Duisburg. Muslimische Gesamtschüler aus Duisburg haben das KZ Buchenwald besucht. Was sie tief beeindruckt hat und warum sie Marxloh jetzt mehr schätzen.
Vier Jahre lang haben sie sich auf diesen Ausflug vorbereitet. Trotzdem waren sie nicht darauf gefasst, was sie erleben, was sie fühlen würden. Und mit welchen Eindrücken und Gedanken sie in ihre Heimat Duisburg zurückkehren würden. Die Gedenkstättenfahrt zum früheren Konzentrationslager in Thüringen war für die zwölf Zehntklässler der Marxloher Herbert-Grillo-Gesamtschule die Abschlussfahrt ihrer langjährigen Antirassismus-AG. Die Fahrt hat die Jugendlichen tief beeindruckt, aber auch mit gegenwärtigem Rassismus konfrontiert, der sie das heimische Marxloh als kulturellen Schmelztiegel umso mehr schätzen lässt.
„Wir waren schockiert, wie organisiert die Nazis beim Holocaust waren. Dass man sich so viel Mühe gibt, Menschen zu ermorden“, sagt der 15-jährige Enes mit einigen Tagen Abstand beim Gespräch seiner Arbeitsgemeinschaft mit der Redaktion. Wie die anderen Marxloher Exkursionsteilnehmer ist er Moslem und hat Migrationshintergrund.
Der deutsche Völkermord an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs berührt seine Familiengeschichte und die seiner Klassenkameradinnen und -kameraden nicht. Ihre Großeltern oder Urgroßeltern waren weder Täter noch Opfer des Holocausts. Sie alle sind Duisburger und ihre Familien kommen aus der Türkei, Bulgarien, Tunesien, aus dem Kosovo und aus Mazedonien.
Dennoch haben sie ganz bewusst die Erinnerungskultur und insbesondere das Nazi-Regime als Schwerpunkt für ihre AG-Arbeit seit der siebten Klasse ausgewählt. „Es ist ganz wichtig, dass wir jetzt dahin gefahren sind“, sagt Furkan über die Gedenkstätte. Dort herrsche „eine ganz andere Atmosphäre“, die kein Geschichtsbuch vermitteln könne.
Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald schockiert muslimische Schüler aus Marxloh
Die Stimmung im verschneiten und nebelverhüllten Buchenwald war sehr bedrückend, erinnert sich Lehrer Huzeyfe Tok. „Im Krematorium, vor den Öfen, waren meine Schüler richtig leise und schockiert, dass dort Menschen verbrannt wurden.“ Nicht nur Leichen, sondern auch lebendige KZ-Häftlinge. Er kenne seine Schüler sonst als sehr aktiv, habe sie dort aber kaum wiedererkannt. Die Gedenkstätte habe sie „mundtot“ gemacht. „Es ist krass und traurig“, bestätigt die 16-jährige Zude, insbesondere wenn sie sich vorzustellen versucht, ihre eigene Familie sei so ermordet worden.
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Umso größer war der Gesprächsbedarf in der AG. Gesprochen haben sie über die Akribie, mit der die Nationalsozialisten im KZ Buchenwald gemordet haben. Auch dass sie in einem umgebauten Pferdestall Tausende sowjetische Kriegsgefangene per Genickschuss hingerichtet haben. Dass sie die verhungernden Häftlinge verhöhnt haben, indem die Nazis vor deren Augen in einem Gehege Tiere fütterten, hegten und pflegten.
Marxloher Schülergruppe trifft in Weimar auf Neonazis
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Doch auch der anschließende Besuch auf dem Weimarer Weihnachtsmarkt beschäftigt die Jugendlichen. Denn dort seien sie vielen abschätzigen Blicken und Kommentaren ausgesetzt gewesen. Nur weil sie teils eine dunklere Hautfarbe, braune Augen und schwarze Haare haben. Das kannten sie so aus Duisburg gar nicht. Dass sie als Gruppe auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs waren, „war für viele in Weimar ein Kulturschock“, erläutert Huzeyfe Tok. So wollten einige Einheimische etwa wissen, was das „bitte für eine Sippschaft“ sei. Außerdem trafen die Marxloher Gesamtschüler auch auf Neonazis mit szenetypischer Kleidung. Es blieb jedoch bei argwöhnischen, hasserfüllten Blicken, schildert der Lehrer und kann schon wieder darüber schmunzeln, denn die Neonazis „haben heimlich Döner gegessen“.
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Zurück in Marxloh sieht Huzeyfe Tok sein Ziel erreicht, dass er sich mit der Gedenkstättenfahrt für seine Zehntklässler erhofft hatte: „Aus einem Vorurteil kann ganz schnell Rassismus werden.“ Und die Folgen von Rassismus können verheerend sein. „Wir haben keine Vorurteile“, behauptet dagegen Enes und macht den Stadtteil, aber auch seine Schule dafür verantwortlich. Die Familien der Schüler kommen aus vielen Kulturen und lernen sich an der Diesterwegstraße gegenseitig kennen, freunden sich an. Selbst Vorurteile, die in Marxloh gegen Roma aus Bulgarien und Rumänien bestehen, werden laut Lehrer Tok an der Gesamtschule abgebaut. Weil sie Mitschüler sind und die Mütter Elternsprechtage pflichtbewusst wahrnehmen.
Jugendliche wollen ihren Kampf gegen Rassismus fortführen
Natürlich wissen die Jugendlichen der Antirassismus-AG, dass es auch im Duisburger Norden Rassismus gibt. Deswegen geht es ihnen nicht nur um Erinnerungskultur und die Nazi-Zeit, sie wollen auch etwas in der Gegenwart verändern. Das beste Rezept gegen Vorurteile, findet etwa Furkan, ist eine multikulturelle Gesellschaft wie in Marxloh, wo sich unterschiedliche Kulturen tagtäglich begegnen, Berührungsängste abbauen, kennenlernen und gegenseitig verstehen. Doch es brauche kein bloßes Nebeneinander, sagt Enes, sondern Integration. Das sieht auch sein Lehrer Huzeyfe Tok so und verweist auf die Herbert-Grillo-Gesamtschule als positives Beispiel.
Bevor er im Sommer die Arbeitsgemeinschaft auflöst, weil die Jugendlichen dann die Grillo-Schule verlassen werden, will er mit ihnen ihre Erlebnisse in Buchenwald auch für andere erlebbar machen, mit einem Podcast, einem Song oder einem Hörspiel. Einige Jugendlichen wollen außerdem an die Gedenkstätte zurückkehren und dann mehr Zeit mitbringen als bei ihrem Schulausflug.
>> Konrad-Adenauer-Stiftung förderte die Gedenkstättenfahrt
● Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Gedenkstättenfahrt ins ehemalige KZ Buchenwald finanziell gefördert.
● Die Fahrt hat die Herbert-Grillo-Gesamtschule zusammen mit der Theodor-König-Gesamtschule aus Beeck unternommen. Insgesamt nahmen gut 30 Schülerinnen und Schüler aus Duisburg daran teil.
● Wenn die Antirassismus-AG für die 10d am Schuljahresende ausläuft, soll im nächsten Schuljahr möglichst eine neue Arbeitsgemeinschaft mit Siebtklässlern ins Leben gerufen werden.