Duisburg. Mit ihren Attacken haben Jugendliche an Silvester Schlagzeilen gemacht. Was Respekt-Coaches tun, damit es nicht zum Eier werfen kommt.

Sie wollen Jugendliche bei der Persönlichkeitsentwicklung unterstützen, das Wissen junger Menschen über die Demokratie mehren, sie vor Radikalisierung und Silvester-Krawallen schützen: Das Arbeitsfeld der beiden Duisburger Respekt-Coaches Sümeyya Uludogan und Rascha Abou-Soueid ist kein kleines.

An der Grillo-Gesamtschule in Marxloh und an der Theodor-König-Gesamtschule in Beeck bieten sie teils selbst, teils mit Honorarkräften Gruppenarbeit an, Workshops, auch ganzjährige Arbeitsgemeinschaften. Dort können in intensiven Diskussionen über unterschiedliche Lebensweisen Vorurteile abgebaut werden.

Respekt-Coaches: „Das Gemeinschaftsgefühl in dieser Generation ist groß“

Die beiden Respekt-Coaches wollen mittendrin sein, „nur so bekommen wir ein Gefühl für unsere Zielgruppe, für das, was sie brauchen“, erklärt Abou-Soueid. Und da sie keine Lehrerinnen sind, keine Noten geben, auf Augenhöhe ins Gespräch gehen, sich duzen lassen, ist viel Raum für Beziehungsarbeit.

Ihre Zielgruppe sind alle Kinder dieser Schulen, die Zuwanderungsgeschichten Einzelner spielen keine Rolle: „Sie sind zusammen aufgewachsen, sehen sich als Deutsche“, erklären die beiden Expertinnen. „Das Gemeinschaftsgefühl in dieser Generation ist groß, keiner nimmt sich als Minderheit wahr.“

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Die Regelmäßigkeit in der Gruppe ist für ihre Arbeit sinnvoll, „Raum und Zeit sind ganz wichtig“, sagt Abou-Soueid. „Die Jugendlichen spüren nach und nach, dass wir nicht verurteilen, dass sie konsequenzfrei Meinungen äußern, sich ausprobieren können.“

Sümeyya Uludogan (links) und Rascha Abou-Soueid arbeiten als Respekt-Coaches im Auftrag des Bundesfamilienministeriums.
Sümeyya Uludogan (links) und Rascha Abou-Soueid arbeiten als Respekt-Coaches im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Auch Worte können wehtun

Aktuell läuft in einem schulübergreifenden Projekt das einjährige Großthema Antiziganismus, auch hier geht es um Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Dazu braucht es geschichtliches Verständnis, etwa über die Verfolgung der Sinti und Roma.

Eine Reise führte die Gruppe im Dezember zur Gedenkstätte Buchenwald. Dass den Jugendlichen übel aufstieß, dass die Führer „das Z-Wort aussprachen“, um es im historischen Kontext zu verdeutlichen, werten Abou-Soueid und Uludogan als Erfolg. Dass auch Worte wehtun können, hatten sie zuvor ausführlich erarbeitet.

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„Wir sind nicht die Feuerwehr, wir sind präventiv tätig

Schülerinnen und Schüler lernen mit den Respekt-Coaches auch, Grenzen zu spüren, Nein zu sagen, mit Wut oder Frust umzugehen. „Wir sind nicht die Feuerwehr, wir sind präventiv tätig“, betont Uludogan.

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Während der Corona-Pandemie waren sie es zwischenzeitlich dennoch: „Manche Schüler zeigten auffälliges Verhalten nach den Lockdowns, sie hatten den Umgang mit anderen Menschen verlernt“, sagt Abou-Soueid. Also reagierten die Respekt-Coaches, gingen auf den akuten Redebedarf ein und ebneten manchen Kindern den Weg zurück an die Schule. „In manchen Klassen fehlte 2022 deutschlandweit ein Drittel der Schüler, das hat sich inzwischen gelegt.“

Manch ein 16-Jähriger redet seither aber wie ein 60-Jähriger: „Sie haben Angst, wegen Corona etwas verpasst zu haben, und sind enorm unter Druck. Den wollen wir ihnen nehmen“, sagt Uludogan. Immer mehr Jugendliche hätten Angst, zu versagen. Für die beiden Frauen ist das nicht überraschend: In den sozialen Medien werde immer nur der Erfolg gezeigt, dadurch hätten viele einen defizitären Blick auf sich selbst. „Wir machen ihnen klar, dass es kaum eine Karriere ohne Brüche gibt, dass auch wir mal schlechte Noten hatten“, erklärt Abou-Soueid das Leben hinter den Hochglanzbildern. Umgekehrt brauche es lange, bis die Kinder ein Lob annehmen können. „Viele erleben nur wenig positive Wertschätzung“, bedauert sie.

Silvester-Debatte: Mit Wut und Frust anders umgehen

Was sagen ihre Schüler zu der Silvester-Debatte über die „Paschas“, wie CDU-Chef Friedrich Merz kürzlich Kinder aus Zuwandererfamilien nannte? „Sie gucken kein Fernsehen, ihre Quellen sind TikTok und Instagram, daher kommen manche Themen gar nicht bei ihnen an“, sagt Abou-Soueid. Medienkompetenz, die Sensibilität gegenüber Falschmeldungen, Quellenvielfalt sind wichtige Aspekte ihrer Arbeit. Die beiden Sozialarbeiterinnen ärgert, dass manche Politiker nach den Silvesterkrawallen Urteile fällten, bevor die Analysen da waren.

In Duisburg entlud sich jugendlicher Unmut darin, dass Eier gegen Straßenbahnen geworfen wurden. „Wir trainieren unsere Kinder darin, anders mit Wut oder Frustration umzugehen“, erklären sie. Natürlich können sie nicht überall sein, das Projekt setzt daher auf den Schneeballeffekt innerhalb der Communities. Gegen die von manchen Politikern unterstellte Ablehnung der demokratischen Grundordnung von jungen Menschen in sozialen Brennpunkten spreche im Übrigen, dass von ihren Duisburger Schülern „fast ein Drittel später mal Polizist werden will“.

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„Wir sprechen über Bürgerrechtsbewegungen, über Chancen zur Teilhabe, die von ihrem Leben weit weg sind“, so die Expertinnen. Die „Stimme der Jugend“ müsse gehört werden, an vielen Schulen seien aber schon länger keine Politiker mehr gewesen. Dabei wäre wohl auch das ein Zeichen von Respekt.

>> JUGENDMIGRATIONSDIENST DER AWO

  • Der Jugendmigrationsdienst der Awo hat Standorte in Hochfeld, Hamborn und Marxloh. Angeboten werden Gruppen, in denen Sprachkompetenz oder Bewerbungen trainiert werden.
  • Die Respekt-Coaches sind Teil dieses Angebots, werden aber vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Kinder und Jugend finanziert und von anderen Verbänden unterstützt.
  • Bundesweit gibt es über 270 Standorte, an denen Respekt Coaches aktiv sind. Ihre Schwerpunkte sind so unterschiedlich wie die Menschen dahinter: Es sind aus beruflicher Sicht Islamwissenschaftler, Sozialarbeiter oder Absolventen von Gender Studys, aber auch die Persönlichkeit und Geschichte spiele eine Rolle, erklärt Rascha Abou-Soueid.
  • Seit dem Projektstart 2018 werden die Fördermittel jährlich freigegeben. Im letzten Herbst waren sie sogar schon gestrichen, kamen dann doch noch, wenn auch reduziert. Als Fachkräfte wissen die Coaches um ihren Wert und wollen sich nicht ärgern, „wir fokussieren uns auf die Schüler!“