Duisburg. Über 25.000 Sinti wurden ins KZ Auschwitz verschleppt. Wie die Duisburger Sinti-Familie Rosenberg versuchte, sich gegen den Rassenwahn zu wehren.

Wenn von den Gräueltaten der Nazis zwischen 1933 und 1945 die Rede ist, geht es meist um den Völkermord an den den Juden oder um die politischen Gegner der Führerpartei NSDAP. Dabei haben sie auch versucht, eine ganz kleine Minderheit auszulöschen, die es in Duisburg auf kaum mehr als 100 Personen gebracht hat (gegenüber rund 3000 Juden): die Sinti. Wie eine betroffene Familie versucht hat, sich dagegen zu wehren, hat Ricarda Reischl (28) im NRW-Landesarchiv am Innenhafen erläutert.

[Sie wollen keine Nachrichten aus Duisburg verpassen? Dann können Sie hier unseren abendlichen und kostenlosen Newsletter abonnieren]

Es geht um das Schicksal ihres Ururgroßvaters Bernhard Rosenberg (1895 bis 1981) und seiner Familie. Reischl hat darüber ihre Bachelor-Arbeit im Fach Geschichte geschrieben. Sie will Lehrerin werden. Ihr Vortrag war der letzte in der Reihe zur Ausstellung über die Kripo an Rhein und Ruhr zwischen 1920 und 1950, die bis Ende Januar verlängert ist.

Musikalisch begleitet wurde der Vortrag vom Carlo-Rosenberg-Trio im swingenden Stil von Django Reinhardt. Carlo Rosenberg (73) ist ein Enkel von Bernhard Rosenberg.

Fahrende Musikanten wurden in Kaßlerfeld sesshaft

Die Rosenbergs waren vor dem Ersten Weltkrieg fahrende Musikanten, die bei Volksfesten ihre Auftritte hatten. Seit Anfang der 1920er Jahre blieben sie in Duisburg, wohnten in ihren Wohnwagen am Weidenweg in Kaßlerfeld. Ein weiterer Sinti-Wohnplatz war die Koloniestraße in Neudorf. Zwar war die Musik weiterhin ihre Leidenschaft. Aber Bernhard Rosenberg und sein Bruder Stephan (1897 bis 1944) verdienten ihren Lebensunterhalt als Bahn- beziehungsweise Bauarbeiter. In der großen Familie – die Brüder hatten sechs Geschwister – nahm er als eine Art Richter bei internen Streitigkeiten eine ehrenvolle Position ein.

Auch interessant

Schon zu Zeiten des preußischen Innenministers Albert Grzesinski (SPD) wurden die damals nicht sesshaften „Zigeuner“, wie man die Sinti abschätzig nannte, ab 1927 polizeilich erfasst. Damals wurde der Standpunkt vertreten, sie seien aus sich heraus kriminell. Die Nazis verfolgten ab 1933 zunächst das Ziel, alle Angehörigen der Volksgruppe auszuweisen. Dazu mussten sie aber erfasst werden. Marta Rosenberg (1900 bis 1971), die Frau von Bernhard, füllte den entsprechenden Fragebogen Ende der 30er Jahre aber so aus, dass er der Polizei kaum Aufschluss über ihre Verwandten gab.

Baracken an der Wrangelstraße in Duisburg-Kaßlerfeld, in denen sowohl Sinti-Familien als auch Familien aus der Mehrheitsgesellschaft lebten (Januar 1937). Das Foto ist im Besitz des Stadtarchivs Duisburg und stammt aus dem Nachlass von Hermann Hill.
Baracken an der Wrangelstraße in Duisburg-Kaßlerfeld, in denen sowohl Sinti-Familien als auch Familien aus der Mehrheitsgesellschaft lebten (Januar 1937). Das Foto ist im Besitz des Stadtarchivs Duisburg und stammt aus dem Nachlass von Hermann Hill. © Stadtarchiv | Stadtarchiv Duisburg

1940 ins besetzte Polen ausgewiesen

Im Mai 1940 wurden die Eheleute mit ihren neun Kindern in das inzwischen von Deutschland besetzte Polen ausgewiesen. Ebenso die beiden Töchter von Stephan Rosenberg, Hertha (geboren 1921) und Maria (geboren 1924). In insgesamt fünf Eingaben versuchte der Vater, seine Töchter entweder besuchen, zu ihnen ziehen oder sie zurückholen zu dürfen. Sie wurden abgelehnt. Dabei war Maria Ende 1942 schwer erkrankt. Im August 1943 durfte er dann nach Polen reisen. Ob er sie getroffen hat, ist nicht bekannt.

Auch interessant

Die beiden jungen Frauen haben die Nazizeit überlebt. Hertha musste 1941 in Oberschlesien drei Wochen ins Polizeigefängnis, weil sie verbotenerweise über die Grenze nach Deutschland geflüchtet war. Sie hatte in Polen unter Kälte und Hunger gelitten. Im Januar 1942 wurde sie ins Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg gebracht, ein Frauen-KZ. Ihre Schwester forderte nach dem Krieg vergeblich die Rückgabe von rund 1400 Mark, die der Familie bei ihrer Gefangennahme weggenommen wurden.

Tödliche Einstufung: „Zigeunermischling“

Von Ende 1942 an planten die Nazis gezielt, die Sinti im KZ Auschwitz in Polen zu vernichten. Stephan Rosenberg, seine Frau Genovefa und die Kinder Josefine (geboren 1929) und Karl (geboren 1931) wurden im Dezember 1943 nach dort verschleppt, wo sie starben. Sie galten als „Zigeunermischlinge“. Deren weitere Vermehrung und Vermischung mit Nicht-Sinti wollten die Nazis in ihrem Rassenwahn unbedingt ausschließen. Vergeblich hatte der Vater noch versucht, die (tödliche) Einstufung seiner Kinder zu verhindern.

Auch interessant

Ein weiterer Bruder von Bernhard Rosenberg, Hugo Hanstein, wurde ebenfalls mit Frau und fünf Kindern 1940 nach Polen ausgewiesen. Er selbst wurde in einem Ghetto dort erschossen. Zwei seiner Kinder starben in Auschwitz. Die anderen kehrten 1944 nach Duisburg zurück.

14-jähriges Mädchen erschossen

Auch Bernhard Rosenberg, seine Frau Marta und sieben der acht Kinder überlebten die Nazizeit. Nur Tochter Ramona (14) nicht. Sie hatte sich heimlich aus einem Arbeitslager bei Lublin in Polen geschlichen, wurde entdeckt und erschossen.

Das Leid der überlebenden Sinti in der Nazizeit, die Vertreibung, Inhaftierung, Zwangsarbeit, schlechte Ernährung, der Verlust naher Angehöriger, wurde nach 1945 nur gering entschädigt. Ricarda Reischl erinnert sich aus den studierten Akten in einem Fall an eine Zahlung von 1500 Mark, das entsprach 1955 drei mittleren Monatsgehältern.

Auch interessant

>> 143 SINTI AUS DUISBURG NACH AUSCHWITZ VERSCHLEPPT

  • Die Volksgruppe der Sinti stammt ursprünglich aus dem heutigen Pakistan. Sie weist dort eine über 5000 Jahre alte Geschichte auf. Viele Angehörige flüchteten vor kriegerischen Auseinandersetzungen in Richtung Westen. In Mitteleuropa gibt es sie seit dem frühen 15. Jahrhundert.
  • Im Laufe der Jahrhunderte haben sie hier zeitweise die Gunst der Herrschenden genossen, standen ähnlich wie die Juden unter Schutz. Dann wieder galten sie als Verräter der Christenheit oder als Überträger der Pest. Im 19. Jahrhundert hatten die einheimischen Sinti in Deutschland alle das jeweilige Staatsbürgerrecht. Repressiv ging man gegen Roma vor, die aus Österreich-Ungarn zuwanderten.
  • Nach Auschwitz wurden über 25.000 Sinti verschleppt. Von 38 Personen der Familie Rosenberg, die nach Polen gebracht wurden, überlebten das zehn nicht.