Duisburg. Was sagt die Schulaufsicht zu Problemen wie fehlenden Schulplätzen für Zuwandererkinder, Lehrermangel und Schulentwicklung? Ein Interview.
Sie sind der lange Arm der Bezirksregierung Düsseldorf: Die fünf Schulaufsichtsbeamten für die Grund- und Förderschulen sitzen im Duisburger Schulamt, sind aber Landesbeamte. Schon länger wollten wir sie befragen zu drängenden Themen wie Lehrermangel, fehlenden Plätzen für schulpflichtige Flüchtlingskinder und Chancen zur Entwicklung von Schule. Am Ende ließen sie sich darauf ein, bestanden aber darauf, vorab die Fragen zu bekommen und ausschließlich in einem autorisierten Wortlaut-Interview in der Zeitung zu erscheinen.
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Susanne Süß ist für die Grundschulen in Mitte und Süd zuständig, Gundula Hausmann-Peters für jene in Walsum und im Westen, Annette Quent-Langer für jene im Norden. Stefanie Sieker ist für die Förderschulen und eine Hauptschule verantwortlich, Thomas Lemm für Förderschulen.
Was sind Ihre Hauptaufgaben?
Quent-Langer: Wir arbeiten mit den Schulen zusammen und haben es dabei mit vielen engagierten Menschen zu tun, die sich verpflichtet fühlen, das Beste für die Kinder hinzubekommen und gute Schule zu machen. Uns ist es wichtig, dass die Kinder eine erfolgreiche Bildungsbiografie bekommen und allen gesellschaftliche Teilhabe möglich ist.
Geht es etwas konkreter?
Quent-Langer: Wir beraten bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung, bei der Implementierung von Richtlinien. Schulaufsicht klingt nach Aufpasser, aber Schulen sind selbstständige, eigenverantwortliche Systeme. Unsere Aufgabe ist es, sie zu beraten und zu unterstützen. Wir besuchen Schulen, führen Schulentwicklungsgespräche. Es gibt regelmäßige Schulleiter-Dienstbesprechungen, Arbeitskreise zu Themen wie Integration oder Ganztag.
Der Lehrermangel ist viel beschrieben – wie können Sie vor Ort die Schulen unterstützen und sich andererseits für sie in Düsseldorf stark machen?
Sieker: Wir sind dazu im ständigen Austausch, das Problem gibt es nicht nur in Duisburg, sondern in vielen Schulämtern. Wir versuchen, Unterstützungsmöglichkeiten zu eruieren. Wir sind zum Beispiel im Austausch mit dem Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL), um Lehramtsanwärter nach Duisburg zu locken und wir hoffen, dass sie später als Lehrer bleiben.
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Was machen Sie als Schulräte konkret, um Lehrer zu locken?
Sieker: Die Steuerung läuft über das Schulministerium und die Bezirksregierung, da haben wir wenig Einfluss drauf.
Aber Sie sind doch die Bezirksregierung?
Sieker: Als untere Schulaufsicht sind wir der Bezirksregierung als oberer Schulaufsicht unterstellt, aber wir übernehmen nicht die Zuweisung. Wir können mit der Leiterin des ZFSL schauen, wie Lehramtsanwärter zum Beispiel an unsere Förderschulen gelenkt werden können. Außerdem machen wir auf die gute Arbeit aufmerksam, die in Duisburg geleistet wird.
Gibt es ein Schulamt, das von sich sagt, keine gute Arbeit zu leisten?
Sieker: Es machen alle gute Arbeit. Aber Duisburg als Stadt besorgt manche. Und deshalb sind wir hier beim Schulamt besonders gefordert, Schulen und Lehrkräfte bestmöglich zu unterstützen.
Wie machen Sie mir als Lehramtsanwärter Duisburg schmackhaft?
Sieker: Dort sind sehr engagierte Schulleiter und Lehrkräfte, es gibt ein großes Unterstützungspotenzial durch die Schulräte und den Schulträger. Sie sollten die Chance nutzen, ein oder zwei Tage zu hospitieren, um zu sehen, wie gewinnbringend mit den Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird.
Aber auch das machen ja alle, warum sollte ich nach Duisburg kommen?
Sieker: Es ist eine tolle Stadt, mit tollen Angeboten im sportlichen, im künstlerischen Bereich.
Wenn ich an eine Schule in Bruckhausen geschickt werde, bin ich vom Sportpark Wedau allerdings ganz weit weg...
Quent-Langer: Es gibt an Grund- und Förderschulen tolle Projekte, die Alleinstellungsmerkmale haben. Der Schulstandort Hochfelder Markt ist herausfordernd, bietet aber tolle Elternarbeit und sprachliche Angebote. Die Astrid-Lindgren-Schule hat einen Montessori-Zweig. Es gibt eine gute Zusammenarbeit mit außerschulischen Angeboten. Es gibt viel, mit dem man punkten kann. Aber man muss es erzählen.
Süß: Lehrkräfte an Duisburger Schulen können mit ihrem Engagement wirklich viel bewegen, weil Kinder, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, Angebote in der Schule oft mit großer Begeisterung annehmen und mitarbeiten. In alters- und entwicklungsgerechten Lernsituationen sind sie sehr motiviert. Lehrkräfte und die Schule als Lern- und Lebensort können da viel bewirken
Schulleiter sagen, dass sie sich allein gelassen fühlen und neue Lehrkräfte nur generieren, wenn sie sie selbst ausbilden und der Klebeeffekt greift.
Quent-Langer: Seit fünf Jahren mache ich Stellenverfahren, seither gab es mehrere Abordnungsverfahren, bei denen Lehrkräfte aus anderen Schulamtsbezirken hergeschickt wurden, die erst gar nicht wollten. 2017 sind 18 Lehrkräfte gekommen, davon haben sich zehn dauerhaft versetzen lassen. Bei der letzten Runde sind von 16 Lehrerinnen und Lehrern acht geblieben. Auch aktuell gibt es Signale von abgeordneten Kräften, dass sie bleiben wollen. Sie alle spiegeln uns, dass sie in gute Teams gekommen sind, in denen man sich aufeinander verlassen kann. Viele, die im Blockpraktikum hier waren, wollen wiederkommen. Es läuft über Bindungen. Wer einmal bei uns war, möchte oft bleiben.
Sie reden von einstelligen Zuwächsen, es fehlen aber hunderte Kräfte.
Quent-Langer: An Grundschulen stellen wir die Mindeststundenzahl und einige zusätzliche Förderangebote sicher, das ist ein Kraftakt. Natürlich fehlen Lehrkräfte und in manchen Ruhrgebietsstädten ist das ein größeres Problem, aber das können wir nicht ändern.
Hausmann-Peters: Wir tun viel, wir sind etwa im engen Austausch mit der Bezirksregierung und anderen Ebenen. Die vielen Abordnungen nach Duisburg sind eine Folge davon. Eine weitere Folge ist, dass wir sozialpädagogische Fachkräfte in der Schuleingangsphase einsetzen konnten. Wir haben mehr Stellen bekommen als alle anderen Kommunen. Wir haben an allen Grundschulstandorten mindestens eine Fachkraft, das hat keine andere Kommune.
Sieker: Erstmals hat an der UDE ein Studiengang Sonderpädagogik begonnen. Wir haben das Gespräch gesucht, um Projektideen zu entwickeln. Wir wollen von Anfang an dafür sorgen, dass die Studierenden vernetzt werden mit den Förderschulen und den Schulen des Gemeinsamen Lernens.
Diese Unterstützung kommt allerdings erst in fünf Jahren. Welche anderen Möglichkeiten haben sie bis dahin?
Quent-Langer: Es gibt Verwaltungsassistenzen für Schulleiter, die Entlastung schaffen sollen. Auch durch den Schulsozialindex gibt es Zuweisungen. Wir können neben grundständig ausgebildeten Lehrkräften auch andere Personen einstellen, die Kinder fördern können. Sie stützen unser System.
Die Schulen freuen sich auch über Metzger oder Gärtner in ihren Kollegien, aber die Einstellung ist oft eine Geschichte von Zufälligkeiten. Wie kommen Sie an solche Menschen?
Quent-Langer: Handwerksmeister können an Förderschulen im Rahmen der Vorbereitung auf die Berufspraxis die Kollegien unterstützen. In Grundschulen sind keine Handwerker angestellt. Dort ergänzen beispielsweise Erzieherinnen oder Ergotherapeuten das Personal. Die Einstellung ergänzender Kräfte erfolgt über das Ausschreibungsportal Verena und über Mund-zu-Mund-Propaganda, das heißt Schulleitungen akquirieren über direkte Ansprache Personal. Mit dem Programm Aufholen nach Corona, mit Sprachfördermitteln und anderen Angeboten können wir die Schulen unterstützen. Wir helfen auch dabei, dass die Seiteneinsteiger an den Schulen gut ankommen. Mit Mentorenprogrammen, Tandems, gegenseitigen Unterrichtsbesuchen, Vernetzung der Schulen.
Süß: Gerade die Schulen an herausfordernden Standorten setzen auf Teamarbeit, ohne kooperatives Arbeiten können sie gar nicht existieren. Die Lehrer erleben eine große Wirksamkeit, die Schüler sind oft sehr neugierig.
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Das wird aber immer schwieriger, wenn die Klassen noch voller werden, wenn im nächsten Schuljahr noch mal 200 Kinder zusätzlich ins System drücken – ohne die Zuwandererkinder. Wie soll das gehen?
Hausmann-Peters: Wir halten es in herausfordernden Lagen pädagogisch für wünschenswert, wenn die Systeme kleiner wären. Schulen in Randlage haben kleinere Klassen, der Zuzug in Hamborn, Meiderich oder Mitte ist deutlich größer als in Serm.
Lehrer an weiterführenden Schulen vor allem im Norden berichten, dass die Kinder in den fünften Klassen einen Lernstand haben, der kaum dem der dritten Klasse entspricht. Sie sagen, es wäre besser, wenn die Kinder fünf oder sechs Jahre bleiben würden.
Quent-Langer: Die Kinder haben die Chance, die Schuleingangsphase (Klasse 1 und 2) drei Jahre zu durchlaufen. Manche bleiben also fünf oder sechs Jahre.
Hausmann-Peters: Das betrifft aber nicht nur diese Standorte, sondern es ist ein grundlegendes Problem. In Mathe und Deutsch gibt es eklatante Lücken, wie Berichte gezeigt haben. Schon vor dem Bericht hat das Schulministerium NRW eine Fachoffensive Mathematik und Deutsch auf den Weg gebracht, um diese Defizite abzubauen.
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Warum spiegelt die offizielle Lehrerstatistik nicht wider, wie viele Menschen tatsächlich vor Ort sind?
Quent-Langer: Die elektronische Datenbank Schips bildet ab, welche Kräfte eingestellt sind. Mutterschutz bildet sie ab, Beschäftigungsverbot während der Schwangerschaft aber nicht. Ich kann täglich schulscharf sagen, wer da ist und wer nicht. Ich habe die Aufgabe, nachzusteuern, wenn kurzfristig Lücken entstehen und die Unterrichtsversorgung an den Schulen sicherzustellen.
Bei welchen Zahlen bekommen sie Schnappatmung?
Quent-Langer: Natürlich ist mir klar, wie belastend die Situation sein kann. Wir müssen da nichts schönreden. Schnappatmung bekomme ich nicht, aber natürlich sehe ich mit Sorge, wie es manchmal ausschaut. Ich versuche die größte Wirksamkeit zu erreichen mit den Personen, die vorhanden sind und stehe im engen Austausch mit der Bezirksregierung.
Düsseldorf reagiert aber nur mit Stellenausschreibungen, auf die sich keiner bewirbt.
Quent-Langer: Natürlich kommen wenig Bewerbungen an, aber immer wieder werden Stellen besetzt. Die Bezirksregierung hat auch damit reagiert, Kräfte aus anderen Schulämtern zu versetzen. Oberstes Ziel ist, alle Schulen zu versorgen.
Die Förderschule am Rönsbergshof wartet seit 2017 auf eine auskömmliche Besetzung mit Lehrkräften, kann nur halbtags die Kinder beschulen, obwohl es sich um eine Ganztagsschule handelt.
Sieker: Dort sind inzwischen 26 Lehrkräfte zur Unterstützung mit unterschiedlichen Stundenkontingenten vor Ort. Aber an anderen Förderschulen gibt es auch einen Lehrermangel. Unser Ziel ist es, die Schulen gleichermaßen zu versorgen, um an allen Schulen, die Stundentafel zu gewährleisten.
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Wie groß ist die Verzweiflung an den Schulen? Was kommt bei ihnen an?
Süß: Die Schulleitungen spiegeln uns die Bedarfe und wir melden das natürlich weiter.
Es wird oft gefordert, Ungleiches ungleich zu behandeln. Wäre das ein gutes Mittel?
Quent-Langer: Der Lehrkräftemangel steht ganz oben auf der Agenda von Ministerin Feller. Alle Maßnahmen, die für sicheren Unterricht sorgen, die den Lehrermangel reduzieren, begrüßen wir.
Warum ist der Ort der Erstförderung, der an der ehemaligen Hauptschule Gneisenaustraße entstehen soll, noch nicht an den Start gegangen? Die Räume stehen bereit, das Konzept ist fertig – und über 1000 zugewanderte Kinder sind zwar schulpflichtig, haben aber keinen Platz bekommen.
Süß: Wir haben über 4500 Schüler in der Erstförderung – Kinder also, die zum ersten mal eine deutsche Schule besuchen und nicht über hinreichende Deutschkenntnisse verfügen, um dem Unterricht zu folgen. Das ist eine große Leistung der Schulen. 918 Kinder sind im Zuweisungsprozess, sie warten auf einen Termin am Kommunalen Integrationszentrum. Wir arbeiten mit Gesundheitsamt, KI und Schulträger eng zusammen, um zeitnah Schulplätze zur Verfügung stellen zu können. Es ist einfacher, wenn die Kinder schon zur Schule gegangen sind, vielleicht Englisch sprechen können, als für 13- oder 14-Jährige, die nie zur Schule gegangen sind. Viele Kinder und Jugendliche kann man nicht quer durch die Stadt zu einer Schule schicken, dort würden sie nicht ankommen.
Der Schulträger hat ein Konzept eingereicht für den Standort Gneisenaustraße, das liegt zur Genehmigung bei der Bezirksregierung. Warum dauert es jetzt so lange? Erste Gespräche waren bereits im Frühjahr.
Süß: Es gibt noch Detailfragen, die geklärt werden müssen. Mit einem Platz in der Erstförderung allein ist es ja nicht getan, wir müssen bereits jetzt die weitere Beschulung der Schülerinnen und Schüler mitdenken. Das gleiche gilt für den zweiten Ort der Erstförderung, der von der Karl-Lehr-Realschule betrieben werden soll am Standort Kranichschule.
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Aber die Kinder sind schulpflichtig und der Platz ist ja da in Form einer Schule?
Süß: Sobald die Konzepte genehmigt und die Lehrkräfte zugewiesen sind, bieten wir Kindern dort gern einen Platz an.
Mit Blick auf den Winter, wie gehen Sie mit Corona um?
Sieker: Alle Schulen greifen auf zweieinhalbjährige Erfahrung zurück. Die 1:1-Ausstattung mit I-Pads und das Schulmedienzentrum sind eine große Unterstützung.
Hausmann-Peters: Es gibt in allen Schulen Konzepte, wie man im Fall hoher Ausfälle den Unterricht fortsetzen kann.
Quent-Langer: In den dritten Corona-Winter gehen alle handlungssicherer.
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>>VERANTWORTUNGSBEREICH DER SCHULAUFSICHTSBEAMTEN
Die fünf Schulräte haben die Fachaufsicht über 75 Grundschulen mit rund 19.000 Schülerinnen und Schülern und rund 1400 Lehr- und Fachkräften, sowie 11 Förderschulen mit 2700 Schülern und 380 Lehrkräften und einer Hauptschule mit 293 Schülern und 34 Lehrkräften.
Sie waren Schulleiter, bevor sie zum Schulrat ernannt wurden – nach einer Probezeit auf Lebenszeit. Alle waren zuvor Schulleiterinnen oder in der erweiterten Schulleitung.