Duisburg-Marxloh. Beim Umbau von Marxloh sollen die Anwohner mitreden. Offenbar setzt die Stadt Duisburg die Hürden viel zu hoch. Betroffene üben nun harte Kritik.
Seit Jahren wird über die 50 Millionen Euro für den Umbau von Marxloh und Alt-Hamborn geredet und gestritten. Doch der Frust bei Anwohnern und Kaufleuten wächst, während nun die heiße Phase bevorsteht. Zwei Wettbewerbe entscheiden schon bald darüber, wie die beiden Stadtteilzentren umgestaltet werden. Dabei sollten vor allem die Betroffenen selbst mitreden.
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Das sei in Marxloh krachend gescheitert, findet Haticeela Tekeş: „Die Stadt hat das Vertrauen der Menschen hier verloren.“ Seit Jahren fließen Fördergelder, „ohne das Leben der Anwohner nachhaltig zu verbessern“. Der Stadtteil sei immer noch ein sozialer Brennpunkt mit hoher Armut. Dabei sieht die 26-Jährige, die in Marxloh aufgewachsen ist und lebt, durchaus „sehr viel Potenzial“ in ihrer Heimat. Als Bildungsaufsteigerin und bekennende Lokalpatriotin blickt die studierte Sozialwissenschaftlerin jedoch sehr kritisch auf das Förderprogramm „Stark im Norden“.
Damit werden also wieder viele Millionen Euro in die Hand genommen. Der Umbau der Brautmodenmeile und des August-Bebel-Platzes – das größte und bekannteste Projekt – hat das erklärte Ziel, den Autoverkehr zu verringern und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. In zig Veranstaltungen haben die Betroffenen die Gelegenheit bekommen, über ihre Heimat und deren Zukunft mitzudiskutieren.
Kritik am Förderprogramm „Stark im Norden“: Informationen gibt‘s nur im Amtsdeutsch oder in Bildungssprache
Zumindest offiziell. Haticeela Tekeş mutmaßt, dass es der Stadt Duisburg mehr darum geht, Beteiligungsveranstaltungen auf einem Klemmbrett abzuhaken, um die Fördermillionen zu bekommen, als die Marxloher tatsächlich zu beteiligen und mitbestimmen zu lassen. Als starkes Indiz dafür sieht sie, dass sämtliche Informationen zu den Projekten in Behördendeutsch und in Bildungssprache formuliert seien. Damit seien schon viele deutsche Muttersprachler überfordert. Geschweige denn die vielen Menschen mit türkischem, bulgarischem oder rumänischem Migrationshintergrund.
„Das versteht niemand ohne Studium“, kritisiert Tekeş. Angesichts so hoher Barrieren für eine Beteiligung fragt sie: „Welche Menschen sollen hier überhaupt erreicht werden?“ Die Antwort hat sie für sich selbst längst gefunden: nicht der Großteil der Marxloherinnen und Marxloher. Nicht die Malocher und nicht die Migranten.
Das bekomme die junge Frau seit Monaten immer wieder aus dem Stadtteil gespiegelt. Durch ihre ehrenamtliche Arbeit beim Lions Club Duisburg-Concordia oder beim Fußballverein Rhenania Hamborn würden sich ihr viele Menschen anvertrauen. Zusätzliche Bekanntheit hat sie durch Filmprojekte oder als überregionales Gesicht von Marxloh in der Image-Kampagne „Duisburg ist echt“ gewonnen. „Hier gibt es keine echte Partizipation, kein Mitspracherecht“, urteilt sie, denn die Projektbeteiligten begegneten den Marxlohern „nicht auf Augenhöhe“, sondern „immer von oben herab“. Gesucht und gewollt seien höchstens ein paar Anwohner, die „abnicken, was die Stadt vorlegt“.
Man dürfe den örtlichen Werbering und die Kaufleute von der Brautmodenmeile nicht mit den Anwohnern verwechseln; als Lobbyisten hätten sie eigene Interessen. So haben die Händler lange für ein neues Parkhaus gekämpft. Doch Tekeş betont, dass es die meisten Einwohner nicht interessiert, wo am Wochenende die Kundschaft aus „ganz Deutschland und halb Europa“ ihre Autos abstellt.
Marxloh-Umbau geht an den Bedürfnissen der Einheimischen vorbei
Diese Kritik teilt auch Thomas Mielke vom Runden Tisch Marxloh. „Es juckt keinen Menschen hier, ob eine Bushaltestelle verlegt wird“, sagt er und meint vor allem die Alteingesessenen, wenn sie über Umbau des August-Bebel-Platzes reden. „Die Leute wollen hier in Frieden leben.“ Deshalb seien Sicherheit, Sauberkeit und Bildung die wichtigsten Themen, die ihn und seine Nachbarn umtreiben – nicht die Verkehrsführung und erlaubte Höchstgeschwindigkeit entlang der Weseler Straße.
Außerdem würden sie wieder einen Aldi-Markt vor der Haustür wollen, betont Mielke. Der Lebensmitteldiscounter hat sich bekanntlich im Dezember 2023 aus dem Marxloh-Center zurückgezogen und will eine Vorzeige-Filiale gegenüber der Grillo-Verwaltung bauen. Dagegen kämpft jedoch die Stadt zusammen mit dem rot-schwarz geführten Stadtrat; auf dem von Aldi gekauften Grundstück wollen sie lieber ein Parkhaus für die Brautmodenmeile bauen.
„Wir sind alle froh über die Brautmodenmeile. Ohne sie würden viele Läden leer stehen“, sagt Thomas Mielke. Doch die Mehrheit der Marxloher würden das Förderprogramm „Stark im Norden“ und die Umbaupläne für die Weseler Straße auch nach Jahren noch nicht kennen. Wer inzwischen mehr kennt als die Gerüchte darüber, lehnt die aktuellen Pläne demnach ab, weil sie ohne die Anwohner diskutiert wurden – über ihre Köpfe hinweg und an ihren Bedürfnissen vorbei.
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Das habe schon früh begonnen, erinnert sich der Vorsitzende des Runden Tisches an eine der ersten Beteiligungsaktionen. Eigentlich sollten sich die neuen Quartiersmanager und Projektverantwortlichen auf dem August-Bebel-Platz den Marxlohern vorstellen. Doch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) kam unangekündigt vorbei. Plötzlich sei ihre Meinung und die ihrer Begleiter wichtiger gewesen. Einheimische mit Migrationshintergrund seien durch die Aktion kaum erreicht worden. Allein an den Marktständen wurden damals mehr Gespräche geführt als am benachbarten Pavillon des Quartiersmanagements.
Forderung aus Marxloh: Vertrauensarbeit leisten
Außerdem helfe es nicht, so Haticeela Tekeş, dass die Entscheider im Rathaus und in der Lokalpolitik sich für Marxloh-Experten halten, aber oft gar nicht im Stadtteil leben und die meisten Betroffenen gar nicht kennen. Für die Marxloher und Marxloherinnen, findet die 26-jährige Akademikerin, sei „Stark im Norden“ längst gestorben. Ihr Vorwurf: „Die ganze Partizipation ist nur ein Alibi-Projekt.“ Das müsse sich für zukünftige Projekte ändern. Damit sich die Menschen aber abgeholt und ernst genommen fühlen, „muss viel Vertrauensarbeit geleistet werden“.