Essen.
Drei Wochen nach der Loveparade-Katastrophe, bei der 21 Menschen starben, spricht der Duisburger CDU-Oberbürgermeister Sauerland - vor allem über sich selbst. Einen Rücktritt lehnt er nach wie vor ab, eine persönliche Schuld sieht er nicht.
Gezeichnet sieht er aus, mit tiefen Ringen unter den Augen. „Ein Getriebener“, so nennt er sich. Er, der Morddrohungen erhalte und seine Familie in Sicherheit bringen musste. Er, der mit aller Kraft an der Aufklärung mitwirken, bis dahin aber im Amt bleiben wolle. Er, der jeden Abend vor dem Einschlafen über seine moralische Verantwortung grüble. Adolf Sauerland, das Opfer.
Tatsächlich aber nutzte Sauerland Interviews im „Spiegel“ und im Fernsehen, um sich als Aufklärer darzustellen. „Ich bin nicht hier, um Schuldzuweisungen zu erheben“, sagte er in der WDR-Sendung „Kreuzverhör“ am Sonntagabend. In langen Sätzen legte er dar, warum er vorerst keine Veranlassung sehe, aus politischer Verantwortung heraus zurückzutreten. Ruhig und abgeklärt wirkte er dabei. Sauerland führte er aus, dass die Stadtverwaltung das Veranstaltungskonzept geprüft habe, zudem externe Gutachter beauftragt habe. Eine persönliche Schuld wies er von sich, der Verursacher müsse noch gefunden werden: „Natürlich stelle ich mir die Frage, ob man das Amt nach so einem tragischen Ereignis weiter ausüben kann. Aber diese Antwort werde ich erst dann geben, wenn ich die Antworten auf die uns alle bedrückenden Fragen habe“, sagte Sauerland. Auf Nachfrage, wann er zurücktrete, antwortete er: „Meine erste Aufgabe ist die Aufklärung. Das kann ich nur, wenn ich im Amt bin. Nur dann habe ich den Zugang zu den Akten und Dokumenten.“
Nein, er sei in den vergangenen Wochen nicht weggetaucht, entgegnet Sauerland auf die Anmerkung, die Stadt Duisburg sei derzeit ohne Repräsentant. Er habe Kontakt mit der Mutter eines Opfers. Die Stadt habe sich bemüht, die Adressen weiterer Betroffener zu bekommen, um diesen Familien sein Beileid auszudrücken. Aus Datenschutzgründen aber hätten Landesbehörden der Stadt die Herausgabe der Adressen verweigert. Die Trauerbriefe der Stadt hätten deswegen bislang nicht verschickt werden können, sagt Sauerland.
Druck des Veranstalters war groß
Eine persönliche Mitschuld oder Fehler im Genehmigungsprozess sieht Sauerland nicht. Keinesfalls habe er im Vorfeld der Loveparade persönlich darauf hingewirkt, die Veranstaltung unter allen Umständen durchzuführen. Auch habe man bei der Sicherheit keine Kompromisse gemacht.
Doch stimmt das wirklich? In 35 Aktenordnern, die nun von der Staatsanwaltschaft durchforstet werden, will die Duisburger Stadtverwaltung dokumentiert haben, wie die Planungen zur Megaparty abliefen. Ein Teil der Dokumente, über 300 Seiten, liegt der WAZ-Mediengruppe vor. Darin zeigt sich, dass Oberbürgermeister Sauerland sehr wohl über massive Sicherheitsbedenken gewusst haben musste. Auch wird deutlich, wie groß der Druck des Veranstalters Lopavent auf die Stadtspitze war, das Event nicht an Fristversäumnissen und fehlenden Unterlagen scheitern zu lassen.
Zehn Tage vor der Loveparade droht das Duisburger Bauaufsichtsamt Lopavent in einem Schreiben, die Techno-Party gebührenpflichtig abzusagen, weil noch immer wichtige Papiere fehlten. Konkret moniert der Beamte einen fehlerhaften Prüfbericht über mobile Zaunelemente, aus dem nicht hervorgehe, welche Variante aufgestellt werde. Der Beamte warnt, dass die Zäune Stolperfallen darstellen könnten – eine Befürchtung, die bei der Massenpanik Wirklichkeit wurde. Eine Kopie dieses Schreibens ging an das Büro des Oberbürgermeisters.
Sauerland hält dagegen, dass Lopavent fünf Tage später die Unterlagen nachgereicht habe. Den Vorwurf, dass die Stadt im Genehmigungsprozess dem Veranstalter entgegen gekommen sei, um die Loveparade nicht zu gefährden, weist der Oberbürgermeister zurück: „Wir haben als Verwaltung unsere Vorstellungen durchgesetzt und sind nicht zurückgewichen“, sagte er im WDR-Fernsehen. Der Veranstalter habe deswegen im Vorfeld seine Konzepte nachbessern müssen.
Lopavents Drohung
Lopavent aber ist offenbar nicht zu allem bereit. Fünf Tage vor der Loveparade lässt der Veranstalter über seine Rechtsanwälte eine Genehmigung bei der Stadt Duisburg einfordern. In einem Schreiben an Sauerland weist die Kanzlei Härting auf die Folgen einer Absage hin: „Die immensen wirtschaftlichen Schäden, die nicht nur der Veranstalterin, sondern auch der Metropole Ruhr und der Stadt Duisburg entstehen, wenn die Veranstaltung aus einem solchen Grund abgesagt werden muss (und sich im Nachhinein herausstellt, dass der Widerspruch rechtswidrig war), überwiegen die denkbaren Beeinträchtigungen.“
Am 23. Juli, erst einen Tag vor dem Veranstaltungstermin, wird die Loveparade genehmigt. Sauerland ist an diesem Tag im Urlaub. Warum er trotzdem von der Sicherheit der Großveranstaltung ausging, obwohl bis zuletzt Unterlagen fehlten, begründete er im Spiegel so: „In der letzten großen Sitzung mit allen Beteiligten bat der Beigeordnete Wolfgang Rabe (der Sicherheitsdezernent, Anm. der Redaktion), Bedenken mitzuteilen. Keiner hat das getan.“