Duisburg. . Die Staatssekretärin des Landes NRW für Integration, Zülfiye Kaykin (SPD), soll versucht haben, mit ungerechtfertigten Angaben EU-Fördermittel zu erschleichen. Als Chefin einer Duisburger Begegnungsstätte wollte Kaykin 50 Moscheegemeinden ausbilden. Am Ende wurden es nur zehn.
Es war das Wunder von Marxloh, jenes strahlende Symbol für den Dialog zwischen den Kulturen rund um die Moschee in Duisburg, das Zülfiye Kaykin exportieren wollte. Als Fachfrau „für den interkulturellen Dialog“ wurde die damalige Geschäftsführerin der Begegnungsstätte der Moschee Marxloh im Landtagswahlkampf 2010 an die Seite der heutigen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) berufen. Auf dieser Basis wurde Kaykin zur Staatssekretärin für Integration des Landes NRW. Doch das Wunder von Marxloh ist geplatzt.
Staatssekretärin Kaykin steht heute unter einem schwerwiegenden Verdacht: sie soll für finanzielle Unregelmäßigkeiten der Duisburger Begegnungsstätte verantwortlich sein. Mittlerweile prüft der Landesrechnungshof die Angelegenheit. Der Vorwurf: Missmanagement und dubiose Abrechnungen. Auch die Staatsanwaltschaft Duisburg ermittelt – zunächst noch gegen Unbekannt. Der Verdacht: öffentliche Fördergelder sollen ohne Gegenleistung abgestaubt worden sein.
Rund 90.000 Euro sollen laut Antrag in Leuchtturmprojekt fließen
Im Kern geht es um ein gescheitertes Leuchtturmprojekt, für das Kaykin verantwortlich war. Und zwar wollte die heutige Staatssekretärin die Strahlkraft des Marxloher Wunder nutzen, um 50 Moscheegemeinden in Sachen Vereinsmanagement zu schulen, damit auch diese von ihren Erfolgen profitieren können. Dazu beantragte Kaykin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Fördermittel in Höhe von 90.000 Euro aus dem Europäischen Integrationsfonds. Mit dem Geld sollten laut Projektantrag sieben Mitarbeiter die 50 Moscheen in Sachen Fördermittelakquise, Öffentlichkeitsarbeit und interkulturellem Dialog schulen.
Doch aus der Sache wurde wenig: Im einzigen Förderjahr 2009 vergehen drei von zwölf Monaten, bis es überhaupt mit Schulungen losgeht. Der Grund: Die Vorbereitungen dauern zu lang. Dann stellt Kaykin fest, dass Teilnehmer nicht leicht zu gewinnen sind.
Am Ende rechnet Kaykin nur zehn „Vereine“ ab, die geschult worden sein sollen – darunter mindestens ein Sportverein, der mit einer Moschee wenig am Hut hat.
Abschlussbericht: 6000 Arbeitsstunden für zehn Schulungen
Wer da genau beschult wurde, ist für die WAZ kaum nachzuvollziehen. Kaykin selbst teilte auf Anfrage mit, der Projektordner mit den erforderlichen Teilnehmerbescheiden liege in der Duisburger Begegnungsstätte. „Auf diesen Ordner habe ich keinen Zugriff und kann Ihre Detailfragen daher nicht beantworten.“ Die Koordinatorin des Schulungsprojektes unter Kaykin gibt an, dieser Ordner sei schon vor Monaten spurlos verschwunden. Lediglich ein ehemals am Projekt beteiligter Mitarbeiter legte einen Teilnahmebeleg vor, der die Schulung eines Moscheevereins am Nikolaustag 2009 aus Stadtlohn nachweisen soll. In der Moschee war damals sein Bruder aktiv. Ein weiterer Ex-Mitarbeiter sagt, er habe viermal vor anderen Vereinen über sein Themengebiet „interreligiöser Dialog“ gesprochen – zweimal davon im türkischen Sportverein HSV Hilal Duisburg, nicht in einer Moschee.
Auf jeden Fall rechnete Kaykin viel Arbeitszeit für die Schulungen ab. Insgesamt hätte das Projektteam 6000 Stunden für das Vorhaben abgeleistet, schreibt Zülfiye Kaykin. Das bedeutet umgerechnet: im Schnitt sollen die sieben Mitarbeiter jeweils ein Jahr lang zwei Tage pro Woche an dem Projekt gearbeitet haben – um zehn „Vereine“ zu schulen. Aus dem einen vorliegenden Schulungsbeleg geht allerdings hervor, dass ein Moschee-Lehrgang nur wenige Stunden dauerte. Was Kaykin und ihre Gruppe in den abgerechneten Stunden für die Bildung von Moscheevereinen taten, bleibt nebulös. Im Rechenschaftsbericht gegenüber dem BAMF ist die Rede ist von Koordinierungssitzungen, von Materialerstellung, von Verwaltung.
„Probleme im eigentlichen Sinne gibt es keine“
Es erscheint kaum glaubhaft, dass kurze Lehrgänge für maximal zehn Vereine tausende Arbeitsstunden Aufwand erfordern. Der Eindruck von bewusst formulierten Scheinrechnungen drängt sich auf. So als seien Stunden ohne Gegenleistung abrechnet worden, um die Gesamtkosten künstlich in die Höhe zu treiben. Hohe Kosten bringen nämlich hohe Förderzuschüsse. In einem Fall hat Kaykin für ihre Beratungsstätte zehn Stunden pro Wochen abgerechnet zur Verwaltung des Personals - von maximal sieben Mitarbeitern.
Kaykin weist alle Vorwürfe zurück. Im Abschlussbericht des Projektes schreibt sie: „Probleme im eigentlichen Sinne gibt es keine.“ Statt Schulungen durchzuführen, seien Lehrmaterialien per Post verschickt worden. Dafür seien viele Stunden verwendet worden. Und der WAZ schreibt Kaykin ihre Sicht der Dinge: die Ausgaben im Projekt seien im Auftrag des Bundesamtes für Migration (BAMF) „unbeanstandet geprüft“ worden. Es sei ein „verwaltungsüblicher Vorgang und keine Ausnahmeerscheinung, geschweige denn ein Anzeichen für Unregelmäßigkeiten“, wenn eine „ursprünglich bewilligte Summe aufgrund von nicht vorhersehbaren Umständen später durch Bescheid geändert wird.“
Fördermittelgeber kürzte EU-Geld um mehr als die Hälfte
Das könnte man auch anders sehen. In Wahrheit wollte das BAMF bei seiner Prüfung im Frühjahr 2011 etliche der Kaykin-Abrechnungen nicht akzeptieren. Das BAMF bemängelt zu hoch angesetzte Gehälter und ungenehmigte Honorarverträgen. Und das ganze unabhängig vom Misserfolg des Projektes. Selbst Kaykins Verwaltungs-Rechnungen erkannte das BAMF nur zu einem Bruchteil an. Die Mittel für das Projekt wurden nachträglich um weit mehr als die Hälfte auf 37000 Euro gekürzt. Mehr noch: von dem in einer ersten Rate schon ausgezahlten Förderbetrag fordert das Amt sogar über 7000 Euro zurück.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg wollte sich aus Ermittlungstaktischen Gründen nicht zum Verfahren äußern.