Duisburg/Essen. Ein Viertel der Stahlproduktion und etliche Arbeitsplätze fallen weg. Das ist hart, aber die größten Herausforderungen kommen erst noch.
Thyssenkrupp verordnet seiner Stahltochter eine harte Schrumpfkur. Um sie attraktiver für den designierten Investor Daniel Křetínský zu machen. Aber vor allem, weil Thyssenkrupp Steel in seiner jetzigen Verfassung keine Zukunft hat. So hart muss man das nach dem kurzen Zwischenhoch in den vergangenen Jahren leider sagen.
Stahlwerke müssen nicht nur rund um die Uhr laufen, sondern auch möglichst ausgelastet sein. Sonst verbrennen sie Geld. Dass Thyssenkrupp-Stahl in der Corona-Pandemie plötzlich wieder sehr gefragt war, hatte schon keine besonders schöne Ursache. Chinas Zwangsschließungen wichtiger Häfen und die Unterbrechung der weltweiten Lieferketten machten Thyssenkrupp Steel und andere europäische Hersteller kurzzeitig zu Krisengewinnlern.
Thyssenkrupp Steel nach Zwischenhoch wieder in der Krise
Nüchtern betrachtet wussten alle Beteiligten aber immer, dass dies eine Sonderkonjunktur und somit nicht von Dauer sein würde. Seit einigen Monaten schlägt das Pendel nun hart zurück: Die Nachfrageschwäche in Europa, vor allem der Autoindustrie, und die wieder massenhaften Importe günstigen Stahls aus China haben Thyssenkrupp Steel auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die Aufträge reichen nicht mehr aus, um den Dauerbetrieb aller Hochöfen und Walzwerke finanzieren zu können. Und diese Überkapazitäten werden absehbar bleiben und Geld kosten. Deshalb ist es betriebswirtschaftlich geboten, sie zu reduzieren.
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Doch was so ökonomisch-technokratisch klingt, wird handfeste Folgen für die Beschäftigten haben. Die geplante Senkung der Stahlproduktion um ein Viertel kostet etliche Arbeitsplätze. Nach der konzerninternen Faustregel „eine Million Tonnen Stahl gleich 1000 Jobs“ stehen rund 2500 Stellen im Feuer. IG Metall und Betriebsrat werden darauf bestehen, dass dies wie in all den Jahrzehnten zuvor ohne betriebsbedingte Kündigungen abläuft. Aber ohne Härten für Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz wechseln oder früher als geplant ausscheiden müssen, wird es nicht gehen.
Die nächsten Jahre werden die schwierigsten in der Geschichte des Stahlkonzerns, der schon so viele Krisen durchgestanden hat. Schon die Notwendigkeit, auf eine grüne Stahlproduktion umzustellen, stellt die Existenz von Thyssenkrupp Steel infrage. Entweder es gelingt, den bisherigen Energieträger Kokskohle erst durch Gas und dann durch grünen Wasserstoff zu ersetzen - oder Stahl aus Duisburg ist Geschichte. Das Management hat keinen Plan B.
Ob Thyssenkrupp weitere Fördermilliarden erhält, ist nicht ausgemacht
Bisher hat Thyssenkrupp nur Förderzusagen für eine dieser neuen Grünstahl-Anlagen. Die vom Staat bereit gestellten zwei Milliarden Euro haben bereits Neidreflexe aus dem Mittelstand und anderen Branchen ausgelöst, dass zwei weitere Anlagen derart staatlich unterstützt werden, ist alles andere als ausgemacht. Obendrein ist noch lange nicht absehbar, ob und woher die dafür benötigten Unmengen an Wasserstoff herkommen sollen.
Der Aufbau der Lieferketten und Leitungen geht jetzt schon viel zu langsam voran. Das erstrebenswerte wie für die Schwerindustrie überlebenswichtige Ziel des Ruhrgebiets, Vorzeigeregion für die Wasserstoffwirtschaft und eine grüne Industrie zu werden, ist noch weit weg. Und es wird mit jedem Jahr, das durch Verfahren, Genehmigungen und politische Katastrophen wie den rechtswidrigen Klima- und Transformationsfonds verloren geht, unrealistischer.
Wasserstoffwirtschaft: Deutschland und Europa müssen mehr Tempo machen
In dieser Phase der Unsicherheit, ob der Umstieg auf grünen Stahl gelingen wird, kommt die aktuelle Krise mehr als ungelegen. Mit dem herkömmlich gekochten Stahl muss Thyssenkrupp aber noch einige Jahre über die Runden kommen, um seine Produktion Schritt für Schritt umstellen zu können. Grünstahl soll die Werke in Deutschland und Europa wieder wettbewerbsfähig machen. Die Nachfrage der weiterverarbeitenden Industrien nach klimaschonenden Grundstoffen wird wachsen. Die Hoffnung, diesen noch nicht existierenden Markt bedienen zu können, ist berechtigt. Aber dafür müssen Deutschland und Europa beim Aufbau der Wasserstoff-Strukturen mehr Tempo machen, denn der Rest der Welt schaut nicht tatenlos zu.
Für Thyssenkrupp bedeutet das, neue Strukturen aufbauen und gleichzeitig sicherstellen zu müssen, dass die alten nicht das dafür benötigte Geld auffressen. Der Abbau der Kapazitäten um ein Viertel ist die Voraussetzung dafür, mehr aber auch nicht. Die Manager sind mehr denn je auch als Motivationskünstler gefragt: Sie müssen der Belegschaft die Trennung von vielen Kolleginnen und Kollegen vermitteln und gleichzeitig eine Aufbruchstimmung verbreiten, um den Umstieg zu meistern. Es wird eine Zerreißprobe. Wie dieser Spagat gelingen kann, könnte noch ein beliebtes Thema für Doktoranden der Wirtschaftspsychologie an den Ruhrgebiets-Unis werden.
HKM und Thyssenkrupp: Auch der Arbeitnehmerseite droht Zerreißprobe
Die kommenden Monate werden aber auch der IG Metall und dem Betriebsrat einiges abverlangen. Sie wissen, dass es so nicht weitergehen kann, das haben sie selbst oft genug betont. Deshalb sperren sie sich auch nicht gegen einen neuen Investor und den von der Konzernspitze in Essen geplanten Verkauf der Mehrheit am Stahl. Sie werden auf einen sozialverträglichen Stellenabbau und anschließende Jobgarantien für die verbleibenden Stahlkocher bestehen.
Doch über kurz oder lang werden sie auch Positionen räumen müssen. Bisher betont die Arbeitnehmerseite bei jeder Gelegenheit, auch das Stahlwerk der Thyssenkrupp-Beteiligung HKM im Duisburger Süden müsse auf grünen Stahl umgerüstet und so gerettet werden. Geht es aber irgendwann in den nächsten Jahren darum, dass weitere Hochöfen aufgegeben werden müssen und nicht jeder durch eine Grünstahl-Anlage ersetzt werden kann, droht auch der Arbeitnehmerschaft in der Stahlstadt Duisburg eine Zerreißprobe. Insofern ist Thyssenkrupps Schrumpfkur auch für die Beschäftigten von HKM keine gute Nachricht.