Duisburg. Bea Söhngen hat eine hochschwangere Ukrainerin aufgenommen. Als es Probleme gab, machte ein Amt einen für sie empörenden Vorschlag.
„Da kam das erste Mal das Lächeln zum Vorschein“, erinnert sich die Duisburgerin Bea Söhngen an die ersten Tage, in denen Natalia Kornilova und ihre fünfjährige Tochter Maria in ihrer Wohnung wohnten. Kornilova ist Ukrainerin aus Dnipro, der viertgrößten Stadt des Landes. Als der Krieg begann, floh sie mit ihrer Tochter – und ihrem Sohn, denn Natalia Kornilova ist hochschwanger, im Mai soll ihr zweites Kind zur Welt kommen.
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Ihr Mann musste in der Ukraine bleiben, dort versorgt er die Menschen in Dnipro und muss zumindest noch nicht kämpfen. Immerhin: Kornilovas Eltern Vladimir und Malina sind mittlerweile auch in Duisburg angekommen und wohnen mit ihrer Tochter in Bea Söhngens Wohnung. Die ganze Hamborner Nachbarschaft half mit, die vormals leere Wohnung einzurichten, besonders Nachbar Ralf Engeln sei eine große Hilfe gewesen, sagt die Duisburgerin.
Für Duisburgerin sind Ukrainer jetzt Teil der Familie
„Eigentlich sollte die Wohnung vermietet werden“, erklärt Söhngen, doch über eine Freundin erfuhr sie im März von einer hochschwangeren Ukrainerin, die eine Unterkunft suchte. Die Entscheidung, Natalia Kornilova aufzunehmen, fiel Bea Söhngen leicht, heute sind sie und ihr Lebensgefährte Joachim Pfaff glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben. „Es ist klasse, so liebe Menschen im Haus zu haben. Wir sind mittlerweile wie eine Familie“, schwärmt die Duisburgerin, die Kornilovas Mann versprochen hat, seine Familie zu beherbergen, bis er sie in die Ukraine zurückholen kann.
Dazu gehört für Bea Söhngen selbstverständlich auch der Gang zum Arzt, um die schwangere Natalia Kornilova untersuchen zu lassen.
Doch damit begannen die Probleme. „Ein Arzt in Meiderich hat die Untersuchung umsonst gemacht, doch die Blutuntersuchung im Labor hätte Natalia verschuldet“, berichtet Bea Söhngen. Denn die Ukrainer sind in Deutschland nicht krankenversichert, dafür brauchen sie einen Arztschein. Den gibt es beim Amt für Soziales und Wohnen, „nur durch Hartnäckigkeit“ sei der endlich ausgestellt worden, sagt Söhngen, und glaubt, dass die Mitarbeiter im Amt überfordert seien.
Stadt Duisburg: Amt nicht auf ukrainische Geflüchtete eingestellt
Das bestätigt Stadtsprecherin Gabi Priem auf Anfrage, wenn auch vorsichtig. „Das Amt für Soziales und Wohnen war zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine und dem damit verbundenen ungesteuerten Zustrom ukrainischer Flüchtlinge weder personell noch technisch auf eine derartige Situation eingestellt“, erklärt Priem. Viele Stellen seien so sehr schnell an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen, das habe wiederum die Bearbeitungszeit von Anträgen auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verlängert. Gabi Priem betont aber auch den „vollen Einsatz aller Mitarbeitenden“.
Die Überforderung der Ämter bekam Bea Söhngen auch an anderer Stelle zu spüren. „Die Familie war schon 14 Tage hier, bevor das erste Geld vom Amt kam“, erinnert sich die Duisburgerin, ursprünglich hatte sie das Amt sogar auf Mitte April vertröstet. Hilfe kam allerdings von oben, gewissermaßen. Pater Tobias und sein Projekt Lebenswert füllte den Kühlschrank erst einmal, das half über die ersten Tage.
Missverständnis im Amt: Zwei verschiedene Schreibweisen
Doch der Amtsmarathon lief weiter. In der Ausländerbehörde, in der sich die ukrainischen Geflüchteten registrieren müssen, machte Bea Söhngen einen Termin für ihre Gäste am 30. Mai, „früher war keiner zu bekommen. Doch durch Zufall habe ich herausbekommen, dass der Termin nicht richtig registriert war. Jetzt können wir erst am 9. Juni zum Amt.“ Dieses Missverständnis kann Stadtsprecherin Priem aufklären. „Bei der Ausländerbehörde ist sowohl für den 30. Mai als auch für den 9. Juni ein Termin vorgesehen, allerdings mit unterschiedlichen Schreibweisen (von Natalia Kornilovas Namen, Anm. d. Red.).“
Gabi Priem erläutert zudem, dass auch die Ausländerbehörde von den ukrainischen Geflüchteten überrascht wurde. „Die Kapazitäten werden deshalb jetzt aufgestockt, so dass wir künftig auch Rückstände abarbeiten können.“ Ein schwacher Trost für Bea Söhngen, für die es bei ihren Amtsgängen zum Beispiel auch um die Erstattung von Nebenkosten für die Wohnung geht. „Es ist ein Punkt erreicht, an dem meine finanziellen Reserven aufgebraucht sind“, seufzt sie.
Mitarbeiter riet, Ukrainer in der Flüchtlingsunterkunft abzugeben
Doch wirklich wütend machen Bea Söhngen keine verspäteten Geldzahlungen und keine verzögerten Arztscheine. Wirklich wütend macht Bea Söhngen ein Satz, den sie bei einem ihrer Besuche im Amt für Soziales und Wohnen hören musste. „Ich habe nachgefragt, wann das Geld für die Familie gezahlt wird“, sagt Söhngen mit zittriger Stimme. „Und ein Mitarbeiter hat gesagt: ‘Wenn Sie die Familie nicht versorgen können, können Sie sie ja in der Flüchtlingsunterkunft im Landschaftspark abgeben’“.
Diese Probleme sind natürlich ein Hauch von Nichts, gemessen an dem Leid der Ukrainer, und, ganz persönlich, der Sorge von Natalia Kornilova um ihren Mann. Und trotzdem: „Ich bin Bea so dankbar, sie macht viel mehr, als sie müsste“, sagt Kornilova auf Englisch. „Das ist unsere neue Familie hier. Wir waren verloren, und sie hat uns geholfen.“ Viel mehr würde sie gerne noch über ihre Gastgeber erzählen wollen, erklärt Natalia Kornilova, aber dafür fehlten ihr die lobenden englischen Vokabeln. Was sie trotzdem versprechen kann: „Wenn wir zurückkönnen, laden wir die ganze Familie in die Ukraine ein.“
>> STADT ZAHLT DUISBURGERN BETRIEBSKOSTEN, WENN SIE UKRAINER AUFNEHMEN
- Wenn Privatpersonen in ihrer gemieteten Wohnung Geflüchtete aufnehmen, erklärt Gabi Priem, und der Vermieter eine höhere Betriebskostenpauschale verlangt, kann diese Forderung beim Amt für Soziales und Wohnen eingereicht werden.
- Die Mehrkosten für den gesamten Zeitraum, in dem Geflüchtete in der Wohnung leben, überweist die Stadt dann direkt an den Vermieter.