das fängt ja erst im Herbst an. Das Verschulte fände ich gut." © WAZ FotoPool
Jörn (23), Lehramt Sport und Mathe:
Jörn (23), Lehramt Sport und Mathe: "Ich bin froh, dass ich noch das Lehramt-Studium nach alter Art studieren kann. Ich habe mich auch extra darum bemüht, das war für die Wahl des Studienorts entscheidend." © WAZ FotoPool
Yeter (23), 6. Sem. Lehramt Germanistik:
Yeter (23), 6. Sem. Lehramt Germanistik: "Die Toiletten sind eine Zumutung. Die meisten sind sanierungsbedürftig, dreckig und kaputt. Die Türen kann man oft nicht schließen. Gut sind nur die neuen Klos im Audimax." © WAZ FotoPool
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Die Firmen kritisieren, dass die Unis keine Persönlichkeiten mehr hervorbringen.

Ganseuer: Das sehe ich anders. Auch jetzt haben wir noch Studenten dabei, die bewusst auch andere Vorlesungen besuchen. Zudem bietet das Bachelor-System eine Art Studium Liberale. Man muss auch Punkte in fachfremden Modulen sammeln.

Ein anderer Vorwurf ist, dass die Studenten weniger ins Ausland gehen.

Ganseuer: Das stimmt, allerdings muss man sich dann auch anschauen, dass an der Uni Duisburg-Essen viele Bildungsaufsteiger studieren – und so einen Studienaufenthalt muss man sich auch leisten können. Wir haben auf der anderen Seite aber viele Studenten mit Migrationshintergrund. Diesen Vorteil wollen wir nutzen und deren Auslandserfahrung in Duisburg und Essen verwerten. Da stecken wir gerade noch in der Planungsphase.

Ein Vorteil sollte sein, dass die Studienleistungen schneller anerkannt werden und ein Wechsel der Uni erleichtert werden sollte. Daran hapert es aber offenbar.

Ganseuer: Das stimmt leider. Wir müssen drei Fälle unterscheiden. Am einfachsten ist es, wenn jemand im Ausland war. Dann spricht er das im Vorfeld mit der Uni ab und die schließt mit dem Studenten einen Vertrag, welche Seminare er an der Partneruni belegen soll, damit er sich die Scheine anrechnen lassen kann. Am schwierigsten ist es tatsächlich, wenn jemand von einer anderen deutschen Hochschule wechseln will. Da machen sich die unterschiedlichen Schulen bemerkbar und die Fachbereiche lassen sich manchmal ungern in die Karten schauen, was Inhalte ihres Studiums sind. Da kann es manchmal zu Problemen kommen.

Welche Bilanz ziehen Sie?

Ganseuer: Es ist ein richtiger Schritt mit Nachbesserungsbedarf. Wo Bachelor-Studenten landen, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Wir wollen demnächst auswerten, was unsere Absolventen nach ihrer Zeit an der Uni Duisburg-Essen machen. Ob sie etwa die Uni wechseln oder tatsächlich erst einmal arbeiten.