Duisburg. Der Virenwinter hat die Kita-Teams in Duisburg ausgelaugt und Eltern verzweifeln lassen. Träger sehen die Zukunft duster. Was sie fordern.
„So schlimm war es noch nie“, sagt Dr. Marcel Fischell, „die Situation ist nur noch schwer tragbar für Mitarbeiter und Eltern“. Der Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks in Duisburg betreibt 14 Kindertagesstätten und ist Sprecher des Arbeitskreises Freier Träger in Duisburg. Er sagt, dass in diesem Winter der Notbetrieb phasenweise zur Regel geworden ist.
Der Sprecher erwartet Anstrengungen von der Politik, um das Dilemma zu lösen. Denn Kernproblem sei das Kinderbildungsgesetz (Kibiz), das einen sehr hohen Personalschlüssel vorsieht und frühestens 2026 wieder auf den Prüfstand soll. „Pädagogisch ist es auch richtig, auf Fachpersonal zu setzen, in der Praxis ist es über das ganze Kita-Jahr aber nicht leistbar.“ Der Unmut der Eltern ist „massiv und sie lassen es an uns Trägern aus“.
- Die WAZ Duisburg informiert Sie auch hier: zum WhatsApp-Kanal +++ bei Instagram folgen +++ jetzt Duisburg-Newsletter ins E-Mail-Postfach schicken lassen +++ WAZ Duisburg bei Facebook abonnieren +++
Notbetreuung in Kitas: Personalmangel wächst perspektivisch
Das Personal werde absehbar noch knapper, weil durch den Rechtsanspruch auf einen Offenen Ganztagsplatz an Grundschulen weitere Einrichtungen um Erzieher ringen werden, prognostiziert Fischell.
Als Träger kann er nur durch eigene Ausbildung gegensteuern, „einen anderen Hebel habe ich nicht“, sagt der Geschäftsführer. Die Ausbildungsquote beim Evangelischen Bildungswerk liege bei zehn Prozent. Sie wird nicht komplett refinanziert, „für uns ist das aber eine gute Investition“.
Auch interessant
Die von vielen Eltern gewünschte 45-Stunden-Betreuung ist für die Träger finanziell attraktiv, bedeutet aber auch ein Zwei-Schicht-System mit entsprechendem Personalaufwand, der alternative 35-Stunden-Block ist ohne Schichten zu stemmen. Die vor Corona noch angestrengte Diskussion, von 6 bis 18 Uhr Betreuung zu gewährleisten, um beispielsweise Pflegekräften entgegenzukommen, hält er „mittlerweile für völlig illusorisch“.
Arbeitsverdichtung in Kitas durch fehlendes Personal bedroht die verbliebenen Kräfte
Schon eine Liberalisierung des Personal-Mixes würde ihm helfen. Dabei denkt er nicht an die in der Politik genannte Anerkennung von Museumspädagogen, die sich nur in Einzelfällen bewerben würden. Solche Lösungsansätze sind ihm zu kleinteilig, es müsse mehr Qualifizierung möglich sein. Grundsätzlich könnten größere Einrichtungen Personalengpässe besser abfedern als ein- oder zweigruppige Kindergärten. „Aber durch die Arbeitsverdichtung kippen die Mitarbeiterinnen dann auch um“, beschreibt Fischell eine bittere Logik.
Er fordert eine offene Debatte, was Kitas qualitativ und quantitativ leisten können. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass immer mehr Kinder mit erhöhtem Förderbedarf aufgenommen werden.
Ohne Kibiz-Reform weiter mit Notgruppen arbeiten
Die Forderungen von Fischell können Ursula Roosen vom Katholischen Zweckverband und Dirk Tänzler vom Paritätischen als Sprecher der AG der Wohlfahrtsverbände unterschreiben.
Da das Kibiz-Gesetz erst 2026 in Revision geht, „werden wir wohl weiter mit Notgruppen zu tun haben“, sagt Roosen. In den 27 Kitas in katholischer Trägerschaft seien aktuell fast alle Stellen besetzt, sagt die Bereichsleiterin erleichtert. Dabei handele es sich aber lediglich um die geforderte Mindestbesetzung, „sie führt automatisch dazu, dass die Kitas latent unterbesetzt sind“. Von ihren 400 Mitarbeitenden sind 35 Azubis. Infekte haben in diesem Winter auch ihre Teams immer wieder reduziert. Deshalb fordert sie bessere Rahmenbedingungen, „um die Lücken schließen zu können“.
Auch interessant
Tänzler betont, dass Betreuung verlässlich sichergestellt werden müsse, „wenn man will, dass Menschen neben der Familienarbeit beruflich tätig sind“. Solange das nicht gewährleistet ist, gebe es weiter vor allem Frauen in Teilzeit, die in ihrer Rente später in Not geraten. „Das muss man zusammen denken, da müssen die Landespolitiker ran!“, fordert er mit Blick auf die Duisburger Abgeordneten.
Zahl der Notbetreuungstage seit Corona „deutlich gestiegen“
Er ist selbst Vater und froh, beruflich meist flexibel reagieren zu können, wenn die Kita von einer Grippewelle heimgesucht wird. „Die Aldi-Kassiererin und der Krankenpfleger können das aber nicht, bei ihnen ist die Not noch mal größer als bei uns.“ Insgesamt sei die Zahl der Notbetreuungstage seit Corona deutlich gestiegen. Neben der Betreuung müsse aber auch sichergestellt werden, dass es qualitativ hochwertige Angebote gibt, gerade im vorschulischen Bereich.
Kita leiste Bildungsarbeit und brauche Profis, die angemessen bezahlt werden müssten. Im Vergleich zu anderen sozialen Berufen sieht er da noch Luft nach oben. Auch Roosen betont, dass es beim Kita-Personal vor allem um Qualität gehen müsse, „die Eltern vertrauen uns ihr Wertvollstes an, das soll nicht nur verwahrt werden“. Wie viel Druck im System ist, zeige etwa, dass sich am Niederrhein Träger aus der Ausbildung zurückziehen, weil sie es sich nicht mehr leisten können.
Eine Patentlösung haben die beiden auch nicht. Tänzler plädiert aber dafür, einen breiten Prozess anzustrengen, in den die Praktiker eingebunden sind. „Das System steht vor dem Kollaps.“