Duisburg. Schulen in Duisburg klagen über massiven Lehrermangel. An einer Grundschule in Marxloh zeigen sich dramatische Folgen für Schüler und Lehrer.
Der Lehrermangel an Dusiburger Schulen ist seit Jahren massiv. Besonders dramatisch ist die Lage an den Grundschulen, hier sind im aktuellen Schuljahr stadtweit 82 Stellen unbesetzt. Wie sich dies auf den Alltag der Lehrkräfte und Schüler auswirkt, zeigt ein Besuch an der Gemeinschaftsgrundschule Sandstraße (GGS) in Marxloh.
Die rund 20 Schüler der Affenklasse sitzen am Donnerstagmorgen konzentriert vor ihren Tablets – jeder hat ein Gerät vor sich. Auf dem Bildschirm ist der Räuber Hotzenplotz zu sehen, um ihn herum bauen sich weiße Felder auf, in welche die Grundschüler Begriffe schreiben können. Zwei Lehrerinnen helfen den Kindern, wenn sie nicht weiterkommen. So sollen die Grundschüler spielerisch die deutsche Sprache lernen, das funktioniere viel besser, als stures Vokabellernen, meint Schulleiter Klaus Hagge.
An Grundschule in Duisburg fallen jede Woche 224 Unterrichtsstunden weg
Rund fünfzig Prozent der neu eingeschulten Kinder an der GGS sprechen kein oder kaum deutsch, die Grundschule gilt als „Brennpunktschule“. Um den Kindern dennoch bestmöglich gerecht zu werden, sind zusätzliche Personalressourcen vorgesehen – eigentlich. Denn in einer Klasse mit zwanzig Kindern, von denen zehn kaum deutsch sprechen, reicht eine Lehrkraft nicht aus. „Ideal wäre eine Dreifachbesetzung“, meint Lehrerin Alexandra Pütz.
Die Realität sieht hingegen ganz anders aus: Dass die für die Grundschulen vorgesehenen Stellen seit Jahren nicht besetzt werden können, weil es „keine einzige Bewerbung gibt“, belastet Hagge sehr. So sind an seiner Grundschule 33 Vollzeitlehrkräfte eingeplant, die Stellen allerdings nur zu 75 Prozent besetzt. „Das sind acht Lehrer, die uns dauerhaft fehlen. Jede Woche kommen so 224 Stunden Unterricht zusammen, die wegfallen“, verdeutlicht der Schulleiter.
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Seit 25 Jahren arbeitet Hagge an der Marxloher Schule, seit sechs Jahren leitet er sie. Er liebt seinen Job, das wird im Gespräch sehr schnell deutlich. Und auch der starke Zusammenhalt in der gesamten Lehrerschaft ist zu spüren. Dennoch arbeiten hier alle am Limit und können die Kinder trotzdem nicht so fördern, wie es nötig wäre: Rund zwei Drittel der Kinder an der GGS brauchen für die ersten beiden Schuljahre ein Jahr länger.
Vorsitzende der GEW: „So kann es keine gute Bildung geben“
Auch Ayla Çelik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW, kennt die schlimme Situation an den Schulen: „Wir haben eine absolute Krisensituation. Die GGS in Duisburg steht exemplarisch dafür, dass die Bildungspolitik der letzten zehn bis 15 Jahre versagt hat. So kann es keine gute Bildung geben.“
Auch in den höheren Klassen hören die Probleme nicht auf. Hagge erklärt: „Nur zehn Prozent der Schüler hier bekommen eine Gymnasialempfehlung. Könnte ich mehr Lehrer einsetzen, würde es eindeutig mehr Gymnasialempfehlungen geben, da ich so mehr Fördergruppen einrichten könnte. Aber das ist einfach nicht möglich zurzeit.“
Zwar bleibe aktuell keine Schule in NRW vom Lehrermangel verschont, in Duisburg sei die Lage laut Çelik allerdings besonders dramatisch. Diese liegt ihrer Aussage nach unter anderem am schlechten Ruf der Stadt, weshalb viele Referendarinnen und Referendare lieber Stellen in anderen Städten annehmen.
GEW fordert zentrale Stellenvergabe für neue Lehrkräfte
Dagegen will die GEW vorgehen, sie setzt sich für eine zentrale Stellenvergabe ein. Ingo Weber, der die Elternschaft Duisburg bei der GEW vertritt, führt aus: „Brennpunktschulen wie die GGS werden von angehenden Lehrkräften gemieden, sodass der Lehrermangel dort besonders spürbar ist. Deshalb sollte die Stellenvergabe kein Wunschkonzert mehr sein – in anderen Berufen wie bei der Polizei werden die neuen Kollegen seit Jahren bestimmten Standorten zugewiesen.“
Dass den neuen Lehrkräften damit ein Stück Entscheidungsfreiheit genommen wird, sieht Weber nicht als Problem an. Diese Veränderung sei zwar erstmal schmerzhaft, aber auf Dauer nötig. „Und viele Menschen merken, dass Duisburg gar nicht so schlimm ist, wie sein Ruf,“ ergänzt er.
Diese Erfahrung machte auch eine Lehrerin, die seit 25 Jahren an der GGS arbeitet. Als Berufseinsteigerin sei man damals noch zugewiesen worden und habe weniger Entscheidungsfreiheit gehabt, als heute. „Als ich gehört habe, dass ich an eine Brennpunktschule in Marxloh komme, habe ich mir gedacht: ‚Ohje, das kann ja was werden.‘ Heute bin ich sehr froh, dass ich damals herverwiesen wurde“.
>>NRW-Schulministerin arbeitet an Maßnahmen
- In NRW fehlen derzeit Tausende Lehrerinnen und Lehrer. Zum Stand 1. Dezember 2022 waren 8047 der insgesamt 165.070 Lehrerstellen laut Schulministerium unbesetzt.
- NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hatte Maßnahmen vorgestellt, die den Lehrkräftemangel lindern sollen – und unter anderem mehr Seiteneinsteiger, Alltagshelfer, weniger Klassenarbeiten und rigorosere Abordnungen ins Spiel gebracht. Dafür würden aktuell rechtliche Verordnungen angepasst und Anweisungen für die Bezirksregierungen erarbeitet. Am Mittwoch erklärte sie, dass die Maßnahmen noch im Frühjahr umgesetzt werden sollten.