Duisburg-Marxloh. Die Studentin Haticeela Tekeş engagiert sich stark in und für Marxloh. Bei einem bundesweit beachteten Filmprojekt kämpft sie gegen Vorurteile.
Ihre Mutter, eine Zuhälterin, zwingt verzweifelte Frauen auf den Strich, und sie selbst ist eine skrupellose Rauschgifthändlerin. Das zumindest glauben, natürlich zu Unrecht, einige ihrer Kommilitonen an der Hochschule Düsseldorf, wenn sie erfahren, dass Haticeela Tekeş in Marxloh lebt.
Dabei ist die 24-Jährige jetzt zum neuen Gesicht ihrer Heimat geworden, zeigt sie doch in dem bundesweit beachteten Filmprojekt „Ruhrgebietskinder“, dass das Leben im Stadtteil ganz anders ist, als sich Außenstehende dies meist vorstellen. „Ich bin sprachlos, dass der kleine Film so durch die Decke gegangen ist“, staunt Tekeş, bei der seit der Veröffentlichung im Internet regelmäßig Journalisten für Fernseh- und Radiobeiträge anklopfen.
Ein Film gegen Vorurteile: Marxloh als No-Go-Area? „Meine geliebte Heimat!“
In dem fast achtminütigen Film des Duisburgers Burak Yilmaz will Tekeş als Hauptdarstellerin ein Gegengewicht zu diesen Vorurteilen setzen. Was für andere ein kriminelles Armutsviertel, eine No-Go-Area ist, „ist für mich meine geliebte Heimat“, sagt sie entschieden und hat mit ihrem Projektbeitrag ein klares Ziel: „Ich will zeigen, was ein Mädchen aus Marxloh alles schaffen kann.“ Und das ist einiges, denn die Studentin ist eine fleißige Bildungsaufsteigerin, die sich außerdem in ihrer Freizeit vielfältig sozial engagiert, darunter im Sportverein, beim Lions-Club oder in der Moschee.
Den Weg dorthin geebnet habe ihr schon als junges Mädchen ihre erste große Liebe, der Fußball. Während andere Mädels in hübschen Kleidern und mit Kopftüchern in die Koranschule kamen, erinnert sie sich, trug sie lieber Jogginghosen, weil sie anschließend zum Training musste. Beim SV Rhenania Hamborn lernte sie Selbstbewusstsein und auch Verantwortung zu übernehmen, als Torwartin, Schiedsrichterin, Trainerin und als Vorstandsmitglied.
Auch wenn sie heute kaum mehr Zeit für ihren Sport findet, sind die Kinder von Rhenania „stolz auf mich und wollen so sein wie ich“. Dass sie ihnen ein Vorbild ist, „das ist das größte Kompliment“. Denn ihr selbst fehlten Vorbilder im Kinder- und Jugendalter. Vielmehr spürte sie schon früh ein Stigma als Enkelin eines türkischen Gastarbeiters.
Marxloherin musste sich Chancengleichheit hart erkämpfen
„Meine Grundschule hat mir den Hauptschulabschluss nicht zugetraut“, sagt Haticeela Tekeş. Doch sie schaffte den Abschluss, machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studiert jetzt Soziale Arbeit, ist an Forschungsprojekten beteiligt und Mitglied einer Berufungskommission. Zielstrebig verfolgt sie ihre akademische Karriere, will bald promovieren und später als Professorin an einer Hochschule arbeiten und forschen.
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„Ich habe Barrieren aufgebrochen, Chancengleichheit und Gleichberechtigung musste ich mir erkämpfen“, ob als fußballspielende Muslima oder als abgeschriebene Migrantin aus einer Arbeiterfamilie. Diese Kämpfe, so hofft sie, sollen künftig für Kinder und Jugendliche aus Marxloh nicht mehr so hart oder gar unnötig sein. „Ich möchte eine Botschafterin für Marxloh sein, eine Inspiration“, sagt Haticeela Tekeş und ist doch für Kinder aus ihrem Fußballverein schon längst Vorbild, auch das zeigt der Film, mit dem sie sich und ihr Marxloh vorstellt.
Aktuell jongliere sie rund 20 Projekte aus vielen Bereichen, darunter politische Bildung und der Kampf gegen Rassismus und Judenhass. Der Lions Club Duisburg-Concordia, in dem sie sich beherzt einbringt, spielt dabei eine große Rolle. Zusammen mit anderen Mitgliedern, von denen sie viele als Vorbilder wahrnimmt, setzt sie sich für benachteiligte Kinder im Bezirk ein und „wir bewegen hier was“.
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Ihre Mutter Nahar Tekeş ist eine große Inspiration für ihr Engagement und ihre Zielstrebigkeit. „Meine Mutter ist die stärkste Frau, die ich kenne“, sagt die 24-Jährige stolz und dankbar. Nahar Tekeş tritt auch in dem Kurzfilm auf und hat darin eine Schlüsselszene, die die Hauptdarstellerin sichtlich erstaunt. Ihre Tochter, findet sie, könne zwar Urlaub in der Türkei machen, aber „Deutschland ist dein Mutterland“. Dabei ist diese Identitätsfrage für Gastarbeiterenkel oft schwierig zu beantworten. Deutsch? Türkisch? „Ich bin Marxloherin“, sagt Haticeela Tekeş entschieden.
Als solche hat sich die junge Frau Chancen und Zukunftsperspektiven erkämpft, glaubt an den eigenen Erfolg und will andere ebenfalls dazu ermutigen. Ihre Botschaft lautet: „Alles ist möglich!“
>> FORTSETZUNG GEPLANT
● Das Filmprojekt Ruhrgebietskinder wird unterstützt von der Landeszentrale für Politische Bildung. Es ist dreigeteilt und behandelt die Spurensuche jüdischen Lebens im Marxloh, die Geschichten von Gastarbeiterfamilien und die Filmporträts von Duisburgern wie Haticeela Tekeş. Produziert hat das Projekt die Heja Medien Produktion GmbH aus Frankfurt.
● Projektleiter Burak Yilmaz plant 2022 eine Fortsetzung, bei der nicht nur junge Duisburgerinnen und Duisburger mit türkischen und kurdischen Wurzeln teilnehmen sollen, sondern auch deutsche, polnische oder russische Jugendliche.