Duisburg. . Im Gertrud-Bäumer-Berufskolleg werden die Schüler für die Arbeit in Apotheken und Friseursalons, Schneidereien, Kindergärten und Floristikbetrieben vorbereitet. Abitur geht auch.

Früher war das Gelände ein Zirkusplatz. Heute steht dort das Gertrud-Bäumer-Berufskolleg: mitten in Neudorf. Erhalten wurde beim Bau 1954 nur der Charakter der Offenheit mit vier Zugängen, beschreibt Schulleiterin Ruth Gesing ihr Haus.

Den Schwerpunkten Gesundheit und Soziales, Erziehung und Ernährung ist es geschuldet, dass nahezu 80 Prozent aller Bildungsgänge vollzeitschulisch ablaufen. Also wird die Praxisnähe ins Haus geholt. Die angehenden Friseurinnen etwa lernen in einem echten Salon das Schneiden und Schminken, Beraten und Kassieren.

Gegenüber im Pharma-Shop hat sich eine ganze Apotheke ausgebreitet. Hier üben die Schülerinnen Verkaufssituationen, beraten auch mal auf Englisch, wie Kopfschmerzen richtig zu behandeln sind. Zusammen mit der Apothekerkammer Nordrhein wird im nächsten Sommer das Blended Learning eingeführt, mit dem Präsenzzeiten an der Schule verkürzt werden durch E-Learning vor Ort. Ziel ist, speziell am tiefen Niederrhein mehr Ausbildungsplätze zu akquirieren, die Fahrzeiten dabei aber zu minimieren.

Klassenräume mit Näh- und Bügelmaschinen gefüllt

Für die Textiler sind ganze Klassenräume mit Näh- und Bügelmaschinen ausgestattet, die gekürzte Hose gehört zur gern genutzten Dienstleistung aller Schulangehörigen. Die Floristen üben sich in marktfähigen Gestecken, die ebenfalls in den Verkauf gehen.

Für die Aula, die oft extern vermietet wird, kann man das Catering über eine Schülerfirma gleich mitmieten. „Die sind dann total stolz auf ihre Leistung, viele haben nie Anerkennung erfahren, wurden immer nur mit ihren Defiziten konfrontiert“, sagt Gesing. In der Großküche schnippeln sie Zucchini und Zwiebeln, Gemüsebratlinge sollen’s werden. Der Mixer rotiert, die Messer fliegen - ein guter Lerneffekt: „Die schmeißen mit dem Po nichts mehr um, wenn sie ins Praktikum gehen“, sagt Hans Reger, der stellvertretende Schulleiter über die angehenden staatlich geprüften Servicekräfte. Sie bieten für ihre Mitschüler Frühstück an, stehen in blauen Schürzen an Kasse und Verkaufstheke. Da der Unterricht live weitergeht, muss man sich dann schon mal gedulden, wenn eine Erkläreinheit ansteht.

Fachkräftemangel

Lernen geht hier ohnehin anders. Viele hätten nach zehn Jahren Schule die Nase voll, wollen sich lieber praktisch beweisen als Rechtschreibung pauken, weiß Gesing von ihrer Klientel. „Man lernt dann auch anders, wenn man weiß, warum und wofür“, sagt sie.

Gesing ärgert vor allem der im Raum stehende Vorwurf, Berufskollegs würden Schüler nur verwahren, wo doch der Fachkräftemangel so groß sei. „Da können 20.000 Stellen offen sein und die werden nicht genommen, weil wir sie hier erst mal ausbildungsreif machen“, erklärt die Schulleiterin. Berufseinstieg, Berufsorientierungsjahr und Berufsgrundschuljahr sind die entsprechenden Bildungsgänge.

Berufskolleg eröffnet

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Die individuelle Förderung ist dabei unerlässlich: Viele Schüler haben Lernhürden aus dem persönlichen oder sozialen Bereich, erklärt Lehrerin Marlene Renn: Schülerinnen mit alkoholkranken Eltern oder - der Klassiker an einer weiblich dominierten Schule - die ungewollte frühe Schwangerschaft. „Wir vermitteln weitergehende Beratung“, sagt Renn, Kooperationen mit dem RAA und dem Schulpsychologischen Dienst sind da selbstverständlich.

Projekte gegen das Sitzenbleiben

Am Kolleg laufen auch Projekte wie „Komm mit“, das unter Federführung des Schul-Ministeriums gegen das Sitzenbleiben angeht, Gründe fürs Scheitern evaluiert und Gegen-Maßnahmen testet. Die Hintergründe sind ganz handfest monetär: „Wiederholer fressen Ressourcen, kosten Geld“, sagt Marlene Renn. Ganz zu schweigen von den Folgen für die Schüler.

Solche Projekte sind ganz im Sinne Gertrud Bäumers, der Namensgeberin der Schule. Ihr Lebensmotto lautete: „Ich musste einfach tiefer in die Dinge hinein und weiter über sie hinaus. Ich konnte da nicht stehen bleiben.“