Duisburg. .
Als die Abwahlmöglichkeit durch die Bürger im Mai 2011 Landesgesetz wurde, begann die Bürgerinitiative „Neuanfang für Duisburg“ Unterschriften zu sammeln. Während die CDU von einer „Lex Sauerland“ spricht, die einzig initiiert wurde, um Duisburg wieder in SPD-Hand zu bekommen, verweisen rot-grüne Politiker auf den Koalitionsvertrag, in dem dies bereits vor der Loveparade-Katastrophe vereinbart worden war.
Die Beweggründe der Bürgerinitiative: das Verhalten des OB nach der Katastrophe. Wir stellen die Ereignisse auf der Basis der Dokumentation der BI hier noch einmal zusammen ebenso wie die Leistungen des OB, die die CDU und andere Befürworter als Argument ins Feld führen, warum er bleiben soll.
24. Juli 2010, 20.30 Uhr: In einer ersten Reaktion auf die Ereignisse spricht der OB den Angehörigen und Opfern sein Mitgefühl aus. Die Ursache der Katastrophe sieht er jedoch nicht im von der Stadtverwaltung abgesegneten Sicherheitskonzept des Veranstalters, das nicht gegriffen habe, sondern in „individuellen Schwächen“ der Verstorbenen. Sicherheitsvorrichtungen seien überklettert worden, die Opfer seien abgestürzt, so der OB. Tatsächlich wurden die jungen Menschen an der Rampe in der Menschenmasse zu Tode gequetscht.
25. Juli, 12 Uhr: Pressekonferenz im Rathaus. Veranstalter Rainer Schaller, der amtierende Polizeipräsident von Schmeling, Sicherheitsdezernent und Krisenstab-Leiter Wolfgang Rabe sowie OB Adolf Sauerland hinterlassen einen verheerenden Eindruck vor der nationalen und internationalen Presse. Die danach aufkeimenden Gerüchte über Rücktrittsgedanken des OB werden aber direkt dementiert. Als der OB den Unglücksort aufsucht, kommt es zu Beschimpfungen einiger Bürger und Anwohner.
In der folgenden Woche werden viele Rücktrittsforderungen erhoben. Sauerland äußert sich im Gespräch mit der WAZ: Wenn er für die Tragödie (durch seinen Rücktritt) die Verantwortung übernähme, würde er für den Rest seines Lebens für die Todesopfer verantwortlich gemacht.
28. Juli: Der Oberbürgermeister erklärt, dass er an der Trauerfeier am Sonntag in der Salvatorkirche nicht teilnehmen werde, um die Gefühle der Angehörigen nicht zu verletzen. Er steht zu diesem Zeitpunkt unter Polizeischutz, weil es Morddrohungen gegen ihn und seine Familie gibt.
29. Juli: Sauerlands Äußerungen in Zeitungs- und Fernseh-Interviews, er persönlich habe keine Genehmigungen unterschrieben, löst eine Welle der Empörung aus. Viele Stadtbedienstete sind erbost. Sie vermissen den Rückhalt ihres obersten Vorgesetzten. Ein oft gehörter Vorwurf vieler Verwaltungsmitarbeiter: Der OB versuche nur, die eigene Haut zu retten, statt sein Team gegen Anschuldigungen von außen zu verteidigen.
OB Sauerland als Karikatur
30. Juli: Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach fordert öffentlich den Rücktritt von Sauerland und damit die Übernahme von politischer Verantwortung. Auch Bundespräsident Christian Wulff legt wenige Tage später dem OB den Rücktritt nahe.
31. Juli: Tag der Trauerfeier. Wie angekündigt, bleibt der OB der MSV-Arena fern.
In einem TV-Interview behauptet der OB, dass die Verwaltung in dieser Zeit angeblich nicht in der Lage gewesen sei, die Adressen der Angehörigen der Todesopfer herauszufinden. Ein Kondolenzschreiben der Stadt blieb deshalb aus. Tatsächlich liegen jedoch alle Adressen vor. Weil Teile der Bevölkerung ihre Wut auf Sauerland an allen städtischen Mitarbeitern auslassen, verzichtet das Ordnungsamt aus Sicherheitsgründen zeitweise auf den Einsatz von Politessen. Sie wurden beleidigt und beschimpft.
Anfang August zieht sich der OB aus der Öffentlichkeit zurück. Nur ausgesuchte Medien bekommen noch Interviews. Rücktritt lehnt er weiter ab, einem Abwahlverfahren würde er sich aber stellen.
1. September: Das umstrittene Gutachten der Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer und Wojtek wird veröffentlicht. Es sieht keine Fehler der Verwaltung. Es kostet knapp 400 000 Euro. Mehr als ein Jahr später bestätigt die Bezirksregierung zwar die Rechtmäßigkeit des städtischen Handelns, ein solches Gutachten in Auftrag zu geben, nimmt jedoch keine inhaltliche Bewertung vor.
13. September: Im Rat scheitert der Abwahlantrag, dem zwei Drittel hätten zustimmen müssen, an den Stimmen der CDU-Fraktion.
8. Dezember: Auf der Personalversammlung der Stadtverwaltung in der Mercatorhalle wird der OB von seinen eigenen Mitarbeitern ausgepfiffen. Der Vorsitzende des Personalrats, Hagenacker, fordert ihn zum Rücktritt auf. Der OB weist jede Form von Schuld oder Verantwortung von sich.
18. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 16 Personen wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung. Unter den Beschuldigten sind elf Bedienstete der Stadt, nicht jedoch der OB. Hinzu kommen vier Mitarbeiter des Loveparade-Veranstalters Lopavent (nicht jedoch Chef Rainer Schaller) sowie ein ranghoher Polizeibeamter.
26. Juni: Das Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der Loveparade an der Karl-Lehr-Straße wird eingeweiht. Der OB bleibt der Veranstaltung fern, es spricht Alt-OB Krings. Sauerland ist bei einer Preisverleihung. Dort rechnet er bereits mit einer Reaktion der Medien auf seine Abwesenheit, scherzt mit dem Publikum, er könne sich schließlich nicht klonen.
Am Rande der Mahnmal-Einweihung berichten einige Eltern der Verstorbenen von ihren Treffen mit dem OB. Statt Annäherung oder echter Anteilnahme habe sich Sauerland stets sofort selbst in die Opfer-Rolle begeben und erzählt, „wie schlecht es ihm seit der Katastrophe“ gehe.
11. Juli: Aus dem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass – entgegen der Darstellung des Gutachtens – die Loveparade-Genehmigung rechtswidrig gewesen sein soll. Am gleichen Tag übernimmt Sauerland vor der Ratssitzung die moralische Verantwortung und entschuldigt sich bei den Hinterbliebenen. Viele Medienvertreter sind vor Ort, weil sie mit seinem Rücktritt rechnen.
24. Juli: Die Gedenkfeier des Jahrestages findet in der MSV-Arena ohne OB Sauerland statt, weil die Hinterbliebnen der Todesopfer seine Teilnahme abgelehnt haben.
24. November: Der Rat stellt die Gültigkeit des Bürgerbegehrens fest und beschließt den Abwahltermin auf den 12. Februar zu legen. Der Oberbürgermeister erklärt, er wolle sein Amt bis 2015 weiterhin zum Wohle der Stadt ausüben. Er werde das Wählervotum akzeptieren, hoffe aber auch, dass es seine Gegner im Falle des Scheiterns auch tun.
22. November: Der OB warnt bei der CDU-Mittelstandsvereinigung vor einer Rückkehr zu alten „sozialistischen Zeiten“ und wirft den Medien „Scheiß-Journalismus“ vor.
7. Dezember: Auf der Personalversammlung der Verwaltung sagt Sauerland vor rund 2000 Mitarbeitern, dass er noch nie der Typ gewesen sei, der unangenehme Pflichten meidet. Er erntet höhnisches Gelächter.
Die Pluspunkte des OB
Die „neue“ Innenstadt wird von Befürwortern von Adolf Sauerland als erstes genannt, wenn nach den Verdiensten des Oberbürgermeisters gefragt wird.
„Nach jahrzehntelangem Stillstand und Verfall können wir zusammen auf eine tolle Innenstadt mit dem Forum, City-Palais und König-Heinrich-Platz stolz sein“, schreibt Sauerland in seinem aktuellen Flyer zur Wahl am 12. Februar. Grundlage war die politische Entscheidung gegen „Multi Casa“, das geplante Riesen-Einkaufszentrum am Hauptbahnhof, zugunsten einer Entwicklung in der bestehenden Innenstadt.
Auch der Rheinpark in Hochfeld und weitere Plätze und Parkanlagen habe man in den letzten Jahren neu gebaut oder gestaltet, wirbt Sauerland für sich.
Auch in den Bezirken habe es in den letzten Jahren Investitionen und Fortschritte gegeben oder sie stünden bevor: Vierfach-Turnhalle in Hamborn zum Beispiel, neue Feuerwache in Homberg, Angerbogen in Huckingen, Piazza auf der Kaiser-Wilhelm-Straße in Marxloh, die neugestaltete Von-der-Mark-Straße in Meiderich, die Osttangente in Rheinhausen, die Sanierung des MHD-Geländes in Wanheim mit Landmarke „Tiger & Turtle“, die Neunutzung der HOAG-Trasse in Walsum.
Schulen seien saniert worden, ebenso Sporthallen, heißt es in Sauerlands „Bilanz für Duisburg“. Auch dank Konjunkturpaket II sei in Problembereiche investiert worden, die „jahrzehntelang vernachlässigt wurden“. Nach dem „Schmuddelimage der achtziger Jahre“ und der „Tristesse der Neunziger“ sei Duisburg in seiner Amtszeit „viel liebens- und lebenswerter“ geworden.
Worauf Sauerland stolz ist, wird gerne mit „Wunder von Marxloh“ umschrieben, der Bau von Deutschlands größter Moschee an der Warbruckstraße im Einvernehmen mit der ganzen Nachbarschaft einschließlich der christlichen Gemeinden und ohne Auseinandersetzungen wie etwa in Köln. „Integration“ hatte Sauerland schon zu Beginn seiner Amtszeit zur „Chefsache“ gemacht.