Duisburg. Nicht alle Thyssenkrupp-Mitarbeiter treibt die Sorge um ihren Job auf die Straße. Vielen geht es um mehr. Wir haben ihre Stimmung eingefangen.
Die Wut bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) im Duisburger Norden ist groß – und es ist vor allem ein Mann, der den Blutdruck in der Belegschaft steigen lässt: Vorstandschef Miguel López. Der Ärger über mangelnde Information, die Aushöhlung der Mitbestimmung und den überraschenden Einstieg des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky in den Konzern macht sich in deutlichen Worten Luft. Egal, wen man aus der Belegschaft bei der Protestaktion vor der Thyssenkrupp-Steel-Zentrale in Bruckhausen fragt. Alle sagen: „So geht‘s nicht!“ und „Wir kämpfen!“.
In der Belegschaft von Thyssenkrupp Steel in Duisburg-Bruckhausen ist die Wut auf den Vorstand groß
„Der Vorstand hat nicht mal die Eier, bei den Protesten heute vorbeizuschauen“, bringt es TKSE-Mitarbeiter Peter Kufferath auf den Punkt, „das ist unterste Schublade. Es geht hier schließlich um Arbeitsplätze.“ Der 58-Jährige berichtet, dass die Stimmung in der Belegschaft geladen sei und vor allem die jüngeren Kollegen sich Sorgen um ihre Existenz machten. Die Kollegen seien kampfbereit: „Wenn López nicht zu uns kommt, muss er sich keine Sorgen machen. Wir kommen zu ihm.“
„López ist respektlos. Er marschiert einfach über die Belegschaft weg“, kritisiert auch Ayhan Caglayan. Der Industriemechaniker arbeitet seit 2007 für Thyssenkrupp Steel und hat persönlich keine Angst um seinen Job. Aber insgesamt schwanke die Stimmung zwischen Betrübtheit und Wut. „Jeder Arbeiter muss jetzt aktiv werden, wir müssen um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen“, so der 37-Jährige. Über allem schwebt seine Hoffnung, dass der Protest etwas bewirkt. Ihn treibt aber auch noch etwas anderes um: „Duisburg ist ein Kulturstandort, was den Stahl angeht. Wir sind ein über 100 Jahre alter Konzern, der darf nicht untergehen.“
Die Unsicherheit macht vielen zu schaffen. Sie warten auf Antworten
Luca Dominick ist Teil dieser Tradition – er arbeitet in der dritten Generation bei TKSE, hat in dem Unternehmen seine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht. „In meiner Kolonne hat keiner Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren“, erklärt der 23-Jährige. Aber sauer auf die Oberen seien alle: „Von López ist ja bekannt, dass er alles ignoriert.“ Dominick geht nicht davon aus, dass der Abbau die Stammbelegschaft trifft: „Die werden wieder bei den Lohnunternehmen abbauen, so wie bei der Schließung in Hüttenheim.“
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Um sich selbst macht sich die 33-jährige Katharina Heuberg, die im Kaltwalzwerk in Bruckhausen in der Verladung arbeitet, ebenfalls keine Sorgen: „Es ist eher eine Gesamtsorge um uns alle. Wir hängen an unserem Job, sind stolz, bei Thyssenkrupp zu arbeiten.“ Dementsprechend groß sei der Zusammenhalt: „Die meisten sagen, wir müssen an die Zukunft der jungen Kollegen denken. Auch unter den Älteren sagt kaum jemand ,nach mir die Sintflut‘.“ Trotz aller Probleme arbeiteten alle engagiert wie immer: „Nur manchmal beschleicht uns das Gefühl, dass wir am Abbau mitarbeiten. Dann fragen wir uns: Wofür machen wir das?“
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Einen neuen Job zu finden, wird für viele nicht schwer sein, aber zu welchen Konditionen?
Laborkoordinator Maximilian Kollarczik berichtet von einer großen Unsicherheit in seiner Abteilung: „Wir bekommen keine Infos. Man fragt sich, wen betrifft der Abbau? Passiert er sozialverträglich?“ Der 27-Jährige macht sich über seine eigene Zukunft keine großen Sorgen. Er ist sich sicher, als Chemielaborant wird er einen neuen Job bekommen. „Aber zu welchen Konditionen? Die Arbeitgeber sind doch auch nicht doof. Wenn bei uns 2000 Leute entlassen werden, dann zahlen die doch weniger.“ Kampflos aufgeben sei keine Option: „Und wir müssen einen guten Sozialplan für die älteren Kollegen erstreiten.“
Nuri Balkan ist Jugendvertreter bei TKSE. „Ich bin zu allem bereit. Notfalls müssen wir einen Monat lang streiken, wie es vor 70 Jahren schon einmal war. Das mache ich gerne und mit Herz.“ Der Verfahrenstechniker hofft, dass alles gut ausgeht: „Unser Unternehmen hat schon viele Krisen durchlebt und jede sehr gut überstanden. Die Probleme werden gelöst.“ Er spüre auch die Angst bei den Kollegen, vor allem bei den älteren: „Aber unsere Belegschaft ist sehr stark, jeder steht auf.“ Für Balkan geht es nicht nur um seine Kollegen und sich. „Ich will nicht, dass die Firma den Bach runtergeht. Ich bin mit Thyssenkrupp groß geworden und möchte, dass meine Kinder hier mal arbeiten können. Denn Thyssenkrupp ist ein gutes Unternehmen.“