Duisburg. Der Wohnpark Biegerhof in Duisburg-Wanheim genießt keinen guten Ruf. Wie lebt es sich dort eigentlich? Eine Familie erzählt von Freud und Leid.

„Mich krisse hier nicht mehr raus“, sagt Carmen Wiczorek, und man glaubt es ihr. Seit fast 35 Jahren wohnt die Duisburgerin im „Affenfelsen“, wie der Wohnkoloss Biegerhof in Wanheim auch genannt wird. Das riesige Gebäude ist ein Relikt längst vergangener Wohnideen, erbaut 1972, als Gebäude dieser Art die Zukunft zu sein schienen. Heute genießen der Biegerhof und seine Brüder im Geiste, zum Beispiel der Citywohnpark in Hochfeld, einen – gelinde gesagt – fragwürdigen Ruf. Aber warum fühlt sich Carmen Wiczorek dann so wohl?

[Straßenbahn- und Buslinien der DVG in fünf Minuten mit Schulnoten bewerten: zum DVG-Linien-Check]

Anfang der 90er Jahre, erinnert sich Wiczorek, war es vor allem die Gemeinschaft, die den Reiz des Affenfelsens ausmachte. „Wir haben im Hof gesessen und gegrillt, das war einfach schön.“ Daran denken auch ihre Töchter gerne zurück, Julia Hegel und Yasmin Kaup wohnen mittlerweile beide mit ihren Töchtern im Biegerhof.

Familie: Geflüchtete haben den Duisburger „Affenfelsen“ verändert

„Es ist schon anders als früher“, bestätigen die beiden den Eindruck ihrer Mutter. Heute liege viel mehr Müll herum, und auch wenn die Gemeinschaft der Hausbewohner weiter besteht – sie ist nach Meinung der Familie deutlich instabiler geworden. Das liege auch an den mittlerweile Zugezogenen, viele von ihnen Geflüchtete aus dem arabischen Raum. Die Feste von früher, hat die Familie das Gefühl, würden heute oft nur noch für die ausländischen Bewohner ausgerichtet. „So richtig tut sich hier keiner mehr Zusammen.“

Auch interessant

Andererseits, das betonten Mutter wie Töchter gleichermaßen, müsse man wie damals auch heute keine Angst haben, wenn die Kinder im Hof spielen. „Die Leute passen auf. Sie wissen, welche Kinder wohin gehören, und wenn ein Fremder mal ein Kind ansprechen sollte, hat das immer jemand im Blick.“

Innen hui: Der Biegerhof besticht mit seinen Wohnungen

Außerdem, erzählt Yasmin Kaup, haben die Kinder immer viele Spielkameraden. Hat so eine hohe Wohndichte auch Nachteile? „Ja“, grinst Julia Hegel, „hier kann man kein Geheimnis für sich behalten. Hier wird viel geredet.“ Und dann sind da natürlich noch die Wohnungen selbst. „Die sind hier wirklich sehr schön“, nicken alle drei, das finden übrigens auch Jiah und Navleen, die mit ihren Müttern Julia Hegel und Yasmin Kaup also schon in der dritten Generation im „Affenfelsen“ leben.

Zusammen allein: Die Gemeinschaft im Biegerhof in Duisburg, sagen die Bewohner, sei früher besser gewesen.
Zusammen allein: Die Gemeinschaft im Biegerhof in Duisburg, sagen die Bewohner, sei früher besser gewesen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Carmen Wiczorek, von Hause her Buchholzerin, erinnert sich an ihre erste Wohnung im Biegerhof. „Mein Mann hat sich die Wohnung zuerst alleine angeschaut und war von der Gegend zunächst nicht wirklich angetan.“

Beim Blick auf den Hauseingang sei ihm wohl „Lieber Gott, so viele Schellen“ entfahren, beim Blick in die piekfeine Wohnung dann: „Das darf ich Carmen nicht zeigen, die will die sofort haben.“ Zum Glück, sagt die Großfamilie heute, kam es dann auch so.

Duisburger Mieter üben Kritik

Yasmin Kaup ging es ähnlich wie ihrer Mutter damals, als sie kürzlich wieder in den „Affenfelsen“ einzog. „Ich habe eine Wohnung gesucht und gehört, dass hier eine frei ist. Mein erster Gedanke: Ernsthaft?“ Und trotzdem: Genau wie bei ihrer Mutter habe der erste Blick in die Wohnung alle Zweifel weggeblasen. „Ich muss nicht für immer hierbleiben“, erklärt Kaup, „aber wir fühlen uns beide sehr wohl.“ Wobei, ein kleiner Kulturschock sei der Umzug schon gewesen. „Hier ist immer was los. Kaffee trinken, ein Buch lesen, Fernsehen gucken – geht eigentlich gar nicht, irgendwas ist immer.“ Das mag erstmal negativ klingen – doch Yasmin Kaup erzählt mit einem Lächeln auf den Lippen.

Auch heute sind die Wohnung also noch schön, erklärt das Trio, ein bisschen abwärts sei es aber schon gegangen. „In die Wohnungen, aber auch in die Balkone, müsste mal wieder investiert werden.“ Und auch vor dem Haus sieht es eher mau aus: Spielgeräte wurden ersatzlos abgebaut, die Überwachungskameras auf dem Hof seien „nur Zierde“. „An das Fußballverbot hält sich auch niemand“, berichten Jiah und Navleen.

Der Duisburger Biegerhof als Ritterburg

Und dann sind da noch die Parkplätze: Gerne in Beschlag genommen von Hausbewohnern die eigentlich anderswo parken müssten, beliebtes Ziel von Graffitisprayern und anderweitigen Lausbuben – erst kürzlich hat jemand in der Parkgarage einen Feuerlöscher entleert.

Der Ausblick aus einer Wohnung in der 13. Etage.
Der Ausblick aus einer Wohnung in der 13. Etage. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Es ist also längst nicht alles in Ordnung im Wohnkoloss Biegerhof – und doch viel besser, als es sich die breite Öffentlichkeit wohl vorstellt. Es ist eine Mischung aus vielen kleinen Dingen, der Familiarität, des Dorfcharakters, vielleicht auch ein gewisses „Ritterburg-Gefühl“ – My home is my castle.

„Es ist ja auch alles da“, sagt Carmen Wiczorek, „Läden, die Straßenbahn, der Biegerpark.“ Licht und Schatten in Wanheim, das komplexe Gefüge fasst die Familie ganz pragmatisch und mit viel Liebe für ihre Heimat zusammen: „Wir fühlen uns einfach wohl hier.“

>> DAS IST DER BIEGERHOF

  • Der „Affenfelsen“ wurde 1972 fertiggestellt und ist seitdem im Bestand der Gebag. Insgesamt gibt es dort 261 Wohnungen und eine Tiefgarage.
  • Aktuell gibt es nur eine leerstehende Wohnung – und das auch nur, weil die gerade saniert wird. „Insgesamt gibt es sehr wenig Leerstand“, fasst eine Sprecherin der Gebag zusammen.
  • Die Wohnungen sind zwischen 60 und 110 Quadratmeter groß, die Kaltmiete pro Quadratmeter beläuft sich auf durchschnittlich 4,27 Euro.