Duisburg. .
„Nordrhein-Westfalen ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Hier hat jeder eine Chance, nach vorne zu kommen.“ Was Landesvater Jürgen Rüttgers (CDU) sich wahrscheinlich nicht wagt auszusprechen, davon ist Zülfiye Kaykin überzeugt. Die zierliche Frau mit den blonden Haar-Strähnen hat eine gewichtige Stimme an Rhein und Ruhr. Nicht nur bei ihren türkischen Landsleuten, weil sie als Geschäftsführerin die Geschicke in der größten Moschee des Landes, der Marxloher Ditib-Begegnungsstätte, leitet. Sondern auch in der Mehrheitsgesellschaft. Spätestens seit Hannelore Kraft (SPD) die 41-Jährige in ihr Zukunftsteam als Integrationsexpertin berufen hat.
Das Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten ist Kaykin eine Herzensangelegenheit, kein „Lippenbekenntnis, keine Folklore“. Integration könne man nicht über Verträge regeln, ist sie überzeugt. „Man mietet doch keine Wohnung, man möchte Menschen gewinnen.“ Dazu bedarf es der Überzeugungsarbeit, der Kommunikation. Die beherrscht Kaykin. Hat sie einmal angesetzt zu einem Monolog, hört sie so schnell nicht mehr auf.
Aus dem Stehgreif hält sie ein flammendes Plädoyer für eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Das tägliche Ausräumen von gegenseitigen Vorurteilen hält sie für nicht mehr zeitgemäß. „Wir produzieren noch zu häufig Feindbilder, und dadurch auch Opfer“, sagt sie. Aber sie erkennt auch, dass der gemeinsame Weg ein steiniger sein wird.
Migranten müssten aus der Nische der Nebentätigkeit herausgeholt werden. Man müsse ihnen mehr Verantwortung übertragen. Migranten-Organisationen müssen gestärkt werden, auch indem man professionelle Strukturen schafft. „Das kostet natürlich Geld“, gibt Kaykin zu.
„Man ist aktiv, wenn man betroffen ist“, sagt sie etwas später. Aktiv war Kaykin eigentlich ihr ganzes Leben, betroffen auch. Als sich 2002 „das Leuchtturmprojekt Marxloh“ auftat, kämpfte sie an vorderster Front mit der Gemeinde gegen bestehende Vorurteile und für die Moschee. Sie habe viele positive Begegnungen erlebt. „Kompetenz und Fähigkeiten zählen, nicht die Herkunft, Sprache und Religion.“ Die Erfahrung habe sie sehr geprägt.
Neugierig war Kaykin auch. Als ihre Mutter 1978 mit den drei Geschwistern nach Deutschland reist, kennt Kaykin den eigenen Vater, der bereits Jahre lang bei Thyssen sein Geld als Gastarbeiter verdient, zwar nicht, aber bald die neue Umgebung. Das hat sie als Bereicherung verstanden. Kaykin macht ihre mittlere Reife, eine Lehre im Einzelhandel und steigt auf bis zur Verkaufsstellenleiterin. Ihre Eltern unterstützen sie dabei. „Ein Beruf ist gerade für ein Mädchen wie ein Armreif, den man immer trägt“, haben die Eltern ihr erklärt.
Doch Kaykin reicht der Beruf nicht. Irgendwann habe sie erfahren, dass es von Vorteil ist, wenn sie sich mit dem Ausländerrecht auskennt. „Da bin ich 1994 in die SPD eingetreten. Das waren zunächst ganz praktische Gründe.“ Über die Frauenquote sei sie auch sofort in den Vorstand ihres Ortsvereins gerutscht. Dafür sei ein erfahrener Kollege herausgekickt worden. „Ich wusste gar nicht, was ich da eigentlich veranstaltete“, erinnert sie sich heute. Zehn Jahre später soll sie für den Landtag kandidieren. Doch sie zieht die Nominierung für das wichtige Moschee-Projekt zurück. Bei der Kandidatur für den Stadtrat scheitert sie wenig später.
Keine Nischenpolitik
Politik wird für sie zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit. Sie will in und an der Gesellschaft mitarbeiten. „Um gestalten zu können, muss man dabei sein“, erklärt sie. Um die Zukunft des Landes gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels zu sichern, vielleicht sogar zu verbessern, muss die Qualität in der Integrationspolitik gesteigert werden. Für Kaykin bedeutet das: Integration darf keine Nischenpolitik sein. Ein verständnisvolles, tolerantes Miteinander betreffe schließlich jeden Menschen in diesem Land. Daher sagt sie auch: „Jedes Individuum in diesem Land ist wichtig.“