Duisburg. Nach der Stilllegung der Arztrufzentrale NRW suchen die KVen neues Personal. Warum Post der Liquidatoren freigestellte Beschäftigte verärgert.
Wie geht es weiter mit den zuletzt 155 Beschäftigten der Arztrufzentrale NRW (ARZ)? Nach der viel kritisierten Blitz-Freistellung im Hoist-Haus am 7. März hatten die von den Kassenärztlichen Vereinigungen beauftragten Liquidatoren den Angestellten bis Ende März Zeit gegeben, Angebote zur Aufhebung ihrer Verträge zu unterschreiben. Diese vom Betriebsrat als „Lockangebote“ kritisierten Abfindungen habe „nur eine kleine Minderheit“ der Betroffenen unterzeichnet, berichten Mitarbeitende. Was sie aktuell neben den Vorwürfen gegen ihre frühere Projektleiterin (wir berichteten) umtreibt: Die Liquidatoren bitten sie um Angebote – während die KVen sogar passende Stellen ausschreiben.
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Die widerruflich unter Fortzahlung ihrer Vergütung freigestellten Beschäftigten haben einen Serienbrief der Liquidatoren erhalten. Nina Hammes und Dr. Steffen Römheld schreiben darin, sie seien bereit, für eine Vertragsauflösung sogar mehr zu zahlen als ursprünglich angeboten. Die Mitarbeitenden sollen ihnen dafür nun selbst Trennungsdeals unterbreiten, appellieren die Juristen.
Berichte über die Stilllegung der Arztrufzentrale NRW in Duisburg:
- 1161117 und Sitel: Brisante Begünstigungen in Führungskrise?
- Arztrufzentrale NRW: So sollen die KVen Mitarbeitern helfen
- 116117-Callcenter: Laumann-Ministerium prüft Rechtsverstöße
- KV begründet Callcenter-Aus mit diesen Defiziten
- Notdienst-Callcenter: „Lockangebote“ und Auftrag an Sitel
- Callcenter-Aus: DGB kritisiert Kassenärztliche Vereinigungen
- 116117: Arztrufzentrale NRW sperrt Team aus – „unmenschlich“
Arztrufzentrale: Mitarbeiter sollen Angebote zur Auflösung ihrer Verträge machen
In dem Brief heißt es: „Sollten Sie die Auflösung Ihres Arbeitsverhältnisses wünschen, mit dem Aufhebungsvertrag in der Ihnen nun vorliegenden Form jedoch inhaltlich/wirtschaftlich nicht einverstanden sein und eigene Vorstellungen haben, steht es Ihnen allerdings natürlich frei, uns ein Angebot, das Ihren Vorstellungen entspricht, in Form eines eigenen Aufhebungsvertrages zu unterbreiten.“ Es folgt das Versprechen: „Dieses Angebot Ihrerseits werden wir dann wohlwollend prüfen.“
Dass die von den ARZ-Gesellschaftern KV Nordrhein (KVNo) und KV Westfalen-Lippe (KVWL) beauftragten Liquidatoren nicht selbst Angebote machen, hat juristische Gründe. Der Betriebsrat hat mit Verweis auf Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz beim Arbeitsgericht Duisburg eine einstweilige Verfügung beantragt. Mit Erfolg. Das Gericht habe entschieden, „dass es dem Arbeitgeber unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt ist, den Beschäftigten Aufhebungsverträge zu unterbreiten“, erklärt der Vorsitzende des ARZ-Betriebsrats, Guido Geduldig. Erst müsse der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich verhandeln.
Die „Lockangebote der KVen“ hätten „nur das Ziel, die Sache in möglichst vielen Fällen so schnell wie möglich abzuhaken“, kritisiert Geduldig: „Wer einen Aufhebungsvertrag unterschreibt, kann keine weiteren Ansprüche geltend machen und auch nicht mehr klagen.“
Hammes und Römheld schreiben, es sei weiterhin ihr Ziel, „zeitnah mit dem Betriebsrat in Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan einzutreten“. Der Betriebsrat habe jedoch Terminvorschläge nicht angenommen und sorge „für einen Stillstand“. Geduldig dagegen verweist für das Gremium darauf, es fehlten bei den Gesellschaftern angeforderte Unterlagen.
Beigelegte Stellenanzeigen empören Beschäftigte
Viele Beschäftigte der ARZ haben wegen ihrer langjährigen Betriebszugehörigkeit eine sechsmonatige Kündigungsfrist.
Was die meisten der überwiegend in medizinischen Berufen ausgebildeten Disponentinnen und Disponenten, Telefonistinnen und Telefonisten am Brief der Liquidatoren verärgert: Es waren Stellenanzeigen beigelegt, mit denen die Targobank und die Sanvartis GmbH Personal für ihre Duisburger Callcenter suchen.
„Das empfinden viele Kolleginnen und Kollegen wie Hohn und Spott, da dort viel weniger gezahlt wird“, sagt Geduldig. Eine der Adressatinnen empört sich: „Von den Löhnen dort können Familien und Alleinerziehende nicht leben.“ Eine andere ergänzt: „Und warum sollte in diesen Callcentern überhaupt gut ausgebildetes medizinisches Personal eingesetzt werden?“
KV Nordrhein sucht Disponenten für Köln
Exakt zum Profil der früheren ARZ-Disponenten passen dagegen die Stellenausschreibungen, mit denen die inzwischen getrennt operierenden KVWL und KVNo zurzeit Mitarbeiter für ihre eigenen neuen Telefon-Teams suchen.
Für den Standort Köln benötigt die KVNo Mitarbeiter für die „Disposition im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst im Tag-/Abend-/Nacht-Wochenenddienst (w/m/d)“. Die Angestellten sollen laut Ausschreibung Einsätze des Bereitschaftsdienstes bearbeiten und priorisieren und „situativ“ die „Hotline 116117“ entlasten sowie „systemgestützt medizinische Einschätzungen (nach entsprechender Schulung)“ geben. Was Bewerber mitbringen sollten: „Sie weisen idealerweise praktische Erfahrung im Gesundheitswesen vor und haben Berufserfahrung in einem Contact-Center mit einer höheren Kontaktfrequenz.“
Die Anrufe unter 116117 lässt die KVNo zwar seit dem 7. März größtenteils vom Callcenter-Riesen Foundever annehmen, für die weitere Bearbeitung aber setzt sie eigenes Personal ein. „Die suchen also genau die Leute, die sie in Duisburg entlassen“, sagt dazu ARZ-Betriebsrat Geduldig. „Vermutlich werden sie denen aber weniger bezahlen.“
Bei der ARZ waren die Beschäftigten unter anderem wegen ihrer Ausbildungen in medizinischen Berufen und wegen ihrer besonderen Verantwortung für Patienten nach einem Haustarifvertrag bezahlt worden, der an den öffentlichen Dienst angelehnt ist. Sie verdienten deutlich mehr als ungelerntes Callcenter-Personal.
Notfalls eine Transfergesellschaft
Aus der ARZ-Belegschaft heißt es, es habe aus dem Kreis der freigestellten Beschäftigten bereits erfolglose Bewerbungen bei der KVNo gegeben. Möglicherweise seien einige oder alle Beschäftigten der Arztrufzentrale bei der Kassenärztlichen Vereinigung unerwünscht. Von „schwarzen Listen“ ist die Rede.
Die KVen selbst hatten nach der Stilllegung angekündigt, keine ARZ-Beschäftigten übernehmen zu wollen. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erwartet von den beiden Vorsitzenden, dass sie sich für gute berufliche Perspektiven einsetzen und notfalls eine Transfergesellschaft gründen.
>> BETRIEBSÜBERGANG ODER STILLLEGUNG?
- Vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) beauftragte Arbeitsrechtsexperten sollen bei der aufsichtsrechtlichen Prüfung auch untersuchen, ob bei der ARZ-Stilllegung Kriterien eines Betriebsübergangs erfüllt sind.
- In Abgrenzung zur Stilllegung setzt ein Betriebsübergang etwa voraus, dass keine wesentliche zeitliche Unterbrechung der „Betriebsfortführung“ vorliegt. Im Falle eines Betriebsübergangs hätten die Angestellten einen Beschäftigungsanspruch.