Duisburg/Essen. Krisenstimmung bei Thyssenkrupp Steel: Die IG Metall warnt vor „Kahlschlag“ – und zeigt sich zugleich offen für massive Veränderungen.
Ihr Positionspapier zur Zukunft von Thyssenkrupp Steel illustriert die IG Metall mit einem Bild, das sie unbedingt vermeiden will. Zu sehen ist eine bedrohlich wirkende Axt – und hinter ihr liegt ein abgeholzter Wald, kaum noch etwas ist übriggeblieben. Ein „Kahlschlag“, so die Botschaft der Arbeitnehmervertreter, wäre fatal für Deutschlands größten Stahlkonzern und seine rund 27.000 Beschäftigten.
Die Stimmung im Unternehmen ist angespannt. Thyssenkrupp Steel stehe „vor wichtigen Entscheidungen“, heißt es bei der IG Metall. Es stellen sich Fragen, bei denen es um den Kern des Konzerns geht. Was wird aus den Hochöfen in Duisburg? Wie viele Arbeitsplätze fallen weg? Kommt ein neuer Eigentümer für Thyssenkrupp Steel? Bleibt die Stahlsparte unter dem Dach des Essener Konzerns Thyssenkrupp?
Mitten in dieser heiklen Phase zeigt sich die IG Metall betont offen für eine Herauslösung von Thyssenkrupp Steel aus dem Essener Mutterkonzern. Eine „Verselbstständigung“ der Stahlsparte könne sie sich ebenso vorstellen wie einen Verkauf des Geschäfts oder die Beteiligung eines Investors, erklärt die Gewerkschaft in einem Schreiben an die Belegschaft, das unserer Redaktion vorliegt. Allerdings müssten mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, unter anderem eine „weitgehende Standort-, Beschäftigungs- und Anlagensicherung“ für Thyssenkrupp Steel und die Firmenbeteiligung Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM).
Detlef Wetzel: „Wir lassen den Mutterkonzern nicht aus der Verantwortung“
Der Essener Mutterkonzern müsse seine Stahltochter „finanziell ordentlich ausstatten“, zugleich sei ein industrielles Konzept mit einer „echten Perspektive“ erforderlich, so die Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp Steel. Wenn diese und weitere Voraussetzungen gegeben seien, habe ein eigenständiger Stahlkonzern, der aus Thyssenkrupp entstehen könnte, „gute Chancen auf dem Weltmarkt“, urteilt Detlef Wetzel, der stellvertretende Steel-Aufsichtsratsvorsitzende, in dem Schreiben der IG Metall. „Wir lassen den Mutterkonzern nicht aus der Verantwortung“, betont Wetzel.
„Es steht schlimm um Thyssenkrupp Steel, das wissen auch IG Metall und Betriebsrat“, heißt es in dem Schreiben an die Belegschaft, das auf den 1. März datiert ist. So verweist die Gewerkschaft unter anderem auf die schwierige Lage in der Autoindustrie. Ein Konzept sei daher dringend notwendig, aber „kein Kahlschlag“. „Jetzt kopflos einfach Arbeitsplätze zu streichen und Kapazitäten runterzufahren – das kann nicht die Lösung sein“, so die IG Metall.
Betriebsversammlung bei Thyssenkrupp Steel für 30. April geplant
Vor einigen Tagen hatte die Gewerkschaft bereits mit Protestaktionen gedroht. Anhaltspunkte für kurzfristige Kundgebungen gibt es in dem Flugblatt, das die IG Metall jetzt verteilt, allerdings nicht. Für den 30. April sei eine gemeinsame Betriebsversammlung in Duisburg mit Beschäftigten aller Standorte von Thyssenkrupp Steel geplant, kündigen die Arbeitnehmervertreter nun an.
Der Aufsichtsratsvorsitzende des Stahlkonzerns, Sigmar Gabriel, hat zu Wochenbeginn im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt, der Vorstand werde bis Mitte April ein Konzept für eine „grundlegende Neuaufstellung“ von Thyssenkrupp Steel vorlegen. Diesen Plan würden die Betriebsräte und die IG Metall „sehr genau unter die Lupe nehmen“, heißt es in dem Flugblatt. „Wir schalten uns schon jetzt ein und schauen nicht einfach zu, wie Stahl kleingeschrumpft oder kaputtsaniert wird.“
IG Metall: Gabriel habe „eine wichtige Wahrheit deutlich ausgesprochen“
In dem Interview mit unserer Redaktion hat Gabriel die rund 27.000 Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel auf tiefgreifende Veränderungen vorbereitet. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“, sagt Gabriel. Dieser Aussage stimmt die IG Metall in ihrem Positionspapier ausdrücklich zu. Damit habe Gabriel „eine wichtige Wahrheit deutlich ausgesprochen“, so die Gewerkschaft.
Der frühere Vizekanzler, der nun das Kontrollgremium von Thyssenkrupp Steel leitet, erklärte, die Anlagen des Stahlkonzerns seien auf eine jährliche Produktion von knapp zwölf Millionen Tonnen ausgelegt, „aber wir verkaufen derzeit nur etwa neun Millionen Tonnen – Tendenz möglicherweise sogar fallend“. Daher müsse es Veränderungen geben. „Eine gewisse Zeit lässt sich das ohne Anpassungen überbrücken, aber nicht auf Dauer“, so Gabriel. „Wir alle zusammen im Unternehmen, das Management und die Mitbestimmung, müssen jetzt schauen, dass wir einen Plan entwickeln, der uns in die Zukunft trägt.“
Gabriel deutete zugleich Stellenstreichungen an. „Es kann sicher nicht ausgeschlossen werden, dass bei Kapazitätsanpassungen auch ein Beschäftigungsabbau erfolgt“, sagte er. „Dass wir dabei niemanden ins Bergfreie fallen lassen wollen, ist doch klar.“
Spekulationen über massiven Stellenabbau
Das „Handelsblatt“ berichtete danach unter Berufung auf „informierte Kreise“, mit den geplanten Einschnitten könnten mehr als 5000 Arbeitsplätze überflüssig werden. Erwogen werde die Schließung eines Hochofens und zweier Walzwerke am Standort Duisburg. Ein Sprecher von Thyssenkrupp Steel zeigte sich über diese Spekulationen „verwundert“.
Zum jetzigen Zeitpunkt seien „alle Mutmaßungen über möglicherweise betroffene Aggregate Spekulation und im hohen Maße unseriös“, so der Unternehmenssprecher. „So werden völlig unnötigerweise Ängste und Befürchtungen bei unseren Mitarbeitenden geschürt.“ Bei Thyssenkrupp Steel gilt derzeit eine Job-Garantie bis zum März 2026. „Daran lassen wir nicht rütteln“, betont die IG Metall in dem aktuellen Flugblatt.
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Seit Monaten lotet Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López bereits die Chancen für einen Teilverkauf der Stahlsparte aus. Interesse hat der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky signalisiert. Sigmar Gabriel erklärte im Gespräch mit unserer Redaktion, er sehe „mindestens drei Optionen“ für eine Verselbstständigung des Stahlgeschäfts. „Erstens: Der Stahl könnte zum neuen Kern von Thyssenkrupp werden. Zweitens: Wir werden mit einem starken Ankeraktionär selbstständig. Drittens: Wir tun uns mit jemandem zusammen – mit Herrn Kretinsky beispielsweise.“