Gelsenkirchen. Auch zehn Jahre nach der Umstellung der Studiengänge an den deutschen Hochschulen auf das Bachelor- und Master-System gibt es noch Reibungsverluste. Die Arbeitgeber setzen aber auf die praxisnahe Ausbildung der Studierenden, um sie schnell in den Berufsalltag integrieren zu können.

382.784 Menschen leben in Bologna. Die Stadt im Norden Italiens blickt auf rund 2600 Jahre Geschichte zurück, doch vor allem die neuere Historie der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz hat mindestens in Deutschland eher zweifelhaften Ruhm erlangt. 1999 tagten die Bildungsminister 29 europäischer Staaten in der norditalienischen Wiege der Universitäten und beschlossen die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes.

Geblieben sind, zehn Jahre nach Umsetzung des Beschlusses, Frust, Stress und Ratlosigkeit bei Studenten und vor allem Bachelor- und Master-Abschlüsse an Stelle von Magistern und Diplomen. Auch zehn Jahre nach „Bologna“ ist noch keine Ruhe eingekehrt und die Kritik an der Vereinheitlichung noch immer nicht verstummt. Zuletzt äußerte sich der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, gegenüber einer großen Deutschen Tageszeitung abfällig über die neuen Abschlüsse. „Eine Universität muss mehr leisten als Ausbildung, nämlich Bildung. Das tut sie mit dem Bachelor nicht“, so Hippler.

Gegenwind kommt also auch zehn Jahre später noch von Seiten der Lehrenden und sogleich stellte sich NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze hinter den Beschluss von 1999. Unter 3 Prozent der Absolventen seien arbeitslos und die Akzeptanz bei den Unternehmen sei groß.

IHK-Befragte nicht voll zufrieden

Das kann auch Dr. Christopher Schmitt, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände Emscher-Lippe, nur bestätigen. „Es war richtig, international vergleichbare Abschlüsse einzuführen und die Ausbildungszeit in Deutschland zu verkürzen“, so Dr. Christopher Schmitt. Die Arbeitgeber in der Region hätten großes Interesse daran, dass die Absolventen weitgehend auf die Anforderungen der Praxis vorbereitet seien. „Soweit hier noch Nachholbedarf besteht, sind in erster Linie die Hochschulen gefragt. Eine Rückkehr zum Diplom würde keine Abhilfe schaffen. Aus Arbeitgebersicht wäre es zu begrüßen, die Studiengänge durch mehr Praktika und Planspiele noch unternehmensnäher auszurichten“, macht Schmitt deutlich.

Auch überregional sieht das nicht anders aus. Carsten Taudt, Geschäftsbereichsleiter Bildung bei der IHK Nord Westfalen sieht die Probleme vor allem in der Umsetzung. „Als IHK haben wir 2007 und 2011 Umfragen bei Unternehmen gemacht, wie zufrieden sie mit der Qualität der Bachelor-Absolventen sind. 2007 gaben 67 Prozent an, zufrieden zu sein, 2011 waren es nur noch 63 Prozent. Auch bei vorherigen Befragungen zu Diplom-Studiengängen waren die Werte nur unwesentlich höher“, so Taudt.

Ansehen deutscher Studienabschlüsse im Ausland hat nicht gelitten 

Ziel des Bologna-Beschlusses sei es gewesen, durch die Vereinheitlichung auch Studienaufenthalte im europäischen Ausland zu erleichtern. „Das ist aber nicht gelungen. Viel mehr wurde der gleiche Stoff in eine kürzere Studienzeit gepackt, so dass für Auslandsaufenthalte keine Zeit blieb“, erklärt Taudt, der auf eine baldige Nachjustierung der Rahmenbedingungen hofft. „Es muss in den Studiengängen ‘entrümpelt’ werden, um zu entzerren.“

An der Westfälischen Hochschule betrachtet man die Diskussion und die Äußerungen des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz gelassen. „Wir werden das Rad nicht zurückdrehen. Bologna war eine politische Entscheidung, die es umzusetzen gilt“, sagt Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschule.

Auch dass das Ansehen Deutscher Studienabschlüsse im Ausland im Zuge der Vereinheitlichung gelitten habe, wie vielfach behauptet, könne man an der Neidenburger Straße nicht feststellen. „Es geht nicht um Bachelor oder Diplom. Es geht darum, deutlich zu machen, dass in Deutschland weiterhin eine sehr gute akademische Ausbildung vermittelt wird“, so Kriegesmann. Optimierungen hätten in den letzten Jahren immer wieder stattgefunden, so dass auch die Zahl der Studierenden, die ein Semester im Ausland verbringen, wieder steigt. Den ein oder anderen zieht es dann sicher auch nach Bologna.