Duisburg-Ruhrort. Die Duisburgerin Jutta Stolle begann ihre Karriere bei Haniel als Azubi und geht als Direktorin. Das Arbeitsleben war für sie nicht immer leicht.
So eine Karriere wie die von Jutta Stolle ist selten geworden: Die Duisburgerin hat 1978 als Auszubildende zur Speditionskauffrau bei der Firma Haniel begonnen, schon früh Verantwortung übertragen bekommen und ist über die Jahre zur Direktorin aufgestiegen. Am Dienstag hat die 63-Jährige nach 45 Jahren am Dienstag ihren letzten Arbeitstag. Sie geht mit „einem lachenden und einem weinenden Auge“ – und wird wohl noch das eine oder andere Mal zum Haniel-Campus in Duisburg-Ruhrort zurückkehren.
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Dabei hatte sie ihr Berufsleben ganz anders geplant: Eigentlich hatte Jutta Stolle vor, nach dem Abi Mathe zu studieren. Den Leistungskurs hatte sie mit einer glatten Eins absolviert, also schrieb sie sich an der Uni für Mathe ein – und zog nach ein paar Wochen die Reißleine. „Das, was an der Uni gelehrt wurde, hatte nix mit dem Mathe von der Schule zu tun. Außerdem liefen da überwiegend verpeilte Leute herum“, erinnert sie sich. Ihr Plan B: Sie bewarb sich bei Thyssen, Klöckner und Haniel. Die Chancen standen gut, damals wurden Arbeitskräfte gesucht. Ein Skatbruder ihres Vaters gab ihr dann den Tipp: „Haniel ist ein guter Laden, geh da hin.“
Duisburger Mischkonzern wurde in den 1970er und 1980er Jahren von Männern geprägt
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Der Mischkonzern war damals freilich ganz anders aufgestellt als heute. In Ruhrort stand das Stammhaus, im Hafenstadtteil arbeiteten rund 300 Personen. Haniel stand für Kohlehandel, Schiffe und Heizöl. Dort, wo heutzutage das Centro in Oberhausen angesiedelt ist, stand noch die Gutehoffnungshütte, ebenfalls eine alte Haniel-Beteiligung. Sie begann die Lehre zur Speditionskauffrau. „Ich bin als Auszubildende schnell in einen Arbeitskreis berufen worden. Der hieß ,Perfektion’ und es wurde eine Strategie für ,Haniel 2000’ entwickelt. Es sollten neue Geschäftsideen identifiziert werden. Meine Aufgabe war es, den frischen Blick von außen auf die Dinge zu werfen“, erinnert sich Jutta Stolle.
In den 1980er Jahren nahm sie am Haniel-Führungskräfte-Nachwuchsprogramm teil und bekam weitere Projekte und Prokura übertragen Sie übernahm die Verkaufsleitung und Niederlassungsleite der „S+I Schlammentwässerung’. Das gefiel nicht jedem in dem männerdominierten Unternehmen. „Es war eine Macho-Welt. Das war heftig. Die meisten hatten wohl alles mögliche im Sinn, aber nicht, dass sie mit mir auf Augenhöhe zusammenarbeiten.“ Das eine oder andere Mal sei sie abends ziemlich fertig mit den Nerven gewesen, gesteht sie nun Jahrzehnte später. Im Betrieb ließ sie sich freilich nichts anmerken und verschaffte sich Respekt, indem sie sich in die Materie einarbeitete. Sie war in der Umweltsparte eingesetzt und fuhr mit den Kollegen zu den Baustellen raus, um beispielsweise selbst Abwasserproben zu ziehen oder Schlauchpumpen zu wechseln. Irgendwann war sie dann nicht mehr nur „die Blondine“, sondern wurde Ernst genommen.
In den vergangenen Jahrzehnten bekleidete Jutta Stolle zahlreiche Positionen im Unternehmen – und verwarf deshalb die Pläne, doch noch einmal an die Uni zurück zu kehren. Auch an Wechsel zur Konkurrenz dachte sie nie. Gekündigt hätte sie beinahe aber sehr wohl einmal. In den 1990er Jahren ging sie für ein Joint Venture in die USA, um dort Strukturen aufzubauen. Als alles soweit vorbereitet war, flog ein Mitarbeiter aus Deutschland ein, der dort Chef werden sollte. „Da habe ich meine Koffer gepackt, bin nach Ruhrort zur Personalabteilung gegangen und wollte meine Papiere holen.“ Der Überzeugungskraft des Personalers war es zu verdanken, dass sie doch nicht ging. In den 1990er Jahren baute sie die Abteilung „Corporate Communications“ auf und leitete die Sparte, inklusive Verantwortung für Sonderprojekte.
Jutta Stolle war für die Organisation der Vierfach-Feier zum 250. Geburtstag verantwortlich
Eines der größten war sicherlich die Organisation des 250. Haniel-Geburtstags 2006. Früher, in der Umweltsparte, hatte es in einem Partykeller von Haniel legendäre Altweiber-Feten gegeben. Und auch über die Feierlichkeiten zum 250. sprachen Kollegen, Geschäftspartner und Ruhrorter noch Jahre später. Die Familie wollte eine Vierfach-Party. Einmal ein Fest für Haniel-Familienangehörige, mit Geschäftspartnern wurde im Landschaftspark das Jubiläum zelebriert, mit den Mitarbeitern wurde gefeiert und für die Duisburger gab’s eine Fete auf der Mühlenweide. Barbara Schöneberger moderierte diese Sause. Der Eintritt wurde für die Hafenkids verwendet. „Es war ein sehr emotionales Wochenende, denn kurz vorher war Klaus Haniel gestorben. Seine Frau rief mich an und trug mir auf: ,Frau Stolle, Sie ziehen das durch. Mein Mann hat sich dieses Fest so gewünscht.’“ Später rief Franz-M. Haniel Jutta Stolle und zwei weitere Organisatorinnen auf die Bühne, bedankte sich überschwängliche und kürte das Trio zu den „drei Engeln für Haniel.“
Nicht nur bei Haniel spielte Jutta Stolle eine wichtige Rolle: Als 2000 die Drachenboot-Fun-Regatta gegründet wurde, organisierte sie mit dem Haniel-Team „Innenhafen“ und Werner von Häfen. Seit 2006 vertritt sie Haniel im Kuratorium der Wilhelm-Lehmbruck-Stiftung. 2010, nach dem Unglück der Loveparade, initiierte sie mit Gabriela Grillo einen Kreis, der helfen sollte, das Thema zu bewältigen. In der Folge entsteht die Stiftung, die sich mit der Stadt um die Hinterbliebenen und Betroffenen kümmert. Jutta Stolle sitzt auch dort im Kuratorium.
Im Rahmen der Neuausrichtung der Haniel-Aktivitäten als Bekenntnis zu Duisburg, findet 2013 das erste Haniel-Klassik-Open-Air statt. Zwei Jahre später hilft sie mit, dass auf dem Haniel-Campus Start-Ups angesiedelt werden – die Idee brachte sie von einem Ausflug nach Berlin mit. „Heute ist die Impact Factory der erfolgreichste Inkubator für nachhaltige Geschäftsmodelle in Deutschland“, sagt sie nicht ohne Stolz.
Die wohl weitreichendste Haniel-Idee für Ruhrort heißt „Urban Zero“. Der Konzern hat für sich den Begriff „enkelfähig“ geprägt. Das heißt, sämtliche Geschäftsbereiche und neu entwickelten Produkte sollen nachhaltig sein. Haniel, die Stadt und zahlreiche Partner sammeln nun zudem Ideen, wie Ruhrort bis 2029 umweltneutral werden soll. Demnächst soll ein Projektbüro in Ruhrort eröffnen.
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Als Ruheständlerin möchte Jutta Stolle künftig mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen. Dennoch wird es kein kompletter Abschied von ihrem Arbeitgeber. Bereits am Donnerstag ist sie wieder zu Gast – ihre Aufgaben in verschiedenen Kuratorien und Aufsichtsräten wird sie erst einmal behalten.