Duisburg. Das Delfinbaby im Zoo Duisburg ist Ergebnis von Inzucht. Was das für Jungtier und Zoo bedeutet. Tierschutzbund sieht gesundheitliche Risiken.
Vor vier Wochen ist im Zoo Duisburg ein männlicher Delfin geboren worden. Für die sechsjährige Debbie ist es der erste Nachwuchs. Das Jungtier „entwickelt sich arttypisch“, teilt der Zoo mit. Und doch unterscheidet sich das neue Mitglied der Delfinfamilie von allen zuvor am Kaiserberg geborenen Großen Tümmlern: Die Eltern des Jungtieres sind enge Verwandte – ein solcher Fall von Inzucht ist neu für das Duisburger Delfinarium.
Wer der Vater des Jungtiers ist, sei noch nicht zu beantworten, antwortet der Zoo Duisburg auf Nachfrage. „Es wird noch ein Vaterschaftstest durchgeführt“, teilt der Tierpark mit. „Dafür benötigen wir eine aktuelle Blutprobe von Debbie.“ In Frage kommen aber nur die Bullen Ivo, der seit 1999 am Kaiserberg lebt und Debbies Vater ist, und Dobbie. Er wurde 2016 am Kaiserberg geboren und ist ein Halbbruder des Muttertieres. Das Blut von Debbie, des Jungtieres und der potenziellen Väter werde anschließend in einem Labor analysiert.
Inzucht bei Delfinen im Zoo Duisburg: Ist es Natur oder Tabu?
Bezogen auf menschliche Beziehungen ist Inzucht ein unverrückbares Tabu und sogar strafrechtlich relevant. Das, was unter Inzucht zu verstehen ist – die Fortpflanzung relativ naher Blutsverwandter –, kommt im Tierreich aber vor und sollte nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen werden. So komme es auch in freier Wildbahn bei Delfinen vor, dass Jungtiere geboren werden, „deren Eltern ein näheres Verwandtschaftsverhältnis zueinander haben können“, erklärt der Zoo Duisburg.
Der Deutsche Tierschutzbund bestätigt dies, wenngleich die Organisation von Einzelfällen spricht: „Inzucht kann bei Großen Tümmlern gelegentlich auch in freier Wildbahn vorkommen, ist nach vorliegenden Erkenntnissen aber eher eine Ausnahme, da die Tiere entsprechende Strategien haben, um dies zu vermeiden.“
Inzucht im Zoo Duisburg konterkariere Artenschutzargument
Strategien, die in einem zoologischen Garten aber ausgehebelt werden. Denn viele Aspekte des natürlichen Verhaltens in freier Wildbahn seien in Gefangenschaft nicht möglich. Im Falle von Delfinen spricht der Tierschutzbund etwa vom Abwandern junger Männchen, einem stetigen Austausch und Ausweichverhalten sowie dem Zusammenschluss verschiedener Gruppen, die sich immer wieder neu formieren. Die Fortpflanzung werde dagegen im Zoo letztlich „vom Menschen gesteuert“, argumentiert der Tierschutzbund.
Unabhängig vom Vaterschaftstest zeige der Duisburger Fall laut Tierschutzbund deutlich, „dass hier das oft angeführte Artenschutzargument im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP) konterkariert wurde“. Denn durch die Zuchtbücher und das umfangreiche Management solle eigentlich darauf geachtet werden, Inzucht zu vermeiden und eine größtmögliche genetische Variabilität innerhalb der Population zu erhalten. Gerade weil Wildfänge, wie sie in der Vergangenheit praktiziert wurden, nicht mehr möglich sind.
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Inzucht bei Delfinen: Vergangenheit zeigt Problembewusstsein
Dass auch der Zoo Duisburg in der Vergangenheit ein Problembewusstsein für Inzucht bei den Delfinen entwickelt hat, zeigt die Abgabe der im Jahr 2007 geborenen Delfine Dolly und Donna, die mit folgenden Worten begründet wurde: „Mit dem Eintreten der Geschlechtsreife mussten die beiden jedoch in eine andere Delfinfamilie umziehen, um eine mögliche Inzucht im Duisburger Delfinarium zu vermeiden.“
Mit sieben Jahren wurden die Weibchen an den Tierpark Nürnberg übergeben. Die Geschlechtsreife werde für gewöhnlich mit acht Jahren erreicht. Womöglich wurde das Duisburger Delfinarium also bei Debbie von einer Frühreife überrascht. Das Weibchen ist mit fünf Jahren trächtig geworden. „Die Schwangerschaft kam unerwartet“, bestätigt der Zoo.
Abgabe von Debbie wurde im Zoo Duisburg diskutiert
Zwar habe es regelmäßig Untersuchungen gegeben. „Es war zu keiner Zeit ersichtlich, dass Debbie schon einen funktionalen Zyklus hatte“, erklärt Zootierärztin Dr. Kerstin Ternes. Im Rahmen einer routinemäßigen Blutuntersuchung sei dann aber „erstaunlicherweise hormonelle Aktivität festgestellt“ worden. Beim Ultraschalltraining konnte daraufhin das schlagende Herz des ungeborenen Jungtieres entdeckt werden.
Vor Bekanntwerden der Schwangerschaft sei zudem diskutiert worden, Debbie im Rahmen des EEP an einen anderen Tierpark zu übergeben. Mit der Trächtigkeit habe dieses Szenario dann nicht mehr zur Debatte gestanden.
Zoo und Tierschutzbund sind uneins über gesundheitliche Risiken
Die Konstellation – der Vater ist blutsverwandt mit der Mutter – stelle für den Zoo Duisburg und die Aufzucht des Jungtieres keine zusätzliche Herausforderung dar, so der Zoo. Grundsätzlich werde jede Aufzucht intensiv beobachtet. Wegen der Inzucht würden keine zusätzlichen Gesundheitskontrollen durchgeführt werden, teilt der Tierpark mit. Auf die Frage, ob durch die enge Verwandtschaft der Elterntiere biologische Risiken für das Jungtier ausgeschlossen werden können, antwortet der Zoo: „Davon gehen wir – Stand heute – aus.“
Zu einer anderen Bewertung kommt auch dazu der Deutsche Tierschutzbund. So soll eine Studie zeigen, dass Delfine aus der freien Wildbahn, die natürlicherweise einen höheren Inzuchtkoeffizient aufweisen, verglichen mit anderen Delfinen ihrer Art, während eines Virusausbruchs früher verstarben. „Dies weist darauf hin, dass Delfine, die mehr von Inzucht betroffen sind, anfälliger für Krankheiten sind“, urteilt der Deutsche Tierschutzbund. Eine weitere Untersuchung habe nachweisen können, „dass Inzucht bei Großen Tümmlern zu verringerter körperlicher Fitness führt und dadurch beispielsweise den Fortpflanzungserfolg beeinträchtigen kann“, erklärt der Tierschutzbund.
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Die Aufzucht des neuen Jungtieres verlaufe bislang sehr gut, erklärt der Zoo Duisburg. Der Nachwuchs nehme stetig zu, mittlerweile ist das Delfinarium auch wieder für Besucher geöffnet. Mutter Debbie verhalte sich „vorbildlich und absolut souverän“, sagt Dr. Kerstin Ternes. Gerade für Mütter, die zum ersten Mal gebären, sei dies nicht selbstverständlich.
>> DELFINE IN DUISBURG
- Die Delfinhaltung am Kaiserberg hat eine lange Tradition. Der Zoo war einer der ersten zoologischen Gärten in Europa, der sich im Jahr 1965 an die seinerzeit neuartige Haltung wagte.
- Im Jahr 1978 gelang am Kaiserberg erstmalig die Nachzucht eines Großen Tümmlers, der zudem der erste Zuchterfolg in Deutschland war.
- Ebenso lang begleitet den Zoo ein hochemotionaler Streit mit Tierschützern, die die Haltung der äußerst sozialen Meeressäuger für nicht artgerecht halten. Ein Kritikpunkt ist die hohe Jungtiersterblichkeit.
- Doch seit 2011 sind im Delfinarium des Zoo Duisburg zehn Große Tümmler geboren worden, inklusive des jüngsten Nachwuchses liegt die Aufzuchtrate bei 70 Prozent.