Duisburg. Kinder sollen in Duisburger Kitas sexualisierte Übergriffe durch andere Kinder erlitten haben. Der Streit darüber eskaliert. Die Vorwürfe.
In zwei Kindertagesstätten in Duisburg soll es im Sommer 2023 massiv grenzverletzendes sexualisiertes Verhalten zwischen Kindern gegeben haben. Im Fokus steht ein Junge. Einige der Betroffenen sollen bis heute in therapeutischer Behandlung sein.
Jetzt haben sich auch der nordrhein-westfälische Landtag und die Familienministerin des Themas angenommen, und der Duisburger Jugendamts-Elternbeirat fordert aktuell als Konsequenz engmaschigere Kontrollen in Kitas und überprüfbare Schutzkonzepte.
Der Fall macht deutlich, wo es haken kann bei der Kinderbetreuung und wo Interessen von Eltern und Kitas massiv kollidieren können. Fragt man herum unter Duisburger Expertinnen und Experten, dann merkt man schnell: Alle wissen Bescheid, alle sind irgendwie involviert, aber kaum einer äußert sich konkret, verweist auf den Mandantenschutz/Datenschutz/Kinderschutz. Am Ende haben auch wir uns dazu entschieden, im Sinne des Kinderschutzes den Träger und die Kitas nicht konkret zu nennen. Denn die Vorwürfe sind bitter und obwohl es um Kindergartenkinder geht, ist eine Triggerwarnung an dieser Stelle angebracht.
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Mutmaßliche sexualisierte Übergriffe in zwei Duisburger Kitas: womöglich mehr als ein Dutzend Kinder betroffen
Aus Elternbriefen, Gedächtnisprotokollen und E-Mails an die Behörden geht hervor, dass die Repressalien über einen längeren Zeitraum passiert, mehr als ein Dutzend Kinder betroffen sein sollen. Überwiegend sei es im Außenbereich geschehen, wo sich die Kinder unbeobachtet fühlten, womöglich regelmäßig unbeobachtet waren.
Es geht um den Vorwurf vielfacher Übergriffe und Zwänge: Kinder sollten sich Stöcke in den Po schieben lassen, Gänseblümchen, Feuerkäfer und Steine in Penis und Scheide drücken. Mädchen sollten urinieren und andere dabei darunter herkriechen. Wer sich entblößte, durfte auf die Schaukel, durfte mitspielen.
Es geht um einen durchsetzungsstarken Jungen und einige Anhänger, um Schweigegelübde, Heimlichkeiten, vermutlich um mehr als altersgemäße Doktorspiele. Und um die Frage, wie das über Wochen und Monate passiert sein soll, ohne dass eingegriffen wurde.
Familienministerin: Man habe den Fall intensiv geprüft
Im Landtag wurden die Vorwürfe in nicht öffentlicher Sitzung diskutiert, und auch da nur eingeschränkt „zum Schutz einzelner betroffener Kinder und Familien“, wie die Familienministerin Josefine Paul (Grüne) in einem mehrseitigen Brief erklärt. Der Landtagsabgeordnete Dr. Dennis Maelzer hatte um Aufklärung gebeten. Der SPD-Politiker fordert schon länger, dass der Kinderschutz in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern verankert werden muss. Es reiche nicht, später Fortbildungen dazu zu besuchen.
Ministerin Josefine Paul schrieb nach der Sitzung, dass die Betriebserlaubnis einer Kita an pädagogische Konzepte und den Schutz vor Gewalt gekoppelt ist und nach jeder Meldung geprüft und bewertet werde: „Mir als Kinder- und Jugendministerin und auch den Aufsichtsbehörden ist es jedoch letztendlich nur möglich, den Umgang mit Vorfällen zu prüfen und in Fällen von fehlerhaftem Umgang diesem zu begegnen. Dies haben wir in diesem Fall intensiv getan.“
Träger: Keine Notfalleinsätze oder Krankenhausaufenthalte
Auch der Träger hat nach eigener Anschauung und Darstellung viel getan: So seien bereits im Mai die Fachbehörden informiert worden. Es habe Begehungen vor Ort gegeben. Die Problemanzeigen der Eltern seien dabei nicht bestätigt worden.
„Die vermeintlichen drastischen Übergriffe unter den Kindern, die seitens der Beschwerde führenden Eltern geschildert werden, hätten massive körperliche Verletzungen, Notfalleinsätze und Krankenhausaufenthalte verursacht“, schreibt die Pressesprecherin des Trägers. „Dem Kita-Personal wird vorgeworfen, diese vermeintlichen Übergriffe und Verletzungen nicht bemerkt zu haben. Dem widersprechen wir mit allem Nachdruck. Die gelebte Alltagsrealität war eine andere: Die betreffenden Kita-Kinder wurden von ihren Eltern gesund und unversehrt regelmäßig in die Kita gebracht und abgeholt.“
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Einige Eltern berichten, dass der Träger eine Kanzlei beauftragt habe, von der sie sich eingeschüchtert fühlen. Die Pressesprecherin des Trägers schreibt: „Sowohl die betroffenen Familien als auch die Mitarbeitenden der Kita werden persönlich diffamiert, verbal angegriffen, in Chatgruppen verunglimpft und in ihrem Lebensumfeld ausgegrenzt. Hierzu haben wir strafrechtlich als auch zivilrechtlich juristische Schritte eingeleitet und werden diese konsequent weiterverfolgen.“ Eine Nachfrage bei Polizei und Staatsanwaltschaft ergab allerdings, dass noch keine entsprechenden Vorgänge vorliegen.
In ihren Briefen schildern die Eltern, dass ihre Kinder über einen längeren Zeitraum über Schmerzen am Po klagten, über ein schmerzendes Glied, eine juckenden Scheide. Es ist von Blasenentzündungen die Rede, rückläufigen Entwicklungen mit Einnässen, Alpträumen und dem Bestehen darauf, im Elternbett zu schlafen. Erst nach Bekanntwerden der mutmaßlichen Übergriffe machten diese körperlichen Auswirkungen für die Eltern plötzlich mehr Sinn.
Aufsichtsfunktion für alle Kinder hat das Landesjugendamt
Auch das Jugendamt der Stadt Duisburg kennt den Fall, verweist aber an das Landesjugendamt, hier allein liege „die Aufsichtsfunktion zum Schutz aller Kinder in den Einrichtungen“, schreibt Stadtsprecher Max Böttner. Sie „werden gemäß der gesetzlichen Vorgaben in den jeweiligen Einrichtungen fortlaufend auf die Bedürfnisse vor Ort angepasst, weiterentwickelt und überprüft“. Er betont, dass alle Kitas in Duisburg entsprechende Schutzkonzepte haben. Erst im Frühjahr 2023 hatte es für städtische Kitas eine entsprechende Fachtagung gegeben.
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Das Landesjugendamt erklärt auf Anfrage, dass der Träger der betroffenen Kitas beraten worden sei und sein Schutzkonzept sowie die pädagogischen Konzepte weiterentwickelt habe. In solchen Schutzkonzepten geht es um Handlungspläne und entsprechende Schritte in Verdachtsfällen jeglicher Form von Gewalt. Der Pressesprecher schreibt: „Ein solcher Handlungsplan muss im Vorfeld entwickelt werden, um im konkreten Verdachtsfall, der oftmals eine Krise und Ausnahmesituation für die Einrichtung darstellt, rasches und besonnenes Handeln sicherzustellen.“
Wurden mutmaßliche Vorfälle von den Kitas bagatellisiert?
Die Eltern, mit denen wir gesprochen haben, können über diese Formulierung nur den Kopf schütteln. Nichts sei rasch oder gar besonnen gewesen. In Briefen, die der Redaktion vorliegen, beklagen sie, dass die mutmaßlichen Vorfälle im Kindergarten heruntergespielt worden seien. „Die Leiterin hat ein Buch zum Thema bestellt und dachte, das reicht“, schimpft eine Mutter, der Hausverbot erteilt wurde. Die Kita habe außerdem negative Reaktionen in den sozialen Netzwerken befürchtet, weil sich das auf die Spendenakquise des Trägers auswirken könne.
Die Eltern der betroffenen Kinder sagen, sie hätten es dann selbst übernommen, beim Jugendamt eine Meldung zur Kindeswohlgefährdung für das mutmaßlich übergriffige Kind zu stellen, damit es bei Bedarf die nötige Hilfe bekommt.
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In einem Protokoll notiert der Elternbeirat der Kita, dass auch die Bereichsleiterin des Trägers die mutmaßlichen Vorfälle als „Bagatelle“ abtut. Trotz mehrfacher Bitten habe weder die Kindergartenleitung noch der Träger alle Eltern informiert. Das Vorhaben des Elternbeirats, die Eltern mit einem Brief zu informieren, endete nach einem Gespräch mit dem Träger, der zu bedenken gibt, dass dieser Brief in der Zeitung oder im Internet landen könne und nur schaden würde. Auch rechtlich könne das bedenklich werden, mahnte der Träger laut Elternbeirat. Dieser hatte Details nennen und schreiben wollen: „Nur eine genaue Kenntnis des Sachverhalts ermöglicht es euch als Eltern, etwaige Veränderungen im Verhalten eurer Kinder zu erkennen und richtig zu reagieren.“ Der Brief wurde nie abgeschickt. Die Stille Post übernahm.
Eltern kündigen die Verträge, Erzieherinnen verlassen die Kita
Ein Kinderarzt, der im Thema ist, zweifelt am Ausmaß der geschilderten Vorgänge: „Das ist doch schmerzhaft, da muss es doch Geschrei gegeben haben“, sagt er. So unbeachtet habe das nicht über einen längeren Zeitraum stattfinden können, erklärt er und befürchtet, dass sich unter den Eltern etwas verselbständigt haben könnte.
Wie lang und intensiv eine womögliche Bedrängnis mancher Kinder war, bleibt, Stand jetzt, offen. Aber die Folgen sind erheblich: In mehreren Fachstellen Duisburgs sind Kinder in Behandlung. Einige Eltern haben die Verträge mit den Kitas gekündigt, zwei Eltern wurde fristlos gekündigt. Zwei Erzieherinnen warfen das Handtuch.
Auch eine Sozialpädagogin, die in den Kitas Angebote machte, hat nach den mutmaßlichen Vorfällen ihre Zusammenarbeit mit dem Träger gekündigt. In einer Mail an den Träger, die der Redaktion vorliegt, äußert sie sich über den Umgang damit: Für die Eltern sei es wichtig, transparent zu arbeiten, um sensibel auf die Kinder schauen zu können. Dass der Vater des Jungen, der womöglich übergriffig agiert hat, sagt, er wolle selbst mit seinem Kind arbeiten und dass das dem Träger reicht, „macht mich nachhaltig fassungslos und im Sinne der Prävention auch mehr als erschrocken und unzufrieden“.
>> FORDERUNGEN DES DUISBURGER JUGENDAMT-ELTERNBEIRATS
- Vorfälle mit Übergriffen unter Kindern gibt es in einigen Kindergärten, so massiv seien es aber eher Einzelfälle, sagt Christian Pollmann vom Jugendamt-Elternbeirat, der alle Beteiligten zum Gespräch eingeladen hat. Die Elternvertreter fordern, dass die Kitas engmaschiger kontrolliert werden, und zwar ohne Ankündigung.
- Jede Kita muss zwar ein Schutzkonzept haben, damit sei aber nicht gewährleistet, dass dieses alle Mitarbeitenden inhaltlich kennen und im Zweifel umsetzen können. Auch hier müssten die Aufsichtsbehörden kritischer draufschauen, fordert er.